Liebeskomplikationen: Die Beziehungsstudie „Unsere Zeit wird kommen“
Die Filmemacherin Ivette Löcker dokumentiert ein junges Paar: Sie stammt aus Oberösterreich, er aus Gambia. Betrachtung einer Beziehung zwischen struktureller Diskriminierung und individuellem Glück.
„Liebe muss man sehen, nicht hören; Liebe muss man zeigen, nicht schwören“, deklamierte Peter Weibel einst in einem Hotel-Morphila-Song, den er „Liebe ist ein Hospital“ nannte („Jeder ist Patient – und kein Arzt, der die Krankheit kennt“).
Die Liebe zeigt sich in diesem Film, man kann sie sehen. Und mit ihr: alle Komplikationen. Mit „Unsere Zeit wird kommen“ hat die österreichische Dokumentaristin Ivette Löcker einen perfekten Titel für ihre jüngste Arbeit gefunden – denn die Schutzherrin des Optimismus ist die Selbstvergewisserung: An eine nachhaltige Besserung der Verhältnisse muss man glauben, um überleben zu können. Probleme gibt es ohnehin genug. Seit ein paar Jahren ist die in Wien arbeitende Grafikerin Victoria Preuer mit Siaka Touray liiert, der aus Gambia stammt und nun in Österreich lebt. Ihre Liebe ist belastet – von der Melancholie, die sie beide in sich tragen, von weltanschaulichen und kulturellen Differenzen, aber auch von dem Rassismus, den Siaka im Alltag erlebt. Davon erzählt „Unsere Zeit wird kommen“.
Sie suche danach, „jene Menschen oder Lebenswirklichkeiten in den Blick zu nehmen, die oft übersehen werden“, sagt Ivette Löcker. Beziehungsstudien sind, ohne dass sie dies forciert hätte, zu einem Zentrum ihrer Kinoarbeit geworden. Die in Bregenz geborene, in den Salzburger Bergen aufgewachsene Filmemacherin, die seit 25 Jahren in Berlin lebt, hat schon in ihrem Debüt, in „Marina und Sascha, Kohleschiffer“ (2008), ein proletarisches russisches Paar porträtiert, in „Wenn es blendet, öffne die Augen“ (2011) zwei Drogenabhängige in St. Petersburg begleitet. Und in „Was uns bindet“ (2017) hat die studierte Slawistin ihre eigene Familie, insbesondere die erkaltete Beziehung ihrer Eltern, ins Visier genommen.
Privat? Politisch!
Jede Liebesbeziehung ist bekanntlich, sozial betrachtet, auch politisch. Sich darauf zu spezialisieren, habe sie nie vorgehabt, sagt Ivette Löcker im profil-Gespräch. „Oft war es so, dass sich Filmprojekte eben unversehens verändert und auf bestimmte Paare verengt haben.“ Es habe für sie, gibt sie zu, „schon einen besonderen Reiz, Paarbeziehungen zu analysieren“. Sie habe Victoria 2017 aber eher zufällig kennengelernt. „Wir fanden einander sympathisch und sind lose in Kontakt geblieben.“ Im selben Jahr habe Victoria Siaka getroffen, aber erst Ende 2020 habe sie die Filmemacherin angerufen, um ihr zu erzählen, dass sie nun verheiratet sei und gemeinsam mit ihrem Mann den Wunsch hätte, seine Migrationsgeschichte filmisch zu dokumentieren. „Sie wollten das nicht selbst machen“, berichtet Ivette Löcker, „die Lebensumstände waren zu schwierig. Siaka hatte damals noch keine Arbeitserlaubnis, Victoria musste für beider Lebensunterhalt sorgen. Und das Thema war ihr auch zu nahe. So fragten sie, ob mich das interessieren würde.“
Die ursprüngliche Idee des Paars bestand darin, Siakas Flucht und seine Erfahrungen als „geduldeter“ Migrant in Österreich zu dokumentieren. In mehreren, sehr intensiven Online-Gesprächen, erinnert sich Löcker, „haben sie mir ihre Geschichte erzählt. Am meisten faszinierte mich, wie die beiden als Paar agieren“ und dass zu Siakas Gegenwart eben unbedingt Victoria gehöre. „Ihre starke Verbundenheit hat mich sehr berührt.“ So habe sie ihnen vorgeschlagen, ihr gemeinsames Leben zu dokumentieren, „um die Innensicht eines interkulturellen Paars zu erhalten“. Sie brauchten Bedenkzeit – vor allem Victoria, deren Absicht es nicht gewesen war, selbst in den Vordergrund zu treten. „Aber darauf lief meine Bitte hinaus. Zum Glück haben sie am Ende zugestimmt.“ Im Sommer 2022 begann man zu drehen, ein ganzes Jahr lang begleitete Ivette Löcker die beiden.
