Warum Trump der Justiz entkam – Bolsonaro nicht
In den Hallen des Kongresses Brasiliens, wo sich normalerweise Abgeordnete tummeln, schießen Polizisten verzweifelt Tränengas. Sie sind in der Unterzahl – Randalierer drängen in das Gebäude, werfen Steine und Metallstücke. Es sind Szenen vom 8. Jänner 2023. Brasiliens Rechtsaußenpräsident Jair Bolsonaro hat gerade seine Wiederwahl verloren. Seine Anhänger verwüsten mehrere Regierungsgebäude in Brasiliens Hauptstadt Brasília.
Die Szenen erinnern an den Sturm auf das Kapitol in Washington am 6. Jänner 2021, zwei Jahre vor den Randalen in Brasília, als US-Präsident Donald Trump seine Niederlage gegen Joe Biden nicht hinnehmen wollte. Ein Mob drang in das Kapitol ein und machte Jagd auf Abgeordnete. Damals starben fünf Personen, ein Polizist und vier Trump-Anhänger.
Während Trump ohne Strafe davonkam, könnte es nun für Bolsonaro und sieben Mitangeklagte, darunter ein Viersternegeneral, nicht so glimpflich ausgehen. Brasiliens höchster Gerichtshof, das Oberste Bundesgericht, soll bis Freitag eine Entscheidung im Fall verkünden. Bolsonaro droht ein Maximalurteil von 43 Jahren Haft – de facto lebenslänglich für den kränklichen 70-Jährigen.
Bolsonaros Anhänger sprechen vom „Lulag“ – eine Wortneuschöpfung aus Gulag, dem System an inhumanen Arbeitslagern in der stalinistischen Sowjetunion, und Lula, dem Namen von Brasiliens sozialistischem Präsidenten Luiz Lula da Silva, der Bolsonaro 2023 besiegt hatte. Sie strömten am vergangenen Sonntag, Brasiliens Unabhängigkeitstag, auf die Straßen. Auf ihren Schildern: Slogans wie „SOS Trump“ und „Trump, save my country“ („Trump, rette mein Land“).
Trump bezeichnete den Prozess gegen Bolsonaro als „politische Verfolgung“ und verhängte Strafzölle von 50 Prozent gegen Brasilien.
Was wäre passiert, wenn Trumps Sturm auf das Kapitol in Brasilien stattgefunden hätte? Das fragte erst kürzlich die BBC Ricardo Cappelli, der als Sonderbeauftragter damals die Ausschreitungen befrieden musste. „Donald Trump würde höchstwahrscheinlich auf der Anklagebank sitzen“, antwortete der Lula-Vertraute.
Doch warum kam Trump glimpflich davon, während Bolsonaro nun ins Gefängnis wandern könnte? Hier ein kurzer Erklärungsversuch in drei Punkten:
- Trump war einfach cleverer als Bolsonaro: Trump rief seine Anhänger am 6. Jänner zwar dazu auf, wie „Verrückte zu kämpfen“ sprach aber auch davon, dass sich seine Anhänger „friedlich und patriotisch Gehör verschaffen sollten“. Trumps Anwälte argumentierten später, dass der nötige Vorsatz für die Straftat der kriminellen Anstiftung nicht erfüllt sei. Währenddessen hinterließ Bolsonaro eine Spur aus Dokumenten und Textnachrichten, darunter ein Entwurf für ein Dekret, das die Wahlen annullieren sollte, und einen Plan für die Ermordung von Lula-Vertrauten, der im Präsidentenbüro ausgedruckt worden war.
- Trump hatte zudem auch einfach mehr politische Rückendeckung. Der Supreme Court, in dem hauptsächlich konservative Richter sitzen, entschied, dass US-Präsidenten bei „offiziellen Handlungen“ Immunität genießen. Ein Amtsenthebungsverfahren im Senat scheiterte an der nötigen Zwei-Drittel-Mehrheit. In Brasilien jedoch sitzen im Obersten Bundesgericht, das ähnlich zu den USA ebenfalls politisch besetzt wird, hauptsächlich Richter, die von Lulas Arbeiterpartei (PT) oder von liberalen Präsidenten ernannt worden waren. Bolsonaro, der als Außenseiter Präsident wurde und institutionell kaum im politischen System Brasiliens verankert ist, konnte in seiner Amtszeit nur zwei Richter in das Oberste Bundesgericht, das auch als Verfassungsgerichtshof fungiert, schicken.
- Auch ein unterschiedliches Mindset trennt USA und Brasilien: Bis 1985 wurde Brasilien von einer US-gestützten Militärdiktatur kontrolliert. Demokratie gilt im Südamerikaland als hohes Gut und nicht als Selbstverständlichkeit. Besonders das Oberste Bundesgericht versteht sich als Wächter der Demokratie. Währenddessen gelten die USA als älteste noch bestehende Demokratie. Die moderne USA mussten sich nie mit Putschversuchen herumschlagen.
Die US-Staatsanwaltschaft beantragte Ende 2024 eine Einstellung des Verfahrens gegen Trump. Noch unklar ist, ob es nach dem Ende von Trumps zweiter Amtszeit im Jahr 2029 nicht wieder aufgenommen werden könnte. Droht Trump vielleicht doch noch das gleiche Schicksal wie ein Jair Bolsonaro?