Satire

Rainer Nikowitz: Bis die Ärztin kommt

Bevor sie die FPÖ endgültig ins Regierungsboot bekam, musste Johanna Mikl-Leitner noch beweisen, wie schmerzbefreit sie wirklich ist.

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Die Nacht hier im stockdunklen Herzen Niederösterreichs war kalt und leer. Irgendwo in der Ferne, tief verborgen in Wäldern, in denen sich nicht einmal mehr Fuchs und Hase gute Nacht sagen wollten, röhrte ein Hirsch. Oder war es doch eher der aufgebohrte Doppelauspuff eines juvenilen Bauernbündlers  unten am Autobahnzubringer? Die Landeshauptfrau schlug fröstelnd den Mantelkragen noch höher und stolperte leise fluchend weiter durch die Finsternis. Was für eine bescheuerte Idee! Das würde der Pernkopf noch büßen, dass er ihr das eingeredet hatte. Andererseits: Was tat man nicht alles für das Wohl des …, äh …, Landes. Da musste man halt auch einmal dorthin gehen, wo’s wehtat. Also zum Beispiel zum zweiten Mal auf denselben Ball im selben Kleid. Oder eben: hierher.

Der Godfather hatte ihr ja davon abgeraten, das zu tun. Sie hatte ihn zwar gar nicht um seine Meinung gefragt, aber er hatte  sie selbstverständlich angerufen, um sich wie gewöhnlich nicht einzumischen. Seine Schlussfolgerung war relativ überraschungsfrei und wenig hilfreich gewesen, hatte sie doch gelautet: „Unterm Erwin hätt’s des net geben!“ Ja. Eh. Aber was sollte sie denn bitte jetzt sonst machen? Hätte sie endlos mit dem Hergovich weiterstreiten sollen? Und dann am Ende, selbst wenn sie gewonnen hätte? Was sollte denn sie mit dem seiner abgehackten Hand? Das war doch grauslich, so was.   

Also … ganz anders als das hier. 

Die tapfere Landesmutter war jetzt am Ziel angekommen. Vor ihr ragten die schroffen Türme einer landestypischen Raubritterburgruine in den Himmel, umwabert von einer Nebelwolke, die nach Männerschweiß roch, den hier offenbar die massenhafte fiebrige Erwartung großer Dinge produzierte. Und natürlich nach dem Quargelbrot, mit dem sich Gottfried Waldhäusl in der Früh immer die Zähne putzte. Bevor man Waldhäusl sah, roch man ihn ja immer schon längst. Das hatte allerdings auch seine Vorteile, konnte man ihm doch solcherart leichter aus dem Weg gehen, und sei es durch einen Sprung in letzter Sekunde in einen Dornenbusch. Aber diese Option fiel ja heute wohl leider aus. Johanna entrang sich einen tiefen Seufzer. Hier, in diesem finsteren Gemäuer, das ganz dem innenarchitektonischen Geschmack strammer Burschen wie ihrer zukünftigen Koalitionspartner entsprach, sollten also die letzten, nach langen Verhandlungen nun wirklich endgültig allerletzten sogenannten „vertrauensbildenden Maßnahmen“ stattfinden, auf die die FPÖ bestanden hatte. Was für ein Alptraum. Der Ort – und die Maßnahmen. 
Drinnen dampfte der Festsaal. Auf langen Tischen reihten sich die Bierkrüge aneinander, die Fackeln an den Wänden qualmten mit aufgekratzten blauen Funktionären um die Wette. Manche hatten zur Feier des Tages ihre blöden Käppis auf und schwarz-rot-goldene Schärpen um. Die Liederbücher hatten sie daheim gelassen, zumindest darauf hatte Johanna bestanden, da konnte sie nämlich beinhart sein wie nur was. 

Außerdem konnten die ja eh alles auswendig. 

An der Stirnseite des Saals war eine Bühne aufgebaut, auf der stand ein Sessel. Eine Art Behandlungsstuhl. Johanna hatte da so eine Ahnung, für wen der gedacht war. Denn die meisten Punkte waren bei den Koalitionsverhandlungen ja eh kein Problem gewesen, auch Asyl nicht. Bis auf einen: Corona. Da bedurfte es noch einer Aufarbeitung – oder zumindest, was die FPÖ darunter verstand. Sonst – keine Koalition. Also musste Johanna es eben tun. Und zwar dafür, dass die FPÖ-Abgeordneten als Gegenleistung bei der Landeshauptfrauwahl leere Stimmzettel in die Urne werfen und ihr solcherart zu einem ungeahnten Triumph verhelfen würden. Also zusammengefasst: für das …, äh …, Land! 

Ein stummer Diener, der eine langschnäbelige mittelalterliche Pestmaske trug – wahrscheinlich wollte er sich nicht bei Johanna mit der Impfung infizieren – wies ihr den Weg. Sie setzte sich unter dem Gejohle des Publikums auf den Sessel und wartete. Es dauerte nicht lange und der mit durchgestrichenen Spritzen bemalte Vorhang hinter ihr teilte sich und heraus trat Dagmar Belakowitsch. Oder, wie die zukünftigen Koalitionspartner im Publikum ehrfurchtsvoll raunten: „Die Doktorin!“

Die Doktorin trug einen sicherlich sterilen Einweg-Maler-Papieroverall aus dem Baumarkt und eine Taucherbrille, war also schon bereit. Sie trat auf Johanna zu, tätschelte ihr leicht entrückt lächelnd eine Hand und sagte: „Ganz ruhig, meine Liebe. Ich mache so eine chirurgisch-lobotomische Bill-Gates-Nanochip-Entfernung aus dem Gehirn plus Rückgängigmachung der durch die Impfung hervorgerufenen Gensubstanzveränderung mittels hochdosiertem Toilettenreiniger und anschließender Ivermectin-Bachblütenblutwäsche schließlich nicht zum ersten Mal. Es wird auch gar nicht wehtun!“

Dann wandte sie sich mit weit aufgerissenen Augen um und sagte: „Schwester Udo? Skalpell!“

Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort