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„Idiotenkreislauf“: Der Kognitionsforscher Thomas Raab über KI und ihre Konsequenzen

Künstliche Intelligenz hält er für ein Bürokratiephänomen und nennt sie einen „Investmenttrend“: Der Schriftsteller und Theoretiker Thomas Raab über das epochale Problem der Freizeit, den Unterschied zwischen Denken und Schreiben – und die Ödnis Andy Warhols.

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Witze über die ständige Verwechslung mit dem gleichnamigen Krimiautor macht er gerne: Thomas Raab, geboren 1968 in Graz, ist nach dem Abschluss seines Studiums der technischen Geologie und der Philosophie, wie er sagt, in die Kognitionswissenschaften „abgebogen“, um seit gut 20 Jahren zwischen belletristischer und wissenschaftlicher Arbeit zu pendeln; er verfasst Romane und Theoriebücher, übersetzt und widmet sich der Liaison von Literatur und Forschungsarbeit. 2004 war er Teilnehmer des Bachmannpreises in Klagenfurt, 2006 legte er ein Buch über Massenästhetik vor: „Nachbrenner“ erschien im Suhrkamp Verlag.

Im deutschen Philosophieverlag Parodos hat er soeben einen handlichen, pointiert geschriebenen Band namens „Intelligenz & Phantasie. Zwei Essays zu künstlicher und menschlicher Intelligenz“ veröffentlicht. Er arbeite, erklärt er, seit Jahrzehnten in diesem Bereich, erlebe derzeit den bereits dritten KI-Hype. Die Kapitalinteressen hinter dem Themenkomplex künstliche Intelligenz seien offensichtlich. Thomas Raab lebt und arbeitet in Wien, unterrichtet an Kunsthochschulen. In der Zukunftsforschung sei er übrigens nicht tätig, stellt er zu Beginn unseres Gesprächs klar.

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Sie schreiben, wir müssten eigentlich keine Angst vor den Maschinen haben, nur Angst vor uns selbst. Obwohl in Tech-Zirkeln aber gerade von der baldigen Auslöschung der Menschheit fantasiert oder vom Verschmelzen der Menschen mit der Maschine fabuliert wird?

Thomas Raab

Science Fiction ist eben interessanter als Science und auch als Fiction. Ich gehe davon aus, dass wir als Menschen uns, obwohl wir so tolle neue Geräte haben, aufgrund der offensichtlich biologisch vorgegebenen Gruppendynamik archaisch verhalten. Man kann sich daher nicht vorstellen, wie eine Superintelligenz funktionieren würde. Wären Sie plötzlich superintelligent, dann wären Sie morgen tot, umgebracht, interniert. Es gibt offenbar eine Art Intelligenz-Korridor, der bedingt, dass wir eben nicht alles sofort verstehen können und Zusammenhänge nicht nach Belieben herstellen können.

Sie nähern sich dem Thema KI eher abgeklärt, fast ironisch, nennen KI einen „Investmenttrend“. Sie sehen keine imminenten Gefahren in den kaum noch überblickbaren Entwicklungen auf diesem Gebiet?

Raab

Natürlich sehe ich Gefahren. Der Energieverbrauch ist ein massives Problem. Und das Delegieren von Entscheidungsgrundlagen an Maschinen. Ein Beispiel, und da gefriert mir das Blut in den Adern, wäre der Gaza-Krieg: Wenn die israelische Armee mit Mustererkennung aus der Luftbildauswertung statistisch abschätzt, wie viele Leute sich noch in einem Haus befinden, um dann eine Bombe hineinzuschießen, dann tritt sie eine Verantwortung an die Maschine ab, die diese aber juristisch nicht übernehmen kann.

Sie sehen den primären Effekt, den KI langfristig haben wird, im Bereich der Bürokratie?

Raab

Ja, aber der ist riesig. Auch das Schreiben einer wissenschaftlichen Arbeit ähnelt dem Ausfüllen eines großen Felds in einem Formular. Im Journalismus ist es ebenso. Sogar als Romanschriftsteller füllt man im Wesentlichen nur ein großes Formular aus.

KI werde ohne wissenschaftliche Psychologie niemals menschliche Verhaltensweisen simulieren können, schreiben Sie. Was aber wäre, wenn wir das, was die Maschine leistet, bereits als menschlich annehmen? Menschen führen ja schon Beziehungen mit ihren KIs.

Raab

Jedes Denken ist eine Folge von Motivkonflikten. Wenn Sie durstig sind, aber nichts im Haus ist, müssen sie nachdenken, wie sie zu einem Getränk kommen. Sie würden sonst nicht denken. Das Denken hätte keinen Sinn ohne Motive, und man sieht am Austausch mit Chatbots sehr gut, dass sie nichts wollen. Denken ist zwiespältig: Es ist einerseits prima, weil es so ökonomisch, hin und wieder sogar befriedigend ist, aber man leidet ja auch am Denken. An der Vorstellung zum Beispiel, dass man sterben muss, leiden die meisten Menschen. Wieso sollte sich eine Superintelligenz diese Qual antun?

Stefan Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.