Traditionelle Geschlechterrollen werden in dieser Konstellation sanft subvertiert. Victoria, die für das Finanzielle und die Unterstützungspflicht zuständig ist, beschreibt sich als rational und strategisch, ihren Mann als emotionaler und spiritueller. „Victoria liebt an Siaka, dass er in der Rollenaufteilung so flexibel ist“, erzählt die Regisseurin, „dass seine Männlichkeit nicht auf herkömmlichen Mustern fußt.“
Viel Schmerz
Dokumentarfilme sind ergebnisoffene Unternehmungen. In der Beziehung, die in „Unsere Zeit wird kommen“ ausgelotet wird, steckt viel Schmerz, auf beiden Seiten. An der wohl überraschendsten Stelle des Films findet eine Debatte des vor der Kamera verzweifelnden Duos mit der aus dem Off fast paartherapeutisch intervenierenden Regisseurin statt. Sie wollten doch auch das Glückhafte ihrer Liebe zeigen und nicht nur das Negative einer unter Druck stehenden Beziehung, betonen Victoria und Siaka, während ihre Regisseurin versucht, die Situation nicht eskalieren zu lassen. „Ich hatte gemerkt, dass ich, ohne es zu wollen, mit der Kamera etwas ausgelöst hatte: Eine Kamera kann ein Katalysator sein, etwas sehr Mächtiges, mit dem beide Seiten nicht immer rechnen können – gerade wenn es um derart private Einblicke geht wie in diesem Film.“ Und gleichzeitig sei es entscheidend gewesen, „dass die beiden sich vor der Kamera mit ihren Erwartungen an den Film auseinandersetzten. Es war uns wichtig, das transparent zu machen.“
Als die Dreharbeiten 2022 begannen, waren die Hürden der Aufenthaltsbewilligung, war die Bürokratie schon überwunden. Siaka hatte eine Aufenthaltsbewilligung und Arbeitserlaubnis – „und die Frage war: Wie ist das nun, wo sie nicht mehr darum kämpfen müssen, als Paar zusammenbleiben zu können? Haben sie die gleichen Schwierigkeiten wie alle Paare oder andere, heftigere Probleme?“ Denn Siakas Vergangenheit dringe immer wieder in ihren gemeinsamen Alltag ein.
Etwas Utopisches liegt dennoch in diesem Film; er zeigt nichts von dem Negativen, das die Gesellschaft Siaka zweifellos entgegenbringt. Es sei erst einmal wichtiger gewesen, zu ergründen, wie diese Beziehung an sich funktioniere, sagt Löcker. „Was muss man da an Hürden überwinden?“ Über Victorias Lebenshintergründe erfährt man deutlich mehr als über ihn: Er spricht davon, dass er 21 Jahre Leid hinter sich habe, aber dies vertieft der Film nicht weiter. „Vieles konnten wir nur andeuten“, sagt die Regisseurin. „Vielleicht regt das, was eben nicht explizit erzählt wird, zum Nachdenken an.“
Ivette Löcker, Spezialistin für Zwischenmenschliches
So wird die Nahaufnahme des Lebens zweier Individuen und ihrer Bindung zu einer exemplarischeren, grundsätzlicheren Studie interkultureller Beziehungen und divergierender Weltanschauungen. Eine solche Geschichte müsse, so Löcker, über das rein Private, Individuelle hinausgehen, um andere zu erreichen und zu zeigen, wie universell manche Erfahrungen seien. Ihr werde immer klarer, dass „Unsere Zeit wird kommen“ ein Film über Kommunikation sei und darüber, wie schwierig diese sein könne, wie viele Ebenen es gebe, wenn man sich wirklich verstehen will, ohne die kulturellen Unterschiede zu negieren.
Übers Meer zu schauen
In Wien beginnt die bikulturelle Erzählung dieses Films, in Gambia endet sie. So wird ein Gleichgewicht hergestellt. „Es war uns wichtig, den Film am Schluss noch einmal nach Gambia zu öffnen und über das Meer zu schauen, das Siaka auf seinem Weg nach Europa überwunden hat. Für mich liegt auch eine Frage darin: Was für ein Leben wird die nächste Generation haben? Mit welchen Herausforderungen wird sie konfrontiert sein?“
Ivette Löckers nächster Film ist bereits im Entstehen; er soll das Porträt von sechs ihrer Freundinnen in Berlin, Brandenburg und Wien werden. „Diesmal wieder ein Ensemblefilm“, merkt sie noch an – „keine Paar-, aber natürlich eine Beziehungsstudie“.
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(profil.at)
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Stefan Grissemann
leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.