Die Spur der Coins: Krypto-Börsen und dunkle Milliarden
Alleine in den vergangenen beiden Jahren flossen mehr als 27 Milliarden Dollar an schmutzigem Geld zu Krypto-Börsen – ein Einfallstor für Kriminelle. Nun gewährt eine internationale Recherche, an der auch profil beteiligt ist, tiefe Einblicke.
Alles beginnt mit René Benko: Mitte 2020 gilt der Signa-Gründer und Immobilien-Tycoon noch als höchst erfolgreicher Unternehmer. Kein Wunder, dass das Interesse des Österreichers Felix Wandraschek rasch geweckt ist, als er im Internet auf ein vermeintliches Benko-Interview stößt. Dies umso mehr, als darin von einer Investment-Möglichkeit im Krypto-Bereich die Rede ist. Das könnte eine Chance auf gutes Geld sein.
Praktischerweise ist damals gleich auch ein entsprechender Internet-Link in den Artikel eingebettet, wie Wandrascheks Rechtsanwalt Roman Taudes später schildert. Dass das alles ein Fake ist – eine Betrugsmasche, die mit der unerlaubten Nutzung von Prominenten-Gesichtern Aufmerksamkeit erregt – und Benko selbst nie und nimmer etwas damit zu tun hat, merkt Wandraschek nicht. Er klickt auf den Link, um mehr über diese potenziell gewinnbringende Anlagemöglichkeit zu erfahren. Die Folge: Ein gutes Jahr später, im September 2021, hat Wandraschek viel Geld verloren. Enorm viel Geld. Mehr als zwanzig Millionen Euro.
Kriminalität im industriellen Ausmaß
Felix Wandraschek heißt nicht wirklich so – profil schützt die Identität des Betrugsopfers. Es geht auch weniger um ihn persönlich. Es geht um Kriminalität im industriellen Ausmaß, die sich in den vergangenen Jahren fast schon ungebremst ausbreiten konnte. Um Verbrechen, bei denen Menschen kaltblütig und generalstabsmäßig abgezockt werden. Und es geht um die dahinter liegende Infrastruktur, ohne die es den Tätern gar nicht möglich wäre, ihre Beute blitzschnell herumzuschieben, Geldflüsse zu verschleiern und letztlich oft ungestraft davonzukommen. Eine Infrastruktur, an deren Knotenpunkten jene sitzen, die die Welt von Bitcoin & Co. eigentlich so richtig am Laufen halten: große Krypto-Börsen, sogenannte „Exchanges“.
Diese nehmen im Coin-Universum eine ähnliche Rolle ein wie Banken im klassischen Zahlungsverkehr. Sie hätten es durchaus in der Hand, das Krypto-System, in dem mittlerweile schwindelerregende Summen bewegt werden, sicherer zu gestalten. Gemäß einer Analyse der Plattform CoinGecko lief alleine im Jahr 2023 über die größten Exchanges ein Handelsvolumen im Wert von insgesamt 35,2 Billionen US-Dollar. Oft werden die Börsen jedoch selbst zum Einfallstor für Betrüger, Geldwäscher und andere Kriminelle. Zahlen der Krypto-Analysefirma Chainalysis zufolge floss in den vergangenen beiden Jahren schmutziges Geld im Ausmaß von mehr als 27 Milliarden Dollar zu Krypto-Börsen. Dieses stammt unter anderem aus Betrugsfällen, aus Ransomware-Erpressungsattacken, von Darknet-Märkten oder steht in Zusammenhang mit sanktionierten Unternehmen beziehungsweise Personen. Die Börsen streifen dann ihrerseits Transaktionsgebühren ein.
Am Projekt „The Coin Laundry“ sind 38 Medien beteiligt, darunter auch profil.
Internationale Recherche: „The Coin Laundry“
Eine internationale Recherche unter der Leitung des „International Consortium of Investigative Journalists“ (ICIJ) gewährt nun tiefe Einblicke in dieses System. Im Rahmen des Projekts „The Coin Laundry“ verfolgten Journalistinnen und Journalisten aus 35 Ländern monatelang dunkle Geldflüsse in diversen Kryptowährungen. Am Projekt haben insgesamt 38 Medienhäuser mitgewirkt, darunter die „Süddeutsche Zeitung“, NDR und WDR. In Österreich ist profil daran beteiligt. Und hierzulande spielt sich eben auch der Fall Wandraschek ab.
