Mann mit Sonnenbrillen vor weißer Wand
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Zwischen Himmel und Hölle: Neues Album der Rock-Institution Naked Lunch

Die Gruppe Naked Lunch legt nach langer Abwesenheit ein neues Album vor. Oliver Welter, Gründer und Mastermind des Projekts, berichtet von Selbstzweifeln und Weltliebesschüben.

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Ein zarter Hang zur Bipolarität ist diesem Album eingeschrieben. Der Weltumarmung, die sich in der Opener-Hymne „To All and Everyone I Love“ findet, folgt jähe Ernüchterung mit dem Einminüter „Only Hollow“, der die Leere unterhalb von Ruhm und Wohlgefühl beschreibt. „Lights (and a Slight Taste of Death)“ heißt das neue Produkt der 1991 in Kärnten gegründeten Band Naked Lunch. Und es ist dementsprechend emotional geraten, als Reise zwischen Himmelhohem und tödlich Betrübtem, tour-retour. Diese Musik taucht ab in dunkle Zonen – und freut sich dann doch unbändig über das Leben. Sogar das „Going Underground“, der Abstieg ins Totenreich, mündet klanglich in eine Art Hochgefühl.

Eine „ewige Zerrissenheit“, attestiert Naked-Lunch-Frontmann Oliver Welter, 58, gebürtiger Klagenfurter, sich selbst, ein „haltloses Pendeln“ zwischen Licht und Finsternis, „der dringlichen Umarmung aller und der bloßen Zerstörung meiner selbst“. Diesen Zwiespalt habe man bei Naked Lunch stets feststellen können – bis auf die „Songs für the Exhausted“ (2004), die seien „durchgehend finster“. Aber sonst habe es in seiner Musik immer auch „diese Möglichkeit eines besseren Lebens, einer Utopie“ gegeben. „Ich bin aber derjenige, der bei jeder Hochzeit sofort an Scheidung denken muss. Ich habe diesen fatalistischen Blick.“ So sei die neue, auch liebestrunkene Platte „schon speziell“.

Mann mit Sonnenbrillen und verschränkten Armen steht vor einem überdimensionalen Schlauchrad
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„Lights“ ist das siebente oder achte Naked-Lunch-Album, je nachdem, ob man die erste EP mitzählt oder nicht. Herwig Zamernik, der zwischen 1992 und 2013 bei Naked Lunch als Welters kongenialer Partner agierte, ist nicht mehr Teil der Band, die Zusammenarbeit wurde beidseitig ad acta gelegt. Das sei definitiv vorbei, bestätigt Welter. Er müsse aber auch „eine Lanze für Herwig brechen: Ich kenne wenige, die Musik so gut verstehen, Sound definieren, Produktionsweisen variieren können.“

Stagnation, nicht Blockade

Zwölf Jahre liegt „All is Fever“, das letzte Naked-Lunch-Album, zurück. „Es war keine Blockade, es waren Jahre der Stagnation“, sagt Oliver Welter sachlich. „Man ist einfach nicht mehr glücklich mit den Dingen, die man macht. Es ist ja nicht so, dass ich fünf Jahre lang kein Lied schreibe. Aber es herrscht Unzufriedenheit, die einem das eigene Schaffen verleidet.“

Stefan Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.