Brandgefährliche Gratwanderung

Wie sollen wir Demokraten mit Akteuren umgehen, die unsere Grundfesten des gemeinsamen Europas zerstören wollen? Eine Annäherung.

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Im Sommer 2025 begibt sich ein Bergdorf in Tirol auf eine politische Gratwanderung. Das Forum Alpbach hat einen prominenten Vertreter der Heritage Foundation eingeladen, bereits im Vorfeld begleitet von heftigen Diskussionen, warum das renommierte Forum zu seinem 80-jährigen Jubiläum europafeindlichen Positionen eine Bühne gibt.

Wesentliches geopolitisches Ziel ist dabei auch die Destabilisierung der EU, die als Hort der übernationalen Zusammenarbeit und der regelbasierten sozialen Marktwirtschaft der Gegenentwurf zur Trump-Agenda ist. 

1973 wird in den USA die Heritage Foundation gegründet. Mit über 100 Millionen Dollar Umsatz im Jahr gilt sie als einflussreichster „Thinktank“ weltweit. Im Jahr 2023 formuliert sie mit dem „Project 2025“ einen Plan für die zweite Amtszeit von Donald Trump. Im 900-seitigen Papier finden sich detaillierte Pläne zum völligen Umbau der demokratischen Institutionen der USA. Wesentliches geopolitisches Ziel ist dabei auch die Destabilisierung der EU, die als Hort der übernationalen Zusammenarbeit und der regelbasierten sozialen Marktwirtschaft der Gegenentwurf zur Trump-Agenda ist. Noch im Wahlkampf bestreitet Trump Verbindungen. Mittlerweile lassen sich die gesetzten Aktionen quasi im Drehbuch nachlesen.

1945 wird das Forum Alpbach gegründet. Impuls ist die Überwindung des Nationalismus in Europa, der in den Gräueln der Nazis gemündet hatte. Im aufklärerischen „Geist von Alpbach“ sollte die Vertiefung der europäischen Zusammenarbeit und die Erweiterung nach Osten vorangetrieben werden.

1948 veröffentlicht Max Frisch erste Skizzen von „Biedermann und die Brandstifter“. Ein Stück durchdrungen von der Frage: „Wie konnte es so weit kommen?“ Naivität, Mitläufertum, das „Floriani“-Prinzip? Brennen wird schon das Nachbarhaus?

Nile Gardiner, Vertreter der Heritage Foundation, kommt in Alpbach rasch zur Sache: „Die USA unterstützen das europäische Projekt nicht mehr. Wir unterstützen souveräne Nationalstaaten.“ Darauf folgt Anerkennung für die Wahlergebnisse rechtsextremer und rechtspopulistischer Parteien. Cathryn Clüver Ashbrook von der Bertelsmann Stiftung hält dagegen. Ihr sekundiert Siddharth Chatterjee, höchster Vertreter der Vereinten Nationen in China: „Wenn uns aktuell etwas Hoffnung geben sollte, dann die EU als Friedensprojekt.“

Die Entwicklung der EU ist historisch einmalig. Staaten, die über Jahrhunderte grausam gegeneinander Krieg geführt haben, begeben sich auf den mühsamen Weg der Integration. Folge: Frieden und Wohlstand, wo gerade noch Schlachtfelder waren.

Anfang August 2025 findet in Esztergom das jährliche Treffen des Mathias Corvinus Collegiums statt, ein von Viktor Orbán mit Milliarden ausgestatteter Thinktank mit Filialen in Brüssel und Wien. Aufsehen erregt ein Foto von Orbán und Peter Thiel, Tech-Oligarch aus den USA, eingefädelt wohl von dem politischen Türöffner auf seiner Gehaltsliste, Sebastian Kurz, der stolz das Foto auf Instagram teilt.

Thiels Abscheu vor liberaler Demokratie, Europa, Steuern und Klimaschutz ist bekannt. Ein sommerlicher Sightseeing-Trip? Zweifel sind nach den Erfahrungen in den USA, wo Peter Thiel exzessiv in „politische Projekte“ wie den Aufstieg von Vizepräsident JD Vance investiert hat, angebracht.

Biedermann bittet die Brandstifter: „Scherzen wir nicht länger über Brandstifterei.“ Die prompte Antwort: „Wir scherzen ja nicht.“ Als Zeichen des Vertrauens verlangen sie Biedermanns Streichhölzer. „Wenn die wirklich Brandstifter wären, du meinst, die hätten keine Streichhölzer?“, beruhigt der sich.

Ein weiterer Orbán-Thinktank, das Danube Institute, hat seit Jahren eine feste Partnerschaft mit der Heritage Foundation. In die Partnerschaft eingebracht wurde ein Strategiepapier, wie man die europäischen Institutionen renationalisieren und damit die EU destabilisieren kann. Orbáns politische Aktivitäten lassen an der Ernsthaftigkeit keine Zweifel.

Die Neudichtung von „Biedermann und die Brandstifter“ wird gerade geschrieben. Wer ist Biedermann, wer Brandstifter, wer trägt Benzinkanister oder öffnet Türen?

Was ist Absicht, was Naivität, was Opportunismus, was nackte Gier?

Die Benzinkanister werden gerade in Form von „Thinktanks“ und Kampagnenplattformen „alternativer Medien“ in Europa verteilt und finanziert.

„Die beste und sicherste Tarnung ist immer noch die blanke und nackte Wahrheit. Die glaubt niemand“, resümiert der Brandstifter bei Max Frisch.

Der Ausgang der Geschichte ist offen und liegt an uns, als Akteure oder Statisten.

Stefan Wallner

Stefan Wallner

war Generalsekretär der Caritas Österreich und von 2009 bis 2016 Generalsekretär der Grünen. Danach war er bis 2020 Head of Brand Management and Company Transformation bei der Erste Group. Heute ist er Geschäftsführer des Bündnis für Gemeinnützigkeit – der 2022 gegründeten Interessenvertretung des gemeinnützigen Sektors und der Freiwilligenorganisationen.