Illustration zum Projekt „Damascus Dossier“: auf dem Boden verstreute Papiere, dazwischen Patronen
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Inside Assad-Regime: Folter, Tod und Unterdrückung

Eine internationale Investigativ-Kooperation blickt ins Innere des vor einem Jahr gestürzten Regimes von Langzeit-Diktator Bashar al-Assad. Eine Welt aus Geheimdiensten, Gefängnissen, Gräueltaten – und Millionengeschäften.

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Es sind Fotos, die man wohl nie wieder vergisst, wenn man sie einmal gesehen hat. Bilder toter Menschen. Ausgemergelte, bis auf die Knochen abgemagerte Körper. Nackt. Hingestreckt auf den bloßen Boden. Manche von ihnen blutverschmiert. Mit einem Zettel auf der Brust, auf dem eine Nummer steht. Nicht zehn Fotos, nicht zwanzig, sondern Zehntausende. Ein bizarres Archiv des Todes, überliefert aus den Folter-Gefängnissen des syrischen Assad-Regimes, das vor einem Jahr gestürzt wurde. Und nun erstmals dokumentiert von Journalistinnen und Journalisten im Rahmen einer internationalen Investigativ-Kooperation.

Das Projekt mit dem Namen „Damascus Dossier“ erlaubt einen tiefen Blick in das Innenleben des Schreckensstaates, den Langzeit-Diktator Bashar al-Assad geschaffen hat, um trotz Arabischem Frühling, Revolution und Bürgerkrieg an der Macht zu bleiben. Es war eine Welt, in deren Zentrum ein Apparat aus Geheimdiensten und Foltergefängnissen stand, bereit, jede Opposition im Keim zu ersticken.

Logo des Projekts „Damascus Dossier“
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Projekt „Damascus Dossier“

Basis der internationalen Recherche, an der in Österreich profil und ORF beteiligt sind, ist eine riesige Menge geleakter syrischer Geheimdienstdaten, die der „Norddeutsche Rundfunk“ (NDR) mit dem „International Consortium of Investigative Journalists“ (ICIJ) teilte. Es handelt sich dabei um mehr als 134.000 Dateien, die ursprünglich aus dem Geheimdienst der syrischen Luftwaffe und aus der „Direktion für allgemeine Sicherheit“ – dem wichtigsten zivilen Nachrichtendienst des Assad-Regimes – stammen.

ICIJ, NDR und 24 Partnermedien in zwanzig Ländern haben die Daten in monatelange Arbeit ausgewertet, analysiert und weitere Recherchen dazu angestellt. Insgesamt waren 127 Journalistinnen und Journalisten am Projekt „Damascus Dossier“ beteiligt.

Illustration zum Projekt „Damascus Dossier“ – den Fotos toter Gefangener nachempfunden
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Assads Archiv des Todes

Zusätzlich zu den syrischen Geheimdienst-Daten teilte der NDR mit dem ICIJ und den anderen Partner-Medien auch noch 70.000 weitere Dateien und Fotos. Darunter 33.000 hochauflösende Bilder, welche den Tod von mehr als 10.200 syrischen Gefangenen – hauptsächlich zwischen 2015 und 2024 – dokumentieren. Es handelt sich dabei um die größte derartige Fotosammlung, die Journalisten jemals in Händen gehalten haben. Die Bilder zeigen Gefangene, die in Gefängnissen und in Spitälern des Regimes zu Tode gekommen sind. Ihr grausames Ableben wurde von syrischen Militärfotografen dokumentiert, die Körper nummeriert und mit bürokratischer Präzision katalogisiert.

profil hat sich dagegen entschieden, diese Fotos im Rahmen der Berichterstattung zu zeigen. Es handelt sich um schreckliche Bilder, die jedenfalls nicht unvorbereitet betrachtet werden sollten und Traumatisierungen auslösen oder verstärken könnten. Gleichzeitig würde es das Geschichtsbild verfälschen, nur Bilder zu zeigen, die vielleicht etwas weniger brutal wirken. Wer nach reiflicher Überlegung entscheidet, selbst einen repräsentativen Querschnitt betrachten zu wollen, sei auf die Website des ICIJ verwiesen – an dieser Stelle jedoch noch einmal ein ausdrücklicher Warnhinweis.

Bis zu 177 Fotos pro Tag

Im Rahmen des Projekts „Damascus Dossier“ haben Reporter von ICIJ, NDR und „Süddeutscher Zeitung“ eine Auswahl Hunderter dieser Fotos analysiert. Das schockierende Ergebnis: Die Mehrzahl der Opfer weist Zeichen des Verhungerns und körperliche Schäden auf. Viele sind auf den Fotos nackt. Ein Militärfotograf in Gummistiefeln oder chirurgischen Überziehern an den Füßen schoss Fotos aus verschiedenen Perspektiven und sammelte diese akribisch in digitalen Ordnern. Pro Tag wurden bis zu 177 Fotos angefertigt.

Die Fotos erinnern an die sogenannten „Ceasar Files“, die bereits vor einigen Jahren für Sanktionen gegen das Assad-Regime gesorgt haben. Die damaligen Bilder zeigten Gefangene, die in den Jahren 2011 bis 2013 getötet worden waren. In Bezug auf die „Ceasar Files” kam auch ans Tageslicht, warum derartige Fotos überhaupt angefertigt wurden: Damit das Militär beweisen konnte, ihm aufgetragene Tötungen auch tatsächlich durchgeführt zu haben.

Geldspur nach Österreich und Anklage gegen Ex-General

profil hat sich im Rahmen der „Damascus Dossier“-Recherche unter anderem auf die Geldspur der syrischen Elite in Richtung Mitteleuropa begeben. Darüber hinaus widmen sich profil und ORF der Folter-Anklage gegen einen syrischen Ex-General, welche kürzlich von der Staatsanwaltschaft Wien erhoben wurde – er bestreitet die Vorwürfe und will die Anklage beeinspruchen. Mehr dazu in Kürze auf profil.at.

Stefan Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ). 2022 wurde er mit dem Prälat-Leopold-Ungar-Journalist*innenpreis ausgezeichnet.