Dunkelhaarige Juliette Binoche in roter Jacke blickt uns direkt an
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„Wir sind wie gebrochene Kinder“: Filmstar Juliette Binoche im Interview

Die französische Schauspielerin Juliette Binoche weilte auf Kurzbesuch in Wien, als Stargast der Viennale stellte sie ihr Regiedebüt vor – und dachte im profil-Gespräch über Angst und Aktivismus, Wahrheitssuche und Willenskraft nach.

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Während Juliette Binoches Stylistin in aller Ruhe noch einmal das Make-Up ihrer Chefin nachjustiert, ehe diese sich der profil-Kamera stellen soll, erkundigt sich die Schauspielerin, in welchem Medium das Interview mit ihr denn erscheinen wird. Ob wir sie also eher im Profil ablichten werden, fragt sie anschließend listig, dann führt sie vor, wie man sich professionell und selbstsicher in Pose wirft. 

Schauplatz: Hotel Intercontinental, neunter Stock, eines der betont neutralen Interviewzimmer des gerade laufenden Filmfestivals Viennale, als dessen diesjähriger Stargast die Französin am frühen Dienstagnachmittag geduldig eines der – von ihrem Management eng getakteten – Pressegespräche nach dem anderen absolviert.  

Binoche gehört zu den großen Gestalten des Weltkinos, über ihre französische Heimat hat sie – wohl auch dank ihres exzellenten Englisch – früh hinausgedacht, schon 1988 spielte sie in Philip Kaufmans Kundera-Adaption „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ eine der Hauptrollen. Einen Oscar als beste Nebendarstellerin gewann Binoche 1997 für ihre Leistung in „Der englische Patient“. Bis heute sichern sich die avanciertesten Regiekräfte der Welt ihre Mitarbeit, sie hat mit Jean-Luc Godard, Chantal Akerman und Leos Carax gedreht, mit David Cronenberg, Claire Denis, Hou Hsiao-hsien und zweimal auch mit dem Wiener Michael Haneke – fast 80 Filme in 43 Jahren sind es bislang, neben Serienauftritten und Theaterarbeiten. 

Um eine ihrer Bühnenproduktionen kreist auch der neue Film, den Juliette Binoche nach Wien mitgebracht hat: „In-I in Motion“ heißt er, und er dokumentiert die physisch und mental strapaziöse Arbeit an einer abendfüllenden Performance, an einem seelenentblößenden Liebeshass-Duett, das die Schauspielerin als Tanzamateurin zusammen mit dem britischen Choreografen Akram Khan – er wiederum als Schauspieler ein Laie – 2008 in sechsmonatiger Improvisation zusammenstellte. „In-I“ tourte 2008 und 2009 rund um die Welt. 17 Jahre nach Probenbeginn hat Binoche, 61, nun also ihr Regiedebüt vorgelegt: einen Film als Selbstbespiegelung und Sprung ins kalte Wasser, als Amalgam aus kreativer Krise und künstlerischem Triumph, als Rückblick in die eigene Vergangenheit. Das Tanzen, habe sie festgestellt, sei eine Form des Leidens, lacht Binoche in einer Probenpause; das Schauspielen sei es auch, fügt Akram Khan etwas weniger heiter hinzu.

 

Großaufnahme des Gesichts einer dunkelhaarigen Frau in Rot
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In einem Interview über ihr choreografisches Projekt „In-I“ sagten Sie seinerzeit, wenn Sie in drei Wörtern ausdrücken müssten, was es darstelle, dann würden Sie den Begriff „etwas Neues riskieren” wählen. Trifft das nicht auf nahezu alle Ihre Projekte zu?

Juliette Binoche

In diesem Fall war das Wagnis ziemlich heftig, weil ich nicht tanzen konnte und in keiner Weise dafür ausgebildet war. In nur sechs Monaten eine Show auf die Beine stellen – und mitgestalten – zu wollen, das war wirklich ein Sprung in unbekanntes Territorium. Deshalb habe ich schon früh die Schauspiel-Coach-Legende Susan Batson eingeladen, uns zu helfen. Auf sie konnte ich mich beziehen, weil ich sie kannte, und sie half uns, eine Verbindung, eine Brücke zwischen dem Tanzen und dem Schauspielen, zwischen den Worten und der Bewegung zu finden.

Stefan Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.