„Festnahme selbst bei Facebook-Posts“
Schon vor der Revolution im Zuge des Arabischen Frühlings im Jahr 2011 sei es in Syrien sehr schwierig gewesen, sich politisch zu engagieren, erzählt der Mann, der in der medialen Berichterstattung anonym bleiben möchte. Sogar in der Anklageschrift sind die Zeugen bis dato nur mit Nummern angeführt – zum Schutz der mutmaßlichen Opfer selbst, aber auch ihrer in Syrien lebenden Angehörigen.
Nach dem Ausbruch der Revolution habe dann jeder Schwierigkeiten bekommen, der politische Ideen öffentlich ansprechen wollte, erzählt der Zeuge im Interview. Selbst wenn man nur knappe Posts auf Facebook dazu gemacht habe, sei es dazu gekommen, dass man vom Sicherheitsapparat des Regimes festgenommen wurde.
Staatsanwaltschaft: „Massiv körperlich misshandelt“
Teil dieses Sicherheitsapparats in Rakka waren laut Verdachtslage auch die beiden Beschuldigten, welche die Staatsanwaltschaft Wien nunmehr vor Gericht bringen will. Der ehemalige Brigadegeneral bekleidete demnach eine leitende Funktion im syrischen Geheimdienst, wobei er auch die Aufsicht über eine Haftanstalt gehabt haben soll. Der zweite Beschuldigte leitete wiederum die Ermittlungsabteilung der örtlichen Kriminalpolizei.
Beide sollen für die Festnahme, die Inhaftierung und die anschließende Einvernahme von Zivilpersonen organisatorisch verantwortlich gewesen sein „und fallweise auch selbst Tätlichkeiten gegen inhaftierte Personen gesetzt haben“, heißt es in einer Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Wien. Unter ihrer Befehlsgewalt seien Zivilisten „unter prekären sanitären und unmenschlichen Bedingungen“ von Beamten des Geheimdiensts und der Kriminalpolizei „wiederholt auch unter Anwendung von Folterwerkzeugen zum Teil massiv körperlich misshandelt und zur Ablegung von für sie nachteiligen Geständnissen beziehungsweise Aussagen“ genötigt worden.
Anklage: Schläge, Tritte, Elektroschocks
Dem Ex-General werden zahlreiche Fälle schwerer Körperverletzung vorgeworfen – fast alle davon als Beitragstäter. In einem Fall soll er aber ein Opfer während einer Befragung auch selbst mehrmals geschlagen und die Anwendung intensiver Gewalt angeordnet haben. Daraufhin soll der Häftling dann von Wachebeamten im Keller mit Elektrokabeln geschlagen und auf einem Folterwerkzeug namens „fliegender Teppich“ misshandelt worden sein. Darunter versteht man eine Holzkonstruktion, auf welcher der Betroffene gänzlich fixiert ist, sein Körper aber auf bestimmte Weise abgewinkelt werden kann.
Darüber hinaus wird dem früheren Brigadegeneral auch das Verbrechen der Folter als Bestimmungs- bzw. Beitragstäter vorgeworfen. Demnach habe er die Misshandlung einer Person – unter anderem, um von dieser ein Geständnis zu erlangen – veranlasst oder zumindest nicht untersagt. profil-Informationen zufolge ist diesbezüglich in der Anklageschrift von Schlägen, Tritten und Elektroschocks die Rede.
Zeuge: „Alle haben gewusst, was dort passiert ist“
„Die meisten Menschen in Syrien haben gewusst, was drinnen abgeht“, meint der Zeuge, mit dem profil und ORF sprechen konnten, generell mit Blick auf die Situation in Gefängnissen im Assad-Regime. Das Regime habe bewusst auf eine abschreckende Wirkung abgezielt. „Je mehr Demonstranten es auf den Straßen gab, umso brutaler war der Umgang mit Ihnen“, erzählt der Mann auch konkret mit Blick auf die Stadt Rakka. Das Sicherheitsgebäude sei den Einwohnern der Stadt bekannt gewesen: „Alle Menschen haben gewusst, was dort passiert ist.“ Alle hätte sich davor gefürchtet. Auch der General sei in Rakka bekannt gewesen, sagt der Zeuge. Er habe schon vor der Revolution einen schlechten Ruf gehabt.
Sofern ein Gefangener einen hohen Stellenwert in der Gesellschaft oder in der Politik gehabt habe, hätte der General mitunter selbst „das Foltern geleitet“, behauptet der Mann, der das Interview über einen Dolmetscher in arabischer Sprache gegeben hat. Es habe auch Fälle von Ermittlungen – sinngemäß wohl: Einvernahmen – gegeben, die im Büro des Generals stattgefunden hätten, meint der Zeuge.
