Settermin Polizeiruf 110: Kreise
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Sportfreunde als Kunstpartner: Matthias Brandt & Christian Petzold im Gespräch

Als Dreamteam des neuen deutschen Autorenfilms bringen sie gerade ihre sechste gemeinsame Arbeit in die Kinos: Der Schauspieler Matthias Brandt erzählt im Doppelinterview mit dem Regisseur Christian Petzold von Fußballbesessenheit, Lachanfällen am Set und einem unliebsamen Geburtstagsgeschenk.

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Ein Haus in der Uckermark, eine Terrasse, eine kaputte Familie und eine verlorene junge Frau: Das sind die Prämissen des – nach einem Ravel-Klavierstück benannten – Films „Miroirs No. 3“, den der Berliner Filmemacher Christian Petzold, frisch angelobter Präsident des Viennale-Festivals, inszeniert hat (Österreich-Kinostart: 7. November). Petzolds Stil ist geprägt von der Reduktion aufs Wesentliche: vier Personen, knappe Dialoge, weite Landschaften, ein weißer Zaun, der Wind des Spätsommers in den Blättern der Bäume.

Ein schwerer Autounfall setzt die Dinge in Bewegung: Eine junge Pianistin (Paula Beer) kommt mit bloßen Schürfwunden davon, ihr Freund liegt tot im Wrack. Sie bittet eine Frau (Barbara Auer), die den Unfall miterlebt hat, darum, ein paar Tage bei ihr bleiben zu dürfen. Sie lernt deren Mann (Matthias Brandt) und den gemeinsamen Sohn (Enno Trebs) kennen, die eine Autowerkstatt betreiben und nur noch ab und zu zum Essen nach Hause kommen. Ein dunkles Geheimnis lastet auf der Familie, aber der neue Gast im Haus greift ins dysfunktionale Gefüge ein. Es wird, in aller Stille, kompliziert.

„Miroirs No. 3“ schlägt einen ganz eigenen Ton im Gegenwartskino an, etwas Morbides, Allegorisches, auch Traumwandlerisches schwingt in der nur scheinbar realistischen Erzählung mit. Das Ensemble hat daran – neben einem mitreißenden Song von Frankie Valli – starken Anteil, ein ostdeutscher Western nimmt sanft Gestalt an. Mit allen vier Schauspielkräften, die im Zentrum dieses Films stehen, hat Petzold, 65, bereits mehrfach gearbeitet, Barbara Auer spielte schon vor 25 Jahren in Petzolds Karrierestarter, in „Die innere Sicherheit“, eine Hauptrolle. Mit Matthias Brandt, 64, arbeitet Petzold seit einem guten Jahrzehnt zusammen, hat mit ihm drei Kinofilme sowie, zwischen 2015 und 2018, drei Episoden der TV-Krimiserie „Polizeiruf 110“ veröffentlicht. Als in sich gekehrter Hauptkommissar Hanns von Meuffels erspielte sich Matthias Brandt darin, an der Seite Barbara Auers, hohe Popularitätswerte. Am Theater begann er, Sohn des einstigen Bundeskanzlers Willy Brandt, in den frühen 1980er-Jahren seine Karriere, seit 2000 gehört er zu Deutschlands gefragtesten Charakterdarstellern in Film und Fernsehen. Seit ein paar Jahren reüssiert Matthias Brandt auch als Schriftsteller – und spielt nebenbei wieder Theater.

Zwei Frauen auf einem Fahrrad auf einem Feldweg in flacher Landschaft
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Sie sind einander nach so vielen gemeinsamen Projekten nicht nur professionell, sondern auch freundschaftlich verbunden. Kommt diese Vertrautheit dem Filmemachen entgegen? Oder muss man bisweilen auch gegen das Risiko arbeiten, dass die gemeinsame Arbeit zu routiniert werden könnte?

Brandt

Ja, wenn die Gefahr bestünde, müsste man das tun. Bei Tucholsky heißt es: Hier können Familien Kaffee kochen. Das birgt ein Routine-Risiko. Mir ist diese Vertrautheit sehr angenehm, weil ich ein eher scheuer Mensch, auch ein scheuer Schauspieler bin – und meist damit beschäftigt bin, mich überhaupt zurechtzufinden. Ich glaube aber, wir Schauspieler haben ein sehr feines Gespür dafür, die Arbeit nicht in Gemütlichkeit verebben zu lassen. Das würde ich als die Hauptgefahr beschreiben: dass man nachlässig wird und sich gegenseitig dauernd auf die Schultern klopft. Aber das habe ich mit Christian noch nie erlebt – in anderen, vermeintlich unvertrauteren Zusammenhängen schon.

