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Graz: Die Chronik eines beispiellosen Verbrechens

Trauer, Entsetzen und grenzenlose Solidarität. Aber auch Fassungslosigkeit, warum der 21-jährige Amokläufer von Graz zwei Waffen besitzen durfte, obwohl er fürs Bundesheer psychisch nicht geeignet war. „Warum ist dieser Horror zu uns gekommen?“, fragen sich viele Grazer.

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Dienstag, 10. Juni, 14.30 Uhr. „Ubili su mi dijete“ – „Sie haben mein Kind getötet“, sagt eine Mutter. Ihre Stimme zittert, Tränen laufen über ihr Gesicht, während sie sich in ihr Auto setzt. Ihre Tochter ist eines der zehn Todesopfer des Amoklaufs am Grazer Gymnasium BORG Dreierschützengasse. Sie stammt aus Bosnien-Herzegowina. Über vier Stunden wusste sie nicht, was mit ihrem Kind geschehen war. Ein Mann, der gerade sein Kind abholt, bekommt die Szene mit. Bei dem Gedanken, das Opfer hätte sein Kind sein können, verdunkelt sich seine Miene.

Nach und nach treffen grüne Busse der Grazer Linien auf Sonderfahrt ein. Drinnen sitzen die Schülerinnen und Schüler, blass, verstört, stumm. Die Angst steht ihnen ins Gesicht geschrieben. Kurz vor dem Ankommen bei der ASKÖ-Sporthalle, die zu einem provisorischen Krisenzentrum umfunktioniert wurde, kollabiert ein Mädchen in einem der Busse. Sanitäter greifen sofort ein. Ein Vater lehnt an der Wand, eine Psychologin spricht ihn an. „Brauchen Sie Hilfe?“, fragt sie leise. Er nickt kaum merklich, nimmt einen Schluck aus seiner Wasserflasche. Seine Tochter ist noch nicht da.

Ein anderer Mann in Arbeitskleidung läuft an den Einsatzkräften vorbei, atemlos, orientierungslos. Er spricht kaum Deutsch, versteht nicht, wohin er soll. Vor dem Eingang müssen sich die Angehörigen registrieren. Ausweis, Name, Klasse des Kindes. Erst dann dürfen sie in die Halle. Aber die meisten Eltern bleiben draußen stehen. Sie schauen in jeden ankommenden Bus, versuchen, Gesichter zu erkennen. Ist mein Sohn dabei? Meine Tochter? Ihre Blicke tasten suchend die Fensterscheiben ab. Manche tragen noch Arbeitskleidung. „Das ist ein Wahnsinn. Er soll in der Hölle schmoren“, ruft ein Vater. Immer mehr Menschen versammeln sich um und in der ASKÖ-Halle. Eltern drücken ihre Kinder an sich, halten ihre Hände, steigen ins Auto, fahren nach Hause oder woandershin. Hauptsache weg.

Daniela Breščaković

Daniela Breščaković

ist seit April 2024 Innenpolitik-Redakteurin bei profil. War davor bei der „Kleinen Zeitung“.

Clemens Neuhold

Clemens Neuhold

Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.