
Revolutionäre Mission: Leonardo DiCaprio in "One Battle After Another"
DiCaprio vs. ICE: P. T. Andersons geistesgegenwärtiger neuer Film
„What Time Is It?“ Die Frage, an deren Beantwortung der von Leonardo DiCaprio eindrucksvoll zerknittert gespielte Schlurf in „One Battle After Another“ mit comichafter Beharrlichkeit scheitert, lässt sich im Hinblick auf Paul Thomas Andersons monumentalen zehnten Spielfilm selbst erschreckend leicht beantworten: Die Zeit ist jetzt, die Zeit ist die Gegenwart – wahlweise auch die nahe Zukunft. Für den kalifornischen Autorenfilmer, der die Verfasstheit der amerikanischen Seele bislang bevorzugt in Rückschau und Historisierung untersuchte (wie in seinem Geniestreich „There Will Be Blood“), markiert dieser Schritt eine entschlossene Zäsur – es ist keineswegs die einzige.

DiCaprio und sein Regisseur, Paul Thomas Anderson, während der Dreharbeiten
Schließlich macht sich in dieser sehr freien Interpretation von Thomas Pynchons Gegenkultur-Parabel „Vineland“ bereits nach kurzer Zeit auch noch eine Rastlosigkeit breit, wie man sie von Anderson kaum kennt. Gleich in den ersten Minuten stürmt da etwa eine revolutionäre Zelle ein ICE-Internierungslager an der US-mexikanischen Grenze, um Geflüchtete zu befreien. „One Battle After Another“ setzt nachdrücklich dort an, wo Spannungskino in der Regel abschließt: beim kinetischen, krachenden Showdown. Von dort an beschleunigt der Film allerdings nur weiter, packt noch gründlicher zu – weil sich eineinhalb Jahrzehnte nach mehreren solcher explosiven Guerilla-Aktionen deren zerstörerischen Nachwirkungen bemerkbar machen und ein ins Autoritäre umgeschlagener Staat alle verfolgt, die je mit dieser Antifa zu schaffen hatten.
Mittendrin: DiCaprios Charakter Bob, emeritierter Bombenbauer und chronisch paranoider Alleinerzieher einer Teenagertochter (exzellent: Newcomerin Chase Infiniti). Deren Mutter? Die untergetauchte Oberrebellin, die wiederum eine pikante Vorgeschichte mit einem rassistischen Colonel (einzigartig erbärmlich: Sean Penn) teilt, deren Spuren dieser nun mit aller Gewalt eines protofaschistischen Polizeiwesens auszulöschen trachtet. Um zu verhindern, dass die Revolution buchstäblich ihre Kinder frisst, muss der dauerbenebelte Bob also noch einmal raus aus seinem Bademantelleben, um tollpatschig taumelnd einen ihm auferlegten Kampf nach dem anderen auszufechten – in diesem, seinem Land, das wieder einmal mit sich selbst in Krieg geraten ist.
Ungewohnt für eine Produktion in der Budgetklasse von 150 Millionen Dollar erforscht „One Battle After Another“ schonungslos die Bruchstellen unseres dystopischen Zeitalters, vergisst dabei aber nicht auf Witz und Esprit. Ja, so unverblümt ausgelassen ging es bei Anderson seit „Boogie Nights“ nicht mehr zu, so atemlos überhaupt noch nie. Denn wenig verwunderlich erweist sich Anderson im Verbund mit Kameramann Michael Bauman natürlich auch als kongenialer Gestalter elektrisierender Action-Sequenzen: eine wahrlich furiose Achterbahnfahrt von einer Autoverfolgungsjagd krönt dieses im Retro-Breitwandformat Vistavision gedrehte, wüstenheiß pulsierende, subversiv hochvergnügliche Meisterwerk, das einen auf so fesselnde wie gehaltvolle Weise dazu ermutigt, nie das Menschliche und die Hoffnung aus den Augen zu verlieren. Die Zeit dafür ist jetzt, das möchte uns dieser Film der Stunde, dieser Film des Jahres, ins Gedächtnis rufen.