Was die Höhe des Verlusts betrifft, mag Wandraschek ein besonders herausragendes Beispiel sein. Es gibt jedoch unzählige Opfer derartiger Betrugsmaschen. Den meisten von ihnen geht nach ein paar Tausend oder Zehntausend verlorenen Euro finanziell die Luft aus, nicht erst nach mehreren Millionen. Das Resultat ist aber nicht weniger dramatisch: Die Ersparnisse sind weg. Manche nahmen auch extra Kredite auf. Und die Chancen, das Geld wiederzubekommen, sind sehr begrenzt, wenn auch nicht völlig aussichtslos.
Zu Beginn schaut jedenfalls alles meist ganz harmlos aus. Wandraschek ist dem Link im Internet gefolgt. Dann habe er seine E-Mail-Adresse angegeben und sei daraufhin telefonisch kontaktiert worden, erzählt Anwalt Taudes, der zahlreiche Betroffene sogenannter Krypto-Scams vertritt. „Der Anrufer hat es geschafft, dass das Opfer erste Überweisungen vornahm“, beschreibt Taudes. Zunächst in einer verträglichen Größenordnung: Die erste Zahlung habe sich bei rund 250 Euro bewegt. Daraus wurde jedoch rasch mehr. Insgesamt hat Wandraschek gut zwanzig Millionen Euro einbezahlt – in rund 300 Tranchen von je 50.000 bis 100.000 Euro. Wie in derartigen Fällen durchaus üblich, wurde dem Betrugsopfer gegenüber so getan, als fänden mit dem Geld – wie bei einem echten Investment – Handelsbewegungen statt. Laut Anwalt Taudes wurden seinem Mandanten auch angebliche Gewinne vorgegaukelt.
„Bei den Exchanges müssen die Alarmglocken läuten“
„Die Täter haben sich so sehr das Vertrauen des Opfers erschlichen, dass dieser sie sogar auf seinen Computer zugreifen hat lassen“, berichtet Anwalt Taudes. Das Geld sei zunächst in Euro auf ein Konto bei einer Krypto-Börse überwiesen worden. „Dort wurde das Geld in Bitcoins gewechselt und weitertransferiert.“ An diesem Punkt setzt die erste Kritik in Richtung Handelsplattformen an: „Bei einem solchen Muster – hohe Einzahlungen gefolgt von einem sofortigen Wechsel in Bitcoin und deren Weiterleitung – müssen bei den Exchanges die Alarmglocken läuten“, meint Taudes. Viele Krypto-Börsen würden jedoch „untätig“ bleiben oder zu spät mit Kündigung der entsprechenden Krypto-Konten – auch „Wallets“ genannt – reagieren.
Doch Krypto-Börsen spielen auch noch im weiteren Verlauf derartiger Betrugsfälle eine Rolle, nicht nur bei der Einzahlung des „Echtgeldes“. Täter nutzen Börsen in der Folge auch, um die Beute aufzusplitten, sie über viele Stationen – sprich: Wallets – zu schicken, in andere Kryptowährungen zu wechseln und ordentlich mit anderen Geldern durchzumischen. Mit anderen Worten: zu waschen.
Follow the Blockchain
Die Recherchen im Rahmen des Projekts „Coin Laundry“ ermöglichen tiefe Einblicke in diese Welt des dunklen Geldes. Journalistinnen und Journalisten haben Hunderte Wallet-Adressen – quasi Nummern von Krypto-Konten – gesammelt, die in einem Zusammenhang mit illegalen Aktivitäten stehen. Diese Wallet-Adressen stammen unter anderem aus Betrugsfällen, aus Gerichtsakten, aus Sanktionslisten und aus Beschwerden, die bei der Finanzmarktaufsicht der Seychellen eingegangen sind. Die Inselgruppe im Indischen Ozean spielt in der Krypto-Welt eine bedeutende Rolle.
Im Rahmen der Recherche wurden dann Zehntausende Transaktionen in Bezug auf diese Wallet-Adressen herausgearbeitet. Das ist deshalb möglich, weil Kryptowährungen technisch auf Basis einer sogenannten Blockchain funktionieren: eine Art Code, in dem nacheinander jede Transaktion eingetragen und damit auch gespeichert wird. Damit konnten im Zuge des Investigativ-Projekts Krypto-Transfers zu einigen der größten Börsen der Welt nachverfolgt werden. Die Recherche-Ergebnisse wurden dann unter Beiziehung von mehr als zwei Dutzend Blockchain-Analysten verifiziert.
