Ab wann ist man Schriftstellerin? Ein Treffen mit der oberösterreichischen Autorin Eva Reisinger, 31, die aktuell mit ihrem Debüt „Männer töten“ für Aufsehen sorgt.
Frieda kümmert’s nicht. Die Nominierung für die Shortlist des Debütpreises 2023? Die hymnischen Kritiken? Eva Reisingers Cockerspaniel widmet sich an diesem Novembervormittag lieber seinem Kauknochen.
Reisingers erster Roman trägt den Titel „Männer töten“. Sie wuchs in der oberösterreichischen Provinz auf, studierte Journalismus in Wien, arbeitete in Berliner und Hamburger Medienhäusern. 2021 erschien ihr Buch „Was geht, Österreich?“ mit Einblicken in das austriakische Hinterland zwischen Alkoholseligkeit und Brachialfolklore. „Sie lebt als freie Autorin mit ihrer Hündin Frieda in Wien und träumt vom Matriarchat“, weiß die Website ihres Verlags.
„Männer töten“ ist ein Buch, in dem Frauen morden und Männer mit Kühen reden, die nach den Vornamen österreichischer Politikerinnen und Politiker benannt sind. Ein Roman, der eine fiktive oberösterreichische, von ausgesuchten Schwachköpfen und Schnapsliebhabern bevölkerte Provinz und das Matriarchat in einem Weiler namens Engelhartskirchen etabliert. Ein Dasein zwischen „Trottel-Nazi-Gruppe“ und „aufgespießten Hähnchen“, die sich im „Takt des Landlebens“ drehen. „Ihr sollt pudern!“, ruft der Jungbauer seinem Hornvieh zu. Der Dorfmediziner und ein großmäuliger Journalist leben in Engelhartskirchen jedenfalls gefährlich.
Gedruckt werden!
Reisingers Roman steht stellvertretend für das Schreiben, Verlegen und Verbreiten von Literatur im Digitalzeitalter. Die Wege zum ersten Buch scheinen klarer denn je ausgeschildert: Das literarische Schreiben wird als künstlerisches Hochschulstudium angeboten, Agenturen kümmern sich um Verlagssuche und Vermarktung, für die Verlage selbst ist Social-Media-Marketing längst kein Fremdwort mehr. Der Schweizer Paul Nizon erinnerte sich in seinem Journal „Die Innenseite des Mantels“ an die eigenen Anfänge als Autor: „Der junge Schriftsteller, der Debütant, möchte nur eines: gedruckt werden. Mit dem gedruckten Buch wird er erst Schriftsteller, das genügt vorerst, er ist beim ersten Buch der einzige Schriftsteller auf der Welt, alles liegt offen vor ihm.“ Nizon als klassischer Elfenbeinturmbewohner – die angehenden Autorinnen und Autoren von heute als Teamplayer mit starkem Zug zum Tor? Kann man noch Dichterin, Dichter sein, ohne jemals ein Wort geschrieben zu haben, wie einst der Poet H. C. Artmann proklamierte?
„Jede Autorin, jeder Autor ist eine Marke – auch wenn das viele nicht gern hören“, sagt Reisinger. „Selbst derjenige, der jede Öffentlichkeit verweigert, betreibt Marketing in eigener Sache. Am Ende sollen Bücher verkauft werden. Vielleicht werden die Literatursuperstars zu sämtlichen Lesungen und Großveranstaltungen ohne Weiteres eingeladen. Der große Rest muss aber via Medienauftritte und Social Media auf sich aufmerksam machen.“ Folgende Fragen seien daher legitim: „Wer bin ich? Für wen schreibe ich? Wie positioniere ich mich? Es ist läppisch, so zu tun, als produziere man mit Büchern heute ausschließlich Kunst. Diesen Gedanken muss man sich leisten können. Ich für meinen Teil muss leider meine Miete bezahlen.“
Harte Arbeit
„Männer töten“ war ein Projekt etlicher Um- und Irrwege. Am Anfang standen 30 Manuskriptseiten. Reisinger bat eine Freundin um einschätzende Lektüre – die Kritik fiel vernichtend aus. Der Entwurf landete auf Reisingers Computer in einem Ordner namens „Müll“. Sie belegte Creative-Writing-Kurse, las Ratgeberbücher übers Schreiben, unterschrieb bei einer großen Berliner Literaturagentur. „Ich musste lernen, wie man Figuren und eine Dramaturgie entwickelt. Zu einem frühen Zeitpunkt lasen Freundinnen und Bekannte Textauszüge. Ich verstehe mich als Autorin, die gern teilt, ganz im Gegensatz zu vielen meiner Kolleginnen und Kollegen.“ Nach Zuerkennung des Literaturstipendiums der Stadt Wien war es so weit: Reisinger musste den Roman, von dem zu diesem Zeitpunkt 70 Seiten vorlagen, fertig schreiben. Kurz vor Weihnachten 2022 verschickte sie das fertige Manuskript an einige Verlage. „Tage vergingen, ohne dass ich etwas hörte. Es war eine Zeit fürchterlicher Warterei.“ Anfang Jänner der erlösende Anruf vom Grazer Verlag Leykam.
„Schreiben ist harte Arbeit“, sagt Reisinger. „Die ständigen Überarbeitungen! Die ewige Qual: Wo und wie kann ich noch besser werden? Bei der dritten und finalen Überarbeitung konnte ich irgendwann nicht mehr, hatte den Text bereits ungezählte Male gelesen. Ich schrieb an meine Lektorin: ‚Bitte mach, was du
willst! Ich bin kurz davor, alles zu löschen.‘“ Und weiter: „Ich lösche gern, weil beim Schreiben nicht selten Schrott herauskommt. Das ist bei vielen so, auch wenn dies nur wenige Autorinnen und Autoren gern zugeben wollen. Ich könnte niemals drei Stunden warten und den perfekten Satz schreiben, denn dann gäbe es schlicht keine Sätze zu lesen. Ich kann dafür drei Stunden lang einen Absatz überarbeiten. Dem Gedanken vom in seiner Klause sitzenden Originalgenie, der Großes dichtet, kann ich nicht viel abgewinnen.“
Im kommenden Jahr will sich Reisinger vorrangig dem Erwerb des Jagdscheins widmen und Kurzurlaub vom Romanschreiben nehmen. Cockerspaniels sind ideale Jagdhunde. Frieda freut’s sicherlich.