
Andrew Garfield und Julia Roberts in "After the Hunt"
Menschliche Makel: Das Julia-Roberts-Wokeness-Drama „After the Hunt“
Wenn man als Filmemacher eine Geschichte erzählt, in der ausgerechnet an der würdevollen Yale University das Ehr- ins Fragwürdige kippt: Gibt man damit schon Donald Trump recht, der an Amerikas Ivy-League-Colleges bekanntlich gerade einen existenzbedrohenden Subventionskahlschlag betreibt, weil er sie für viel zu „minderheitenfreundliche“, mit republikanischen Werten unvereinbare Institutionen hält?
Nein, angesichts des Italieners Luca Guadagnino, der in seinen Regiearbeiten („Call Me By Your Name“; „Suspiria“; „Queer“) reaktionäres Denken bislang weiträumig umfahren hat, muss man wohl eher von einer gezielten Provokation sprechen, von den Machinationen eines Advocatus diaboli. In „After the Hunt“ wird ein zynisch-charismatischer Jungprofessor (Andrew Garfield) von einer Studentin (Ayo Edebiri) öffentlich bezichtigt, sie sexuell attackiert zu haben. Eine geschätzte Philosophieprofessorin, mit erstaunlicher Härte dargestellt von Julia Roberts, gerät zwischen die Fronten. Wie soll sie auf die sich ihr anvertrauende junge Frau reagieren? Als Feministin, naturgemäß an deren Seite? Oder soll sie im Zweifel für den Beschuldigten in die Bresche springen, der beharrlich jeden Übergriff leugnet? Im Programm der Viennale ist „After the Hunt“ nun dreimal im Gartenbaukino zu sehen (am 21., 22. und 27. Oktober), einen Österreich-Filmstart hat Sony Pictures kurzfristig abgesagt – ohne Angabe konkreter Gründe.
Die Kunst der Konversation
In Venedig musste sich Julia Roberts im Rahmen einer Pressekonferenz die Frage gefallen lassen, ob „After the Hunt“ antifeministische Tendenzen habe. Sie antwortete, dass der Film keine Antworten liefern, sondern Gespräche über komplexe Themen anregen wolle. Die Welt, so Roberts, verliere gerade „die Kunst der Konversation“; das Ziel des Films sei es daher, „die Menschen wieder miteinander ins Gespräch zu bringen“. Tatsächlich findet sich in „After the Hunt“ der Stoff, den ein heftiges welt-anschauliches Streitgespräch braucht: #MeToo, Cancel Culture, Machtfra-gen, Privilegien- und Rassismusdebatten. Und das alles geht, wie stets bei Guadagnino, von libidinösen Verwicklungen aus, an denen nicht nur das einander begehrende Uni-Trio teilhat, sondern auch der Ehemann der Professorin, der als Psychoanalytiker, gespielt von Michael Stuhlbarg, sarkastische Distanz zu den erotischen Wirrnissen hält.
Vieles an „After the Hunt“ fühlt sich seltsam künstlich an; in einem weniger realistisch angelegten Film wäre dies kein großes Problem, hier aber scheint Guadagnino doch von „lebensechten“, an menschlichen Makeln leidenden Charakteren erzählen zu wollen. Die Lehrenden und ihre Top-Studierenden sprechen alle auch nach Feierabend ihre diskursive Meta-Sprache, ihr hochgejazztes Theorie-Englisch in geschmackvoll-weitläufigen Eigenheimen, jeder Satz ein champagnerperlendes Bonmot. Das laufende Namedropping, von Aristoteles bis Giorgio Agamben, tänzelt an der Grenze zur Persiflage, die „After the Hunt“ ja möglicherweise sogar sein will.