Eine Million Dollar – pro Tag
Eines dieser Ergebnisse betrifft einerseits die „Huione Group“, eine dubiose Finanzfirma aus Kambodscha – und andererseits Binance, die größte Kryptobörse der Welt. Bereits im Mai 2025 bezeichnete die für die Bekämpfung von Kriminalität im Finanzbereich zuständige Stelle des US-Finanzministeriums (FinCEN) Huione öffentlich als Geldwäscherisiko und regte weitreichende regulatorische Schritte an. Doch zwei Monate später, im Juli 2025, konnte Huione immer noch Krypto-Geld der Währung „Tether“ (USDT) im Wert von durchschnittlich rund einer Millionen Dollar auf Konten bei Binance transferieren – und zwar pro Tag. Tether ist ein sogenannter Stabelcoin: Der Wert ist an den US-Dollar gekoppelt und bleibt deshalb relativ stabil. Tether gehört – nach Bitcoin und Etherium – zu den meist gehandelten Kryptowährungen der Welt.
Laut ICIJ-Daten flossen von Juli 2024 bis Juli 2025 in dieser Form insgesamt mehr als 408 Millionen US-Dollar von Huione auf Kundenkonten bei Binance. Dabei stand Binance zu dieser Zeit bereits unter der Aufsicht zweier, von den Behörden bestellter externer Compliance-Aufseher: Im November 2023 hatte Binance im Rahmen eines Deals mit der US-Justiz Verstöße gegen Geldwäscheregeln eingestanden, eine Strafe von 4,3 Milliarden US-Dollar akzeptiert – und auch dem Einsatz einer unabhängigen Compliance-Aufsicht zugestimmt. Doch nicht nur das Unternehmen als solches war betroffen – auch dessen schwerreicher Gründer. Changpeng Zhao gab zu, keine effektives System zur Bekämpfung von Geldwäsche im Unternehmen implementiert zu haben, und trat als CEO zurück. In der Folge wurde der vielfache Milliardär zu vier Monaten Haft verurteilt.
Binance-Gründer Changpeng Zhao wurde 2024 zu vier Monaten Haft verurteilt. Vor Kurzem hat ihn US-Präsident Donald Trump begnadigt.
Zwei Börsen, zwei Geständnisse
Nach dem Schuldeingeständnis sparten die US-Behörden nicht mit schwerer Kritik: „Binance wurde die größte Krypto-Börse der Welt teilweise auch wegen der Verbrechen, die es begangen hat“, hieß es seinerzeit seitens der US-Justiz. Das Unternehmen habe mit Blick auf den Profit seine rechtlichen Verpflichtungen missachtet, ergänzte die damalige Finanzministerin Janet Yellen: Dieses Fehlverhalten habe es ermöglicht, dass Geld an Terroristen, Cyber-Kriminelle und Täter von Kindesmissbrauch geflossen sei.
Umso bemerkenswerter, dass nicht allzu lange Zeit später Hunderte Millionen Dollar von einem – offen als Geldwäscherisiko bezeichneten – Unternehmen wie Huione auf Kundenkonten bei Binance landen konnten. Doch Binance steht bezüglich Huione nicht alleine da: Auch zu OKX, einer weiteren führenden Krypto-Börse, liefen große Summen, wie die ICIJ-Recherchen nun zeigen. Dabei hat auch OKX bereits Erfahrungen mit der Justiz.
„Normalerweise stoppt das alles“
Im Februar 2025 gab OKX im Rahmen eines Deals zu, gegen Geldwäschegesetze verstoßen zu haben. Die Krypto-Börse akzeptierte eine Strafe von rund 504 Millionen Dollar. Laut US-Justiz sei OKX – aufgrund seines jahrelangen Fehlverhaltens – genutzt worden, um Zahlungen von mehr als fünf Milliarden Dollar abzuwickeln, die in Zusammenhang mit verdächtigen Transaktionen und kriminellen Handlungen gestanden seien. Als Teil des Deals mit der Justiz erklärte sich OKX auch bereit, einen bereits zuvor engagierten externen Compliance-Berater weiterhin einzusetzen.
