Deutschland

Kanzler Merz: Mit einem blauen Auge davongekommen

Der holprige Amtsantritt von Friedrich Merz war ein Schockmoment. Europa braucht diese deutsche Regierung mehr denn je.

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Wozu die Aufregung?

Am Ende ist doch alles gut gegangen. Friedrich Merz ist Deutschlands neuer Kanzler und diese Woche – wie geplant – zu seinem Antrittsbesuch nach Paris und Warschau gereist. Aber Merz ist mit einem blauen Auge davongekommen. Beinahe wäre er als der „Fast-Kanzler“ in die Geschichte der Bundesrepublik eingegangen. Denn ihm fehlten im ersten Wahlgang sechs Stimmen zur notwendigen Mehrheit. Was auf den ersten Blick wie ein gewöhnlicher demokratischer Prozess wirkt, ist tatsächlich eine Zäsur. Ein Kandidat für das Kanzleramt, der nach Sondierungsgesprächen einen Regierungspartner gefunden, ein Kabinett gebildet und einen Koalitionsvertrag unterschrieben hat, scheitert am Ende an seinen eigenen Leuten, also den Abgeordneten der beiden Regierungsfraktionen Union (CDU/CSU) und Sozialdemokraten (SPD).

Dabei wartet Europa seit Monaten auf eine stabile Regierung in Berlin. Zu Erinnerung: Am 6. November kollabierte die Ampelkoalition von Olaf Scholz. Zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt, denn tags zuvor hatte Donald Trump die Wahl in den USA gewonnen. Seitdem stampft der Präsident wie ein Elefant durch den Porzellanladen.

Trump hat den ukrainischen Präsidenten Selenskyj vor laufenden Kameras gedemütigt und sich dem russischen Diktator Putin angebiedert. Er hat die europäische Sicherheitsordnung infrage gestellt, wie das kein Präsident vor ihm getan hat. Dazu kommen die Handelszölle, die Deutschland als Exportnation härter treffen als jedes andere Land in Europa.

Die Erwartungen an Merz sind also hoch. In solchen Zeiten kann man sich keine Parteiquerelen leisten. Die politische Mitte steht unter Druck. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in Österreich oder Frankreich. Das Finden von stabilen Mehrheiten wird für die demokratischen Parteien zunehmend schwierig. Dass die Regierungsfraktionen – Schwarz und Rot – nicht auf eine mögliche Wahlschlappe vorbereitet waren, lässt sie schwach aussehen. Merz hätte zur Sicherheit auch Stimmen in anderen Fraktionen zusammentrommeln können. So wie das Gerhard Schröder (SPD) 1998 getan hat. Auch der hatte Angst, dass er nicht genug Stimmen aus dem eigenen Lager bekommen würde – und warb im Vorfeld Stimmen über Fraktionsgrenzen hinweg an. Am Ende wurde er mit mehr Stimmen zum Kanzler gewählt, als die rot-grünen Regierungsfraktionen Abgeordnete hatten. Bei Merz war es genau umgekehrt. Er war sich seiner Sache zu sicher.

Man kann nur rätseln, was die Abweichler, die gegen Merz stimmten, angetrieben hat. Liegt es daran, dass einige Sozialdemokraten Merz noch immer nicht verziehen haben, dass er im Jänner bei einem Antrag zur Migrationspolitik mit der rechtsextremen AfD gestimmt hat?

Wenn dem so ist, dann ging der Boykott völlig nach hinten los. Denn die einzige Partei, die am Dienstag stark ausgesehen hat, ist die AfD. Dass sie vom Verfassungsgerichtshof als gesichert rechtsextremistisch eingestuft wurde, hat bei der Union zu einem Umdenken geführt. Aber wird das auch so bleiben? Die AfD wird Merz im Lauf seiner Regierungszeit ständig auf der Nase herumtanzen und flöten: All das, was ihr mit den Sozialdemokraten nicht durchbekommt, ist mit uns möglich! Die große Herausforderung von Merz wird es sein, dem zu widerstehen.

Dafür braucht er auch die Rückendeckung der Sozialdemokraten. Schon klar, Schwarz und Rot ist keine Liebesheirat, aber ich finde: Große Koalitionen sind der Kitt, der unsere polarisierte Gesellschaft zusammenhält. Es ist kleinlich, über Steuern oder eine Pensionsreform zu streiten, wenn Populisten wie Donald Trump oder Viktor Orbán den Rechtsstaat abschaffen und den Aggressor Putin verniedlichen.

Als Österreichs Bundeskanzler hat sich Sebastian Kurz damals lieber der FPÖ angebiedert, anstatt mit den verhassten Sozialdemokraten zu regieren. Friedrich Merz will beweisen, dass das Gegenteil möglich ist. Er will „die letzte Patrone der Demokratie“ sein, wie es Markus Söder, der Ministerpräsident von Bayern, unlängst ausgedrückt hat. Trifft Merz ins Schwarze, dann wird Deutschland ein Vorbild darin sein, wie man erstarkende Rechtspopulisten einhegt.

Franziska Tschinderle

Franziska Tschinderle

schreibt seit 2021 im Außenpolitik-Ressort. Studium Zeitgeschichte und Journalismus in Wien. Schwerpunkt Südosteuropa / Balkan.