Petzold

Das betrifft ja auch die Welt hinter der Kamera. Ich hatte mal einen Assistenten, der jeden Tag, als er unsere Aufnahmen gesehen hatte, mich umarmt und geschrien hat: „Das ist Godard!“ Oder: „Das ist Cannes!“ Den musste ich leider entlassen. Aber die Scheu, von der Matthias spricht, habe ich auch. Eine Scheu zu haben, wenn es um Geschichten und Kunst geht, finde ich richtig. Und es ist manchmal gut, einer Scheu mit Vertrauen begegnen zu können.

Wenn Christian Petzold Filme macht, so erzählen Beteiligte, werde viel geprobt, anschließend sehr ruhig und konzentriert gedreht: fast jede Einstellung in nur einem Take, selten gebe es einen zweiten. Man treffe einander vormittags, nicht zu früh, man trinke Kaffee, probe das Tagespensum, nachmittags werde gedreht. Um 17 Uhr sei man meist fertig. Das klingt fast idyllisch. Kommt Ihnen diese Arbeitsweise entgegen, Herr Brandt?

Brandt

Während meiner ersten Berufsjahre vor der Kamera wurde noch auf analogem Film gedreht. Das Filmmaterial war kostbar. Man wusste, wenn die Kamera läuft, dann ist das ernst, weil es viel Geld kostet. Das hatte etwas Konzentrationsstiftendes. Und es war sehr wichtig, weil ein Filmset ständig dazu neigt, in alle möglichen Richtungen zu zerfasern. Filmregie ist, glaube ich, wahnsinnig anstrengend, ein Akt des permanenten Zusammenhaltens. Als die Digitalisierung kam, hatte ich das Gefühl, dass man für diesen Konzentrationspunkt etwas Adäquates hätte finden müssen. Aber das ist nicht geschehen, es ist nur der Begeisterung dafür gewichen, dass man auf einmal mit fünf Kameras gleichzeitig drehen und so viel Material sammeln kann, wie man will. So breitete sich eine Zufälligkeit aus: als müsse man einfach nur so viel wie möglich aufnehmen, da werde dann schon „irgendwas dabei sein“. Aber bei Christian hatte ich von Anfang an das Gefühl, er habe dieses Äquivalent gefunden.

Petzold

Mein Produzent hat einmal gesagt, seit wir digital drehen, sei mein Drehverhältnis noch besser geworden. Wir produzieren also noch weniger Ausschuss. Ich will nicht für alle Fälle alles aus allen Perspektiven drehen. Ich muss diese Konzentration haben. An vielen Sets wird inzwischen mit drei Digitalkameras zugleich gearbeitet. um sich den Lichtumbau zu sparen. Also muss man ein Grundlicht setzen, das für alle drei Kameras taugt. Aber ein Grundlicht ist keine Einstellung zur Welt. Da wird die Welt zur Fußgängerzone gemacht, in der irgendwie alles passt. Deshalb sieht das so schäbig aus. Jede Einstellung ist aber eine Einstellung zur Welt, zu der man sich verhalten muss.

Jedes Bild eine Frage der Moral?

Petzold

Mein Kollege Dominik Graf war begeistert, als die digitale Filmtechnik kam, als er endlich mit zwei, drei Kameras drehen konnte. Er macht sich gern ein wenig lustig über Eric Rohmer, obwohl er dessen Filme ja sehr mag, weil dieser stets so moralisch argumentiert hat. Eine Einstellung als moralische Haltung zur Welt? Das akzeptiert Dominik nicht. Er macht ja filmische Musik, will alles fließen lassen. Er denkt, moralische Einstellungen halten die Welt, das Fließen nur auf. Ich finde aber, Rohmer hat recht. Jede Einstellung ist zu hinterfragen. Warum stelle ich die Kamera da hin? Warum drehe ich so? Wie entsteht aus zwei Einstellungen eine virtuelle dritte im Kopf? Diesen Fragen muss man sich immer stellen.

Konzentration am Set, das ist das eine. Das andere ist Empathie. Sie brüllen als Regisseur Ihr Team wohl eher selten an. Das wäre Ihren Filmen und Ihrer Arbeitsmethode nicht zuträglich, oder?

Petzold

Würde ich am Set schreien, wären die Schauspieler die Ersten, die merkten, wie unglaublich schlecht meine Performance wäre. Also muss ich mit den perfideren Methoden arbeiten, die ich von meiner Mutter gelernt habe. Die hat auch nie geschrien.

Stefan Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.