Anwalt: Großteil nicht überprüfbar
An dieser Stelle sei nochmals betont: Beide Beschuldigte bestreiten sämtliche Vorwürfe. Es gilt in vollem Umfang die Unschuldsvermutung. Rechtsanwalt Timo Gerersdorfer, der den in U-Haft sitzenden Ex-General vertritt, teilt auf Anfrage mit: „Die Anklage beruht großteils auf anonymisierten, widersprüchlichen und in ihrer Entstehung höchst problematischen Aussagen aus einem Bürgerkriegsumfeld, die erst viele Jahre nach den behaupteten Ereignissen aufgetaucht sind.“ Ein großer Teil dieser Angaben entziehe sich „jeder nachvollziehbaren Überprüfbarkeit“.
Besonders kritisch sieht Gerersdorfer, dass „zentrale Belastungselemente von anonymisierten Zeugen stammen“. Seinem Klienten sei damit „jede Möglichkeit genommen, die Herkunft dieser Aussagen, deren Kontext oder mögliche Einflussnahmen zu hinterfragen“. Eine effektive Überprüfung der Glaubwürdigkeit sei dadurch nicht möglich. Dies berühre grundlegende Verteidigungsrechte. „Der notwendige verfahrensrechtliche Ausgleich fehlt vollständig“, meint Gerersdorfer.
„Niemals solche Handlungen gesetzt“
Die Anklageschrift hält der Anwalt für „in weiten Teilen suggestiv formuliert“. Voneinander unabhängige Vorfälle und Zeiträume würden „ohne klare Trennung miteinander verknüpft“. Der daraus entstehende Gesamteindruck entspreche „weder der tatsächlichen dienstlichen Stellung meines Klienten, noch den objektiv erkennbaren Akteninhalten“. Entlastende Umstände würden ausgeblendet, zentrale Widersprüche blieben unbeachtet. Deshalb habe man „einen umfassenden, detailliert begründeten Einspruch gegen die gesamte Anklage eingebracht“, welche wesentliche gesetzliche Anforderungen nicht erfülle.
Inhaltlich teilt Gerersdorer mit: „Mein Mandant hat niemals Anordnungen zu Misshandlungen, Gewalt oder Folter gegeben oder solche Handlungen gesetzt.“ Er sei in seiner damaligen Funktion weder befugt, noch in der Lage gewesen, „entsprechende Maßnahmen zu verfügen“. Ebenso entschieden weise der Ex-General die Behauptung zurück, er sei in Rakka für ein „hartes Vorgehen“ bekannt gewesen oder hätte politische Gefangene verhört.
Der frühere Offizier werde sich in einer allfälligen Hauptverhandlung „umfassend äußern und zur Aufklärung beitragen“, erklärt sein Anwalt: „Er vertraut darauf, dass das Gericht im Zuge einer objektiven Beweisaufnahme nicht auf Spekulationen oder anonymisierte und nicht überprüfbare Angaben abstellt, sondern auf belastbare Fakten.“
Auch zweiter Beschuldigter kündigt Einspruch an
Rechtsanwalt Roland Kier, der den zweiten Beschuldigten vertritt, teilte Anfang der Woche mit, sein Mandant habe „bis heute keine Übersetzung des Aktes“ beziehungsweise wesentlicher Teile desselben, „insbesondere der gegenständlich zentralen Zeugenaussagen“. Daher könne er inhaltlich bis dato nur mitteilen, dass er die erhobenen Vorwürfe „zur Gänze bestreitet“. Man werde einen Einspruch gegen die Anklageschrift einbringen. Ein strafrechtlicher Folter-Vorwurf wird seinem Mandanten übrigens nicht gemacht. Bei ihm geht es in erster Linie ebenfalls um schwere Körperverletzung, hauptsächlich als mutmaßlicher Beitragstäter.
Dass die Zeugen – sofern es tatsächlich zum Prozess kommt – gegenüber dem Gericht anonym bleiben können, ist tatsächlich wohl nicht zu erwarten. profil-Informationen zufolge hat die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklageschrift jedenfalls deren Ladung beantragt. Was erhofft sich nun jener Mann, mit dem profil und ORF gesprochen haben, vom Verfahren? „Leider war das ein sehr schlechtes Gefühl zu sehen, dass die Menschen, die andere gefoltert haben, sich frei bewegen konnten in Europa“, sagt der Zeuge im Interview: „Ich wünsche mir, dass Gerechtigkeit geschaffen wird.“ Die Verbrecher sollten die maximale mögliche Strafe im Rahmen des Gesetzes bekommen – insbesondere der Ex-General, meint der Mann.
Zeuge: „Will Gerechtigkeit“
Was bedeutet es für ihn persönlich, als Zeuge in einem solchen Prozess aufzutreten? Man habe in Syrien diese Personen damals nicht zur Rechenschaft ziehen können, erklärt der Mann sinngemäß: „Jetzt haben wir die Möglichkeit hier auf eine gerechte Gerichtsverhandlung. Ich wünsche mir, dass wir Gerechtigkeit für all jene erreichen, die es nicht geschafft haben – und für all diejenigen, die vieles verloren haben.“
Es wird sich weisen, wie das Oberlandesgericht Wien mit den Anklageeinsprüchen umgeht. Sollte die Causa tatsächlich vor Gericht landen, ist internationale Aufmerksamkeit jedenfalls garantiert.