Xavier de Maistre

profil-Morgenpost: Maus in der Vorratskammer

Guten Morgen!

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Wolfgang Paterno

Das wohl bekannteste Buch über das schaurig-schöne Phänomen des verordneten Zuhause-Sitzens ist selbst unter Zwang entstanden. Der Franzose Xavier de Maistre war 27, als er nach einem Duell zu 42 Tagen Hausarrest verurteilt wurde. Er beschloss, die Bestrafung als Geschenk zu nehmen: In „Die Reise um mein Zimmer“ berichtete er 1795 über die Zeit seiner Quarantäne, er beschrieb das Bett, die Bilder an den Wänden, die wenigen Bücher im Regal. Seine Gedanken schickte der kasernierte Duellant derweil auf Weltreise. In seinem Kommuniqué aus dem Kabuff, dem der Salzburger Schriftsteller Karl-Markus Gauß kürzlich eine liebevolle Hommage widmete, schrieb Xavier de Maistre: „Man möge mir nicht vorwerfen, ich verlöre mich in Einzelheiten; Reisende machen das so.“ Er habe die Zeit in seinem Zimmer erlebt, stellte de Maistre in kolossaler Übertreibung fest, als würde man „eine Maus in eine Vorratskammer einsperren“.

Verlieren auch wir uns in unseren aufgenötigten Vorratskammern in Einzelheiten, in Gedankenschleifen, in Zukunftsfragen. Ist die schaurige Absonderlichkeit Après-Ski endlich und endgültig Geschichte? Werden wir es weiter so handhaben, dass wir einander in der Supermarktkassaschlange ein wenig Raum gönnen – oder uns wie immer die Einkaufswagen in die Fersen rammen? Wen wollen wir künftig mehr bejubeln: Die stillen Alltagshelden, die Christa Zöchling in ihrer schönen Reportage und Edith Meinhart in einem lesenswerten Porträt feiern (beides in der aktuellen profil-Ausgabe) – oder die fernen Beauties und Beaus hinter den sieben Hügeln Hollywoods? Der Zimmerweltreisende Xavier de Maistre schrieb über sein Bett: „In diesem köstlichen Möbel vergaßen wir während einer Hälfte des Lebens die Kümmernisse der anderen.“

Wir wünschen abenteuerliche Reisen in Ihren Zimmern!

Wolfgang Paterno

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Wolfgang   Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.