Ungeachtet dessen flossen hunderte Millionen Dollar von Huione auf Kundenkonten bei OKX, wie die ICIJ-Recherchen im Zuge des Projekts „The Coin Laundry“ ergeben haben. Mehr als 161 Millionen Dollar davon übrigens, nachdem Huione im Mai 2025 von den Behörden als Geldwäscherisiko bezeichnet worden war. „Normalerweise stoppt das alles“, meint Ross Delston, ein Anwalt und Anti-Geldwäsche-Experte zum ICIJ. „Wenn die Regierung mitteilt, dass ein bestimmtes Unternehmen ein Hochrisikofall für Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung ist, müsste man verrückt sein, weiterhin Finanzgeschäfte mit ihm zu machen.“
Binance: „Führend beim Identifizieren verdächtiger Einlagen“
Im Oktober 2025 veröffentlichte FinCEN dann die finale Entscheidung bezüglich Huione: Der Firma wurde der Zugang zum US-Finanzsystem versagt. Huione diene dazu, die Beute aus Cyberattacken Nordkoreas zu waschen, hieß es – und auch Gelder von südostasiatischen Verbrecherorganisationen, die im Krypto-Investmentbetrug atkiv seien. Südostasien wird übrigens auch im österreichischen Fall Wandraschek noch eine gewisse Rolle spielen – doch dazu später mehr.
Gefragt nach den Huione-Geldern, erklärte Binance gegenüber dem ICIJ, man arbeite eng mit Strafverfolgungsbehörden auf der ganzen Welt zusammen. Binance sei in der Krypto-Industrie führend beim Identifizieren verdächtiger Einlagen und beim entsprechenden Umgang damit. Die Krypto-Technologie erlaube es jedoch nicht, Zahlungseingänge zu blockieren. OKX teilte auf Anfrage mit, stark in den Compliance-Bereich zu investieren. Man habe proaktive Schritte gesetzt, um entsprechende Konten zu beschränken, noch bevor Huione von den Behörden als Geldwäscherisiko bezeichnet wurde, heißt es. OKX arbeite diesbezüglich mit der US-Regierung zusammen, wobei der Anstoß dazu manchmal auch von der Börse selbst ausgehe.
Nachverfolgung der Zahlungsströme
Binance beziehungsweise Konten bei dieser größten Kryptobörse der Welt, spielen auch im Zwanzig-Millionen-Euro-Betrugsfall Wandraschek eine wichtige Rolle. Anwalt Taudes setzt in Krypto-Betrugsfällen auf eine umfassende Nachverfolgung der Zahlungsströme. Und das kann durchaus komplex werden.
Wie beschrieben, wurde Wandrascheks einbezahltes „Echtgeld“ auf Konten bei mehreren Kryptobörsen flugs in Bitcoin gewechselt und weitergeschickt. Wohin? „Bei der Nachverfolgung der Bitcoin-Transaktionen auf der Blockchain konnten wir 1528 Zahlungspfade zu 22 verschiedenen Kryptohandelsbörsen identifizieren“, erzählt Taudes und sagt auch, wohin der Großteil des Volumens – 629 von insgesamt 960 Bitcoins – zumindest zwischenzeitlich ging: „Zwei Drittel der Zahlungspfade (…) führten zu rund 70 Adressen bei der Krypto-Börse Binance.“
Sicherstellung durch die WKStA
An diesem Punkt war dann die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) am Zug, die zwischenzeitlich ein Ermittlungsverfahren eingeleitet hatte: Die WKStA ließ per Anordnung Wallet-Informationen von Binance sicherstellen. „Von der Staatsanwaltschaft wurden 63 Konten geöffnet“, berichtet Taudes. Binance habe auch tatsächlich Informationen zu den Wallet-Inhabern und zu den Transaktionen übermittelt.
Aus der Analyse dieser Transaktionsdaten ergab sich laut Taudes folgendes Gesamtbild: „Das Geld ist immer in Form von Bitcoins eingelangt und sofort in USDT (Anm.: die Krypto-Währung „Tether“, die auf dem Wert des US-Dollars basiert) gewechselt und weitertransferiert worden.“ Auf den Wallets habe es keine Ein- oder Auszahlungen in Echtgeld gegeben. „Und dann werden innerhalb von wenigen Monaten Millionen Euro in Form von Kryptowährungen empfangen, gewechselt und unverzüglich weitertransferiert – das hätte Binance auffallen müssen“, hebt der Rechtsanwalt hervor. Binance ließ eine Anfrage zur Causa unbeantwortet.
