Nach dem Amoklauf in Graz: Zusammenhalt und Zukunft
Schulen sind die nobelsten Orte einer Gesellschaft. Unser Fortschritt, unser Zusammenleben hängt davon ab, wie unsere Kinder und Jugendlichen sich dort formen. Es sind Orte, wo Zukunft entsteht, geleitet durch ein humanistisches Weltbild, das die Schülerinnen und Schüler und ihre Entwicklung in den Mittelpunkt stellt. Dazu müssen Schule Orte der Geborgenheit und Sicherheit sein.
Seit Dienstag wissen wir, dass dies nicht mehr garantiert ist. Die Republik Österreich und die Öffentlichkeit haben mit Würde und ehrlicher Anteilnahme auf den Amoklauf mit zehn unschuldigen und einem schuldigen Toten reagiert. Drei Tage Staatstrauer sind vorüber. Und jetzt? Neun jungen Menschen wurde das Leben genommen, sechs Schülerinnen und drei Schülern, zwischen 14 und 17 Jahre alt, in ihrer Großstadt-Buntheit: mit unterschiedlichem Migrationshintergrund, mit verschiedenen Religionen.
Im Vordergrund müssen die Opfer stehen. Die Gedanken sind jenen zu widmen, die nicht mehr unter uns sind.
Eine Lehrerin, die es sich zum Beruf machte, junge Menschen aufs Leben vorzubereiten, hat ihres verloren.
Bald beginnen die Sommerferien für über eine Million Schüler in Österreich. Für die Angehörigen der Opfer hat ein Leid begonnen, das kaum vorstellbar ist. Wie das Leben am BORG Dreierschützengasse für Schüler und Lehrer spätestens im Herbst weitergehen soll, daran will noch niemand denken. Wie resilient ist der Mensch? Es wird so sein, wie es der Administrator der Schule im „ZiB 2“-Interview in Zusammenhang mit seinen Maturanten bewegend beschrieb: Ein Drittel will rasch zurück zur Normalität, ein Drittel schwankt, und für ein Drittel ist eine Rückkehr in den Alltag derzeit ausgeschlossen.
Und er sagte auch: Mit dem Täter habe man sich nicht beschäftigt, die volle Aufmerksamkeit gelte anderen. Es ist das ethische, auch medienethische Problem in Zusammenhang mit einem solchen Verbrechen. Im Vordergrund müssen die Opfer stehen. Die Gedanken sind jenen zu widmen, die nicht mehr unter uns sind. Der Täter hätte sein Ziel, sich Aufmerksamkeit zu verschaffen, erreicht, wenn ihm zu viel Berichterstattung gewidmet wird. Seine perverse Rache an der Schule, die er einst selbst besuchte, wirkt dann über seinen Tod hinaus.
Vielleicht ist aber auch das Gegenteil vertretbar. Erst die intensive Erforschung der Tat – und damit des Täters – hilft dabei, dessen Verbrechen zu verstehen.
Amokläufer und Attentäter
Zunächst muss man die Begriffe klären. Behörden und Experten sprechen von einem „Amoklauf“ und einem „Amokläufer“. Sie wissen am besten um die Fachausdrücke Bescheid. Aber dennoch sei die laienhafte Frage gestattet, ob dies nicht auch ein Attentat war; der Täter mindestens so sehr Attentäter wie Amokläufer ist. Er hat seine Tat minutiös geplant, die Handhabung einer Waffe in einem Sportschützenverein erlernt.
Ob Rache ein Motiv war, Kränkung, Allmachtsfantasien, narzisstische Störung – wir werden es nie abschließend wissen. Man sollte auf die Balance achten. Allzu rasch waren Mobbing-Erzählungen als Erklärungen für die „Wahnsinnstat“ im öffentlichen Umlauf. Der 21-Jährige hat zehn Menschen getötet – er ist ein Mörder, kein Opfer. Die von Medien befragten Jugendpsychiater gaben professionelle, abstrakte Einschätzungen zu möglichen Motiven. Man sollte aber nicht nur ihnen die Beurteilung des Täters überlassen.
Politik und Gesellschaft werden sich einigen Fragen stellen müssen. An welcher Stelle wäre der Täter zu stoppen gewesen? Im Schützenverein? Beim psychologischen Test für die Waffenbesitzkarte? Beim Kauf der Waffen?
Politik und Gesellschaft werden sich einigen Fragen stellen müssen. Die Debatte über das österreichische Waffenrecht läuft bereits. An welcher Stelle wäre der Täter zu stoppen gewesen? Im Schützenverein? Beim psychologischen Test für die Waffenbesitzkarte? Beim Kauf der Waffen? Aber auch: Übersah das Umfeld die Entwicklung des jungen Mannes? Fehlt es an geeigneten Einrichtungen, an die sich Burschen, die abgleiten, wenden können?
Was können wir für die Opfer tun? Vielleicht den Zusammenhalt weiter pflegen. Die Verletzten werden die beste medizinische Betreuung und Rehabilitation erhalten, die Schüler und Lehrer des BORG Dreierschützengasse seelische Hilfe. Trost wurde in drei Worten formuliert: „Graz steht zusammen“. Und das ganze Land steht zu Graz. Die Ermordeten? Halten wir sie im Gedächtnis.
Und was können wir für uns tun? Sicherstellen, so gut es geht, dass Schulen auch in Zukunft die nobelsten Orte unserer Gesellschaft bleiben – und sichere.