Wie Englands erfolgreichster Rechtspopulist die Medien beherrscht
Nigel Farage hatte einen fantastischen Sommer.
Im Pub und auf Landwirtschaftsmessen grinste Großbritanniens erfolgreichster Rechtspopulist für Selfies in Handykameras, im Ärmelkanal hielt er auf einem Fischerboot Ausschau nach illegalen Migranten, und in den sozialen Medien tanzte er in einem KI-generierten Video im weißen Pelzmantel („a little bit of fun“). Vor den Augen der versammelten britischen Presse hielt Farage den ganzen Sommer lang wöchentlich ausschweifende Reden, um dann Mitte vergangener Woche vor dem US-Kongress in Washington vor einem „Krieg gegen die Meinungsfreiheit“ in Europa zu warnen.
Sein Ende findet Farages Sommer an diesem Samstag beim Kongress seiner Reform-Partei in Birmingham – mit erwarteten 12.000 Besuchern und einem eigenen Budget für Pyrotechnik.
Farage hält sich nicht mit lästigen Details auf, er ist unterhaltsam und – das ist spätestens klar, seit er für ein Reality-TV-Format vor laufender Kamera eine mit Tierpenissen belegte Pizza aß – er schreckt vor nichts zurück.
„Silly Season“, wörtlich „dumme Jahreszeit“, nennen die Briten das Sommerloch, und diesmal passte das besonders gut. Während sich die Abgeordneten des britischen Parlaments im Urlaub befanden, dominierte Farage die Schlagzeilen. Der Rechtspopulist führt seit Monaten in den Umfragen, mittlerweile liegt seine Reform-Partei mit bis zu 35 Prozent mit großem Vorsprung auf dem ersten Platz.
Großbritanniens Premierminister Keir Starmer hat all dem wenig entgegenzusetzen. Zwar kann der glanzlose Labour-Chef nach einem Jahr in der Downing Street 10 durchaus auf Erfolge verweisen, doch seine Maßnahmen zur Armutsbekämpfung scheinen nicht zum Wahlvolk durchzudringen. Wie ein Reh im Scheinwerferlicht steht die Labour-Regierung vor dem herandonnernden Übel namens Farage.
Allein in den Wochen während der Sommerpause zierte das berüchtigte Grinsen des schrillen Rechtspopulisten mindestens zwei Dutzend Mal die Titelseiten.
Eine Strategie Labours für den Umgang mit dem Rechtspopulisten ist nicht erkennbar, den Sommer über gab es weder Pressekonferenzen noch nennenswerte politische Ideen, die man hätte verkünden können. Nicht einmal mit seinem Besuch in Washington an der Seite des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj sowie europäischer Amtskollegen konnte Starmer Farage die Show stehlen. Wer Starmer die Verantwortung für den Erfolg Farages zuschiebt, macht es sich aber zu leicht. Seinen Höhenflug verdankt der politische Rowdy vor allem den britischen Medien.
Rechte und konservative Zeitungen und Boulevardblätter, die die Medienlandschaft Großbritanniens dominieren, stürzen sich auf jede Farage-Geschichte. Allein in den Wochen während der Sommerpause zierte das berüchtigte Grinsen des schrillen Rechtspopulisten mindestens zwei Dutzend Mal die Titelseiten. Die öffentlich-rechtliche BBC ließ sich vom Boulevard hertreiben und berichtete ebenfalls ausführlich.
Die Presse liebt Farage, und das liegt auch daran, dass er auf jede Frage antwortet und sich aus seinen langen, mit Lügen, Halbwahrheiten und Verschwörungsmythen gespickten Behauptungen wiederum neue Geschichten stricken lassen: über die Herkunft von Kriminellen etwa oder die Frage, ob die von Farage geforderten Massenabschiebungen überhaupt umsetzbar wären.
Im Unterhaus verfügt Farages Krawallpartei Reform UK aktuell zwar über nur fünf Sitze, doch das kann sich rasch ändern. Mit dem britischen Mehrheitswahlrecht gelangt pro Wahlkreis jeweils nur der Erstplatzierte ins Unterhaus. Auf diese Weise erlangte Labour bei den Parlamentswahlen vor einem Jahr mit einem Drittel der Stimmen knapp zwei Drittel der Sitze. Kann die Reform-Partei ihren Höhenflug bis zu den nächsten Wahlen weiterführen, heißt der nächste Premierminister Nigel Farage.
Gegensteuern kann die Regierung mit einer Änderung des Wahlsystems. Eine solche fordert neben den Grünen und den Liberaldemokraten auch eine Mehrheit Labours, und in Umfragen sprechen sich rund 60 Prozent der Bevölkerung dafür aus, mehr als je zuvor. Durch ein repräsentatives Wahlrecht könnte Farage von der Macht ausgeschlossen werden, oder er müsste zumindest mit einer weiteren Partei koalieren.
Für ein Referendum über eine Reform wäre eine Mehrheit im britischen Unterhaus nötig, doch die Angelegenheit scheint nicht auf Starmers Prioritätenliste zu stehen. Der Premier hat derzeit genug mit dem Rücktritt seiner Stellvertreterin zu tun. Vizepremierministerin Angela Rayner war über einen Immobiliendeal gestolpert, am Freitagnachmittag warf sie das Handtuch. Labour geht damit eine linke Identifikationsfigur verloren.
Nigel Farage steht ein fantastischer Herbst bevor.