Analyse einer Wallet durch den Experten Bernhard Haslhofer: Große Summen an Bitcoin langen ein, praktisch gleichzeitig fließt das Geld in der Kryptowährung Tether wieder ab.
Analyse einer Wallet durch den Experten Bernhard Haslhofer: Große Summen an Bitcoin langen ein, praktisch gleichzeitig fließt das Geld in der Kryptowährung Tether wieder ab.
Netzwerke sichtbar machen
Im Fall Wandraschek hat Taudes bezüglich der Zahlungsanalyse den Sachverständigen Bernhard Haslhofer vom „Complexity Science Hub“ (CSH), einem Forschungszentrum in Wien, beigezogen. Haslhofer gilt als anerkannter Experte in diesem Bereich und hat Methoden entwickelt, mit denen Transaktionsnetzwerke sichtbar gemacht werden können. Das ist auch für Strafverfolgungsbehörden von Interesse. Erst unlängst veranstaltete der CSH in Wien gemeinsam mit Interpol und dem Bayerischen Justizministerium ein Technologie-Forum.
„Man kann sich ein Geldwäsche-Netzwerk wie eine Zwiebel vorstellen“, erklärt Haslhofer im Gespräch mit der „Süddeutschen Zeitung“, dem NDR und dem WDR, die gemeinsam mit profil zur Zwanzig-Millionen-Euro-Causa recherchiert haben. Die äußere Zwiebelschicht besteht laut dem Experten aus Strohmännern, die ihre Identität gegen Bezahlung hergeben oder deren persönliche Daten einfach gestohlen wurden: „Das sind Leute, die teilweise keine Ahnung haben, dass ein Konto in ihrem Namen eröffnet wurde.“ Bei diesen Personen würden dann die Behörden anklopfen. „Damit man an die Hintermänner kommt, müsste man aber in die Zwiebel rein“, erläutert der Experte.
Ausschnitt aus Haslhofers Analyse des Zahlungsnetzwerks
„Börsen müssten sehen, dass etwas nicht stimmt“
Haslhofer sieht jedenfalls die Kryptobörsen in der Verantwortung: Das Muster solcher Stohmann-Konten bei kriminellen Transaktionen sei auffällig, dazu die riesigen Summen. „Wenn wir das von außen sehen, dann müssten auch die Börsen intern sehen, dass hier etwas nicht stimmt.“ Die großen Kryptobörsen können die Geldbewegungen auf ihren Plattformen sehr wohl beobachten. Sie sind verpflichtet, verdächtige Transaktionen an die Behörden zu melden. Aber solange es nicht um sexuelle Missbrauchsdarstellungen von Kindern oder Personen auf Sanktionslisten gehe, sei dieses Monitoring „oft nicht mehr als ein Feigenblatt und wenig effektiv“, meint Haslhofer.
All das führt dazu, dass in den meisten Fällen das Geld längst weitergeflossen ist, bis die Behörden entsprechende Schritte setzen. Falls sie diese überhaupt setzen. „Unsere Netzwerkanalyse hat gezeigt, dass Geld auch innerhalb von Binance hin und her geschickt wurde und schließlich häufig bei der Kryptohandelsbörse HTX (Anm.: ehemals Huobi) landete“, erzählt Anwalt Taudes bezüglich der Causa Wandraschek. „Man weiß, wo das Geld hingegangen ist. Aber die österreichische Staatsanwaltschaft zeigt kaum Interesse daran, der Spur des Geldes zu folgen und auf diesem Weg die Hintermänner auszuforschen“, sagt Taudes: „Wir hätten gerne zu einer Vielzahl weiterer Krypto-Konten – auf die zweifellos Gelder des Opfers transferiert wurden – Informationen gehabt. Wir haben sie aber nicht bekommen, weil die Staatsanwaltschaft diese gar nicht erst angefragt hat.“ HTX ließ eine Anfrage unbeantwortet.
