Prozess um ÖIF-Immobilien: „Weihnachtsgeschenk“ oder Bruchbuden?
Es sind zwei Schreiben, die – obwohl sie vom selben Absender stammen – unterschiedlicher kaum ausfallen könnten. Beide spielen im Millionenprozess um frühere Immobilien-Deals des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) eine Rolle. Und am Freitag wartete ein Zeuge vor Gericht mit einer bemerkenswerten Erklärung auf.
Seit Sommer 2024 läuft am Landesgericht Wien ein Verfahren gegen einen früheren ÖIF-Geschäftsführer und mehrere Mitangeklagte – profil berichtet regelmäßig aus dem Gerichtssaal. Es geht um eine Reihe von Anklagepunkten. Ein wesentlicher davon: Der Verkauf zweier Zinshäuser des ÖIF an einen Immobilienunternehmer im Jahr 2008.
Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) geht in ihrer Anklage davon aus, dass der Verkaufspreis weit unter dem wahren Wert der Liegenschaften lag. Sie ortet alleine bei diesem Anklagepunkt – gestützt auf ein Sachverständigengutachten – einen Schaden für die öffentliche Hand von zumindest rund 4,6 Millionen Euro. Alle Beschuldigten bestreiten sämtliche Vorwürfe. Ein zentrales Argument: Die Häuser wären nach langer Nutzung als Flüchtlingsunterkünfte quasi Bruchbuden gewesen. Der Integrationsfonds hätte sich die notwendige Sanierung nicht leisten können.
„Keine Wohnung an Asylanten“
Der Immobilienunternehmer, der den – mutmaßlich zu günstigen – Zuschlag erhielt, sitzt ebenfalls auf der Anklagebank. Und am Freitag war ein langjähriger Rechtsanwalt des Mannes als Zeuge geladen. Dieser hatte einst den Kaufvertrag erstellt. Der Advokat – ein geübter Experte im Immobilienbereich – wurde vom Vertreter der WKStA unter anderem mit zwei Schreiben konfrontiert, denen in der Anklage doch eine gewisse Bedeutung zukommt.
Beim ersten handelte es sich um jenes Schreiben, mit dem laut WKStA der Unternehmer seinerzeit beim Kundenbetreuer seiner Bank um einen Kredit für den Deal ansuchte – und zwar unter dem Titel „Weihnachtsgeschenk“. Der Unternehmer schilderte im Dezember 2008 unter anderem, dass keine akuten Investitionen notwendig seien, keinerlei Einschränkungen hinsichtlich der Vermietbarkeit von freiwerdenden Wohnungen vorliegen würden, der Verkauf einzelner Wohnungen überhaupt kein Problem sei und man „sicher keine einzige Wohnung“ an „Asylanten“ vermieten werde.
Später auf Nachverhandlung gedrängt
Das zweite Schreiben stammt aus dem Jahr 2015, wurde vom als Zeugen befragten Anwalt für seinen Mandanten verfasst und könnte kaum diametraler ausfallen. In diesem Brief beklagte der Anwalt unter anderem, dass der Unternehmer verpflichtet sei, die Immobilien weiterhin als Integrationshäuser zu bewirtschaften, eine ordnungsgemäße Sanierung und Instandhaltung vorzunehmen und eine mehrsprachige Betreuung für die Mieter anzubieten. Die Substanz der Wohnungen wäre jedoch schlecht, die Erträge könnten nicht ansatzweise die Kosten decken, eine Vielzahl der Wohnungen wären unverwertbar. Im Brief wurde auf eine nachträgliche Vertragsanpassung gedrängt.
Was stimmt nun? Waren die Liegenschaften ein günstiges „Weihnachtsgeschenk“, wie auch die WKStA in der Anklage unterstellt, oder unwirtschaftliche Bruchbuden? Der Immobilien-Anwalt vertrat als Zeuge unter Wahrheitspflicht eine klare, jedoch umso bemerkenswertere Position: „Es schockt mich nicht, dass man Banken etwas Anderes erzählt als die Realität“, gab der erfahrene Jurist unumwunden zu Protokoll: „Sonst würde man nie einen Kredit kriegen.“
Auch in einem anderen Zusammenhang sorgte der Anwalt für ein Aufhorchen im Saal – nämlich, als er zu einem bestimmten Abrechnungsvorgang befragt wurde. „Das ist eine Scheinrechnung, die ich gelegt habe“, gab der Mann ohne zu zögern zu und konkretisierte: eine Rechnung, die er gelegt habe, ohne dass die entsprechende Leistung entgegenstanden sei. Offenbar musste er deshalb eine Steuernachzahlung leisten. „Ich habe daraus gelernt“, meinte der Anwalt. Er mache keine „Gefälligkeitsrechnungen“ mehr.
Zustand „katastrophal“
Was den wahren Wert der Wohnungen betrifft, wird sich zeigen, welcher Linie am Ende des Tages das Gericht folgt: eher der Schilderung gegenüber der kreditgebenden Bank oder jener, die später vorgebracht wurde, als man eine Nachverhandlung erreichen wollte. Bereits gestern, Donnerstag, wurde jedenfalls eine Zeugin vor Gericht befragt, die – ihren Angaben zufolge – zumindest eine deutliche zweistellige Zahl an ÖIF-Wohnungen von innen gesehen hat. Die Frau war demnach seinerzeit damit beauftragt, Käufer für rund dreißig Wohnungen zu finden. In etwa so vielen sei sie auch persönlich gewesen. Sie habe damit „mehr Wohnungen gesehen als die Sachverständigen“ im Gerichtsprozess, hielt Anwalt Johannes Zink fest, der den Hauptangeklagten Ex-ÖIF-Geschäftsführer vertritt.
Der Eindruck der Frau? Sie könne sich an keine einzige Wohnung erinnern, die nicht in einem katastrophalen Zustand gewesen sei. Zwar hat die Zeugin ihrer Aussage zufolge keine Wohnungen in jenen beiden Zinshäusern besichtigt, die in der Anklage eine Rolle spielten, sondern andere, die dem ÖIF gehörten. Als ihr Vergleichsfotos vorgehalten wurden, meinte sie jedoch, das decke sich mit ihrer Erfahrung.
Wie wiederum die Gerichtssachverständigen ihre Ansicht zum Wert der Immobilien argumentieren, wird man voraussichtlich im Dezember im Detail erfahren. Nach einem Jahr biegt der ÖIF-Prozess langsam auf die Zielgerade. Im November sollen an drei Verhandlungstagen rund zehn verbliebene Zeugen befragt werden. Im Dezember präsentieren dann die Sachverständigen ihre Gutachten und müssen sich dazu den Fragen der Verteidigung stellen. Anfang 2026 könnte der Prozess dann mit einem Urteil zu Ende gehen – zumindest in der ersten Instanz.