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Die Spur der Coins: Krypto-Börsen und dunkle Milliarden

Alleine in den vergangenen beiden Jahren flossen mehr als 27 Milliarden Dollar an schmutzigem Geld zu Krypto-Börsen – ein Einfallstor für Kriminelle. Nun gewährt eine internationale Recherche, an der auch profil beteiligt ist, tiefe Einblicke.

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Alles beginnt mit René Benko: Mitte 2020 gilt der Signa-Gründer und Immobilien-Tycoon noch als höchst erfolgreicher Unternehmer. Kein Wunder, dass das Interesse des Österreichers Felix Wandraschek rasch geweckt ist, als er im Internet auf ein vermeintliches Benko-Interview stößt. Dies umso mehr, als darin von einer Investment-Möglichkeit im Krypto-Bereich die Rede ist. Das könnte eine Chance auf gutes Geld sein.

Praktischerweise ist damals gleich auch ein entsprechender Internet-Link in den Artikel eingebettet, wie Wandrascheks Rechtsanwalt Roman Taudes später schildert. Dass das alles ein Fake ist – eine Betrugsmasche, die mit der unerlaubten Nutzung von Prominenten-Gesichtern Aufmerksamkeit erregt – und Benko selbst nie und nimmer etwas damit zu tun hat, merkt Wandraschek nicht. Er klickt auf den Link, um mehr über diese potenziell gewinnbringende Anlagemöglichkeit zu erfahren. Die Folge: Ein gutes Jahr später, im September 2021, hat Wandraschek viel Geld verloren. Enorm viel Geld. Mehr als zwanzig Millionen Euro.

Kriminalität im industriellen Ausmaß

Felix Wandraschek heißt nicht wirklich so – profil schützt die Identität des Betrugsopfers. Es geht auch weniger um ihn persönlich. Es geht um Kriminalität im industriellen Ausmaß, die sich in den vergangenen Jahren fast schon ungebremst ausbreiten konnte. Um Verbrechen, bei denen Menschen kaltblütig und generalstabsmäßig abgezockt werden. Und es geht um die dahinter liegende Infrastruktur, ohne die es den Tätern gar nicht möglich wäre, ihre Beute blitzschnell herumzuschieben, Geldflüsse zu verschleiern und letztlich oft ungestraft davonzukommen. Eine Infrastruktur, an deren Knotenpunkten jene sitzen, die die Welt von Bitcoin & Co. eigentlich so richtig am Laufen halten: große Krypto-Börsen, sogenannte „Exchanges“.

Diese nehmen im Coin-Universum eine ähnliche Rolle ein wie Banken im klassischen Zahlungsverkehr. Sie hätten es durchaus in der Hand, das Krypto-System, in dem mittlerweile schwindelerregende Summen bewegt werden, sicherer zu gestalten. Gemäß einer Analyse der Plattform CoinGecko lief alleine im Jahr 2023 über die größten Exchanges ein Handelsvolumen im Wert von insgesamt 35,2 Billionen US-Dollar. Oft werden die Börsen jedoch selbst zum Einfallstor für Betrüger, Geldwäscher und andere Kriminelle. Zahlen der Krypto-Analysefirma Chainalysis zufolge floss in den vergangenen beiden Jahren schmutziges Geld im Ausmaß von mehr als 27 Milliarden Dollar zu Krypto-Börsen. Dieses stammt unter anderem aus Betrugsfällen, aus Ransomware-Erpressungsattacken, von Darknet-Märkten oder steht in Zusammenhang mit sanktionierten Unternehmen beziehungsweise Personen. Die Börsen streifen dann ihrerseits Transaktionsgebühren ein.

Logo des Investigativ-Projekts „The Coin Laundry“
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Internationale Recherche: „The Coin Laundry“

Eine internationale Recherche unter der Leitung des „International Consortium of Investigative Journalists“ (ICIJ) gewährt nun tiefe Einblicke in dieses System. Im Rahmen des Projekts „The Coin Laundry“ verfolgten Journalistinnen und Journalisten aus 35 Ländern monatelang dunkle Geldflüsse in diversen Kryptowährungen. Am Projekt haben insgesamt 38 Medienhäuser mitgewirkt, darunter die „Süddeutsche Zeitung“, NDR und WDR. In Österreich ist profil daran beteiligt. Und hierzulande spielt sich eben auch der Fall Wandraschek ab.

Was die Höhe des Verlusts betrifft, mag Wandraschek ein besonders herausragendes Beispiel sein. Es gibt jedoch unzählige Opfer derartiger Betrugsmaschen. Den meisten von ihnen geht nach ein paar Tausend oder Zehntausend verlorenen Euro finanziell die Luft aus, nicht erst nach mehreren Millionen. Das Resultat ist aber nicht weniger dramatisch: Die Ersparnisse sind weg. Manche nahmen auch extra Kredite auf. Und die Chancen, das Geld wiederzubekommen, sind sehr begrenzt, wenn auch nicht völlig aussichtslos.

Zu Beginn schaut jedenfalls alles meist ganz harmlos aus. Wandraschek ist dem Link im Internet gefolgt. Dann habe er seine E-Mail-Adresse angegeben und sei daraufhin telefonisch kontaktiert worden, erzählt Anwalt Taudes, der zahlreiche Betroffene sogenannter Krypto-Scams vertritt. „Der Anrufer hat es geschafft, dass das Opfer erste Überweisungen vornahm“, beschreibt Taudes. Zunächst in einer verträglichen Größenordnung: Die erste Zahlung habe sich bei rund 250 Euro bewegt. Daraus wurde jedoch rasch mehr. Insgesamt hat Wandraschek gut zwanzig Millionen Euro einbezahlt – in rund 300 Tranchen von je 50.000 bis 100.000 Euro. Wie in derartigen Fällen durchaus üblich, wurde dem Betrugsopfer gegenüber so getan, als fänden mit dem Geld – wie bei einem echten Investment – Handelsbewegungen statt. Laut Anwalt Taudes wurden seinem Mandanten auch angebliche Gewinne vorgegaukelt.

„Bei den Exchanges müssen die Alarmglocken läuten“

„Die Täter haben sich so sehr das Vertrauen des Opfers erschlichen, dass dieser sie sogar auf seinen Computer zugreifen hat lassen“, berichtet Anwalt Taudes. Das Geld sei zunächst in Euro auf ein Konto bei einer Krypto-Börse überwiesen worden. „Dort wurde das Geld in Bitcoins gewechselt und weitertransferiert.“ An diesem Punkt setzt die erste Kritik in Richtung Handelsplattformen an: „Bei einem solchen Muster – hohe Einzahlungen gefolgt von einem sofortigen Wechsel in Bitcoin und deren Weiterleitung – müssen bei den Exchanges die Alarmglocken läuten“, meint Taudes. Viele Krypto-Börsen würden jedoch „untätig“ bleiben oder zu spät mit Kündigung der entsprechenden Krypto-Konten – auch „Wallets“ genannt – reagieren.

Doch Krypto-Börsen spielen auch noch im weiteren Verlauf derartiger Betrugsfälle eine Rolle, nicht nur bei der Einzahlung des „Echtgeldes“. Täter nutzen Börsen in der Folge auch, um die Beute aufzusplitten, sie über viele Stationen – sprich: Wallets – zu schicken, in andere Kryptowährungen zu wechseln und ordentlich mit anderen Geldern durchzumischen. Mit anderen Worten: zu waschen.

Stefan Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ). 2022 wurde er mit dem Prälat-Leopold-Ungar-Journalist*innenpreis ausgezeichnet.