Ein Ausschnitt aus dem von Haslhofer ermittelten Zahlungsnetzwerk
WKStA: Rechtshilfeersuchen an Israel und Russland
Auf Anfrage von profil, „SZ“, NDR und WDR erklärt WKStA-Sprecher Martin Ortner, man habe noch nicht einmal bei den ersten 63 Wallets klären können, wem diese tatsächlich zuzurechnen sind. „Die Täter sind hochprofessionell aufgestellt“, sagt Ortner. Zur weiteren Klärung habe man Rechtshilfeersuchen nach Israel, aber auch nach Russland geschickt. Aktuell warte man auf die Antworten – insbesondere aus Israel. Außerdem sei das Bundeskriminalamt einer bestimmten Zahlungsspur in dem Fall so weit wie möglich nachgegangen. Diese Spur verliere sich aber im südostasiatischen Raum.
Ortner verweist auch auf einen rechtlichen Aspekt: „In Bezug auf Wallets ist die Rechtslage zur Geldwäsche zu beachten“, erklärt Ortner. Die Inhaber müssten zumindest ein Vorwissen haben, dass Geldwäsche stattfindet, um sie strafrechtlich verfolgen zu können. Im konkreten Fall warte man auch diesbezüglich auf die Antworten aus den Rechtshilfeersuchen.
Wie groß sind nach Einschätzung des WKStA-Sprechers generell die Chancen, Geld aus derartigen Krypto-Scams zurückzuholen? „Das Hauptproblem ist der Faktor Zeit“, sagt Ortner. Je länger eine Tat zurückliege, umso geringer sei die Chance. „Wenn die Behörden schnell eingeschaltet werden, gibt es jedoch durchaus auch Erfolge mit Sicherstellungen.“
Die WKStA wartet im Fall Wandraschek auf die Beantwortung von Rechtshilfeersuchen – vor allem aus Israel.
Anwalt Taudes: „150.000 Euro zurückgeholt“
Auch Rechtsanwalt Taudes betont, dass bei Krypto-Betrugscausen nicht immer von vornherein alles verloren ist. Im Fall Wandraschek habe man „dem Mandanten binnen kürzester Zeit rund 150.000 Euro zurückholen können“. Im Rahmen der Kontoöffnungen seien darüber hinaus weitere rund 250.000 Euro in Kryptowährungen gefunden worden. „Trotz mehrfacher Urgenzen“ sei seitens der Staatsanwaltschaft die Beschlagnahme aber erst nach etwa einem Jahr angeordnet worden – die Gelder seien da „von den Täter freilich schon weitertransferiert“ gewesen.
In einem anderen Krypto-Fall, der nicht bei der WKStA, sondern bei der Staatsanwaltschaft Wien anhängig war, ist es offenbar erst gar nicht zur gewünschten Sicherstellungen gekommen. Stattdessen erhielt Taudes ein Schreiben des Leiters der übergeordneten Oberstaatsanwaltschaft (OStA) Wien.
In dem Schreiben wurde zunächst festgehalten, dass die Staatsanwaltschaft keine Rechenschaft darüber abgeben müsse, „aufgrund welcher Erwägungen sie einer von der Kriminalpolizei angeregten Ermittlungsmaßnahme nicht nähertritt“. Und weiters schrieb der Chef der OStA Wien: „Nach dem mir vorliegenden Bericht der Leiterin der Staatsanwaltschaft Wien boten die Kontenöffnungen aufgrund bisheriger Erfahrungen in ähnlich gelagerten Fällen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Derartigen Konten liegen üblicherweise falsche (entwendete) Identitäten zugrunde. Tatsächlich greifbare Personen können dadurch in der Regel nicht ausgeforscht werden.“
Die Flinte ins Korn werfen?
