Kakanischer Walzerwahn: Ein herrschaftlicher Tanzabend in Wien
Das Johann-Strauss-Jubiläumsjahr, das sich Wien 22 Millionen Euro hat kosten lassen, neigt sich dem Ende zu, doch ein Highlight wartet noch: Der weltweit gefeierte belgische Choreograf Sidi Larbi Cherkaoui veranstaltet mit dem Ballet du Grand Théâtre de Genève im Wiener MuseumsQuartier am 3., 5. und 6. Dezember, gute 200 Jahre nach Geburt des Walzerkönigs, einen rund 90-minütigen „Imperial Ball“, in dessen Rahmen der alte Glamour des klassischen Balls experimentell neu definiert werden soll. Es spielt Wiens KammerOrchester, am Pult der deutsche Dirigent Constantin Trinks.
Ein kaiserlicher Ball war im Habsburger Reich der vielen Völker, das zur Strauss-Zeit in glanzvollster, wenn auch nicht mehr machtvollster Blüte stand, eine spätabsolutistische Machtdemonstration, zelebriert mit Musik und Tanz im ewigen Defilee. Daran erinnert die schwelgerische, um eine Buffettafel zentrierte Ausstattung des Oscarpreisträgers Tim Yip („Tiger and Dragon“). Es mischen sich die herrlichen Kleider wie die Geschlechter: Alles ist fluider, als es scheint. Auch weil man zwischen Intimität und Abgrenzung schwankt und innerhalb der Musik sich die Tanzenden Freiheit und Leichtigkeit, durchaus auch Grenzüberschreitungen leisten.
Dynamik der Macht als Spiegel der Gesellschaft: Es findet kein Dreivierteltakt-Delirium, kein seliges Vergessen statt. Das Ensemble sinkt synchron zu Boden, steht wieder auf, macht weiter. So wie diese längst dem Untergang geweihte, sich zu Tode walzernde Gesellschaft. In sie hat Sidi Larbi Cherkaoui einen weiteren Keil getrieben: Er stellt das ferne Japan, damals ähnlich restriktiv dem Konservatismus verhaftet, dem kakanischen Walzerwahn als Kontrast gegenüber. Protokoll und Begehren: Das ist so raffiniert wie spannend anzusehen.