„Leider erleben wir das viel zu häufig“, resümiert Anwalt Taudes. Seitens der Staatsanwaltschaft würden Ermittlungsschritte wie die Öffnung von Krypto- oder Bankkonten gar nicht erst vorgenommen. Der Rechtfertigung, wie sie aus dem OStA-Brief hervorgeht, könne er jedoch „gar nichts abgewinnen“, sagt Taudes: „Zum einen besteht die Möglichkeit, dass sich auf dem Konto – selbst wenn dieses mit falschen Identitäten eröffnet wurde – noch Vermögenswerte befinden, die beschlagnahmt und dem Opfer zurückgeführt werden können.“ Zum anderen könne mit den Daten aus der Kontoöffnung geprüft werden, wohin die Vermögenswerte weitertransferiert wurden. Auf diesem Weg könne man die Hintermänner ausforschen. „Für die Opfer ist das Tätigwerden der Staatsanwaltschaft in der Regel die einzige Chance auf Gerechtigkeit und Schadenswidergutmachung“, betont Taudes.
profil, „SZ“, NDR und WDR haben bei der OStA Wien nachgefragt. Dort verweist man allgemein darauf, dass das Thema Cybercrime Staatsanwaltschaften, Kriminalpolizei und Gerichte „zunehmend vor immer größere Herausforderungen“ stelle. Diese Form der Kriminalität habe sich „zu einem Massenphänomen entwickelt, welches auch vor Landesgrenzen nicht Halt macht“. Die Justiz habe – laut OStA Wien – in den vergangenen Jahren zwar große Anstrengungen unternommen, um sich in diesem Segment gut aufzustellen, etwa durch die Schaffung von Cybercrime-Kompetenzstellen bei den Staatsanwaltschaften. Allerdings würden die „sowohl auf der Ebene des Innen- als auch des Justizressorts beschränkten personellen Ressourcen“ dazu führen, dass nach wie vor nur in Einzelfällen die Ausforschungen von Hintermännern gelinge.
Zu den personellen Problemen kamen bisher auch rechtliche: Laut OStA Wien ist überhaupt erst seit einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofs von vergangenem Juni klar, dass in allen Fällen, bei denen ein Opfer „die vermögensschädigende Handlung im Inland setzt“, die österreichische Justiz zuständig ist. Bis dahin hielt man es offenbar nicht immer für ausreichend, dass – zum Beispiel – vom Opfer im Zuge des Betrugs Geld von einem österreichischen Bankkonto wegüberwiesen wurde. Zumindest das scheint nun klargestellt.
US-Präsident Donald Trump fährt einen betont freundlichen Kurs gegenüber der Krypto-Industrie.
OStA Wien: Österreich überforderte ausländische Behörden
Doch dann gibt es da noch die Sache mit dem Ermessensspielraum: Oftmals seien durch eine Kontenregisterabfrage im Rechtshilfeweg keine Aufschlüsse über die Identität der Täter zu erwarten, heißt es seitens der OStA Wien. Bevor ein Rechtshilfeersuchen in der EU gestellt werde, sei jedoch unter anderem zu berücksichtigen, ob „die Befassung eines anderen Mitgliedsstaats“ in einem angemessenen Verhältnis zum angestrebten Erfolg stehe. Die Praxis habe gezeigt, dass ausländische Behörden „mit der Anzahl der von Österreich übermittelten Ermittlungsanordnungen überfordert waren“ und diese letztlich „vielfach nicht vollzogen wurden“. Insofern könne die Ausübung dieses Ermessensspielraums im Vorfeld dazu führen, „dass eine länderübergreifende Nachverfolgung von Geldflüssen in Einzelfällen zu unterbleiben hat“.
Zusammenfassend lässt sich feststellen: In der Krypto-Welt sind Kriminelle den staatlichen Ermittlern oft meilenweit voraus. Während hier fast schon so etwas wie Resignation zu bemerken ist, verspüren die Krypto-Börsen, die in den vergangenen Jahren zumindest in einigen Fällen an die Kandare genommen wurden, gerade wieder Rückenwind. US-Präsident Donald Trump fährt einen betont freundlichen Kurs gegenüber der Krypto-Industrie. Der Präsident hat sogar seinen eigenen „TRUMP Coin“ herausgebracht.
Vor wenigen Wochen begnadigte Trump sogar Binance-Gründer Changpeng Zhao. Zwar hatte dieser seine viermonatige Haft bereits im Jahr 2024 abgesessen. Durch die Begnadigung fallen für ihn nun allerdings Beschränkungen weg, was geschäftliche Unternehmungen im Finanzbereich betrifft. Es wird sich weisen, inwieweit andere Staaten große Krypto-Plattformen zur Verantwortung ziehen können, wenn die Finanz-Macht USA die Zügel lockerlässt.
ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ). 2022 wurde er mit dem Prälat-Leopold-Ungar-Journalist*innenpreis ausgezeichnet.