Wasted Love

Der Satz „JJ hat eine Kopfstimme“ bekommt jetzt möglicherweise noch eine zweite Bedeutung.

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Die Freude über den Sieg beim Song Contest ist nicht enden wollend – und das ist ja auch ganz richtig so. Österreich im Glückstaumel, Kulturminister Andreas Babler konnte mit knapper Not daran gehindert werden, sich vor das gerade noch ausrollende Flugzeug zu werfen, um JJ gebührend zu empfangen. Zwei Tage später durfte unser Sieger auch im Bundeskanzleramt zum Selfie mit den drei Koalitionsspitzen antreten, die in ihm begreiflicherweise darob aufwallende Euphorie behielt er professionell für sich, man sieht sie ihm auf dem verbreiteten Bildmaterial nicht an. Es gab auch sofort einige Städte, die sich als Austragungsort ins Gespräch brachten. Mein Herz schlägt hier selbstverständlich für den Bewerber aus dem Burgenland, schon allein wegen dann möglicher unsterblicher TV-Sätze wie: „Good evening and hello to lovely Oh-bear-ward! This is London calling!“

Für mich persönlich wurde die ganze Sache aber erst so richtig rund, als sich unser Barde endlich, nach Tagen des bleiernen Schweigens, auch zur Causa prima unserer Zeit geäußert hat, ich wollte schon anrufen. Denn während mir mein Installateur beim Beheben einer unangenehmen Verstopfung selbstverständlich ungefragt erklärt, dass er israelische Abflussreiniger und Rohrmuffen boykottiert und mich der Trafikant statt dem früheren „D’Ehre!“ korrekterweise nur mehr mit „From the river to the sea!“ begrüßt, ist von den entrückten Kulturschaffenden in ihren Elfenbeintürmen dazu natürlich wieder einmal praktisch nichts zu hören.

Jeden Tag warte ich sehnsüchtig darauf, dass endlich eine Schauspielerin oder ein Musiker oder zumindest jemand, der sich entgegen aller objektivierbaren Fakten für das eine oder andere hält, den Mund aufmacht. Und wenn mich wieder keiner von ihnen mit seiner – in der Stoßrichtung vollkommen überraschenden! – Positionierung in dieser Frage befruchtet, sitze ich nur depressiv herum und spiele mechanisch mit den Bommeln meines Palästinensertuchs.

Ich für meinen Teil führe ja mittlerweile eine schwarze Liste von Kunstschaffenden, die sich bisher noch nicht mit markerschütterndem Fachwissen zu Gaza und einem daraus resultierenden wohlklingenden Slogan oder Boykottaufruf profiliert haben. Die boykottiere ich selbstverständlich, weil wer glauben die bitte, dass sie sind? Mich so allein zu lassen in meiner Unbedarftheit. Nicht mit mir. Manche auf meiner Liste sind leider vollkommen unbelehrbar, wie zum Beispiel Nick Cave oder Thom Yorke. Was soll man sagen, alte weiße Männer halt. Keine Ahnung von nichts.

Aber zum Glück gibt es ja aufgeweckte, universell gebildete und vor lauter Lebenserfahrung nur so strotzende 24-Jährige wie unseren JJ, der nicht unnötig viel Zeit verstreichen ließ, um sich auf die einzig mögliche Seite zu stellen! Er forderte in einem Interview für „El Pais“, man möge Israel doch bitte vom nächsten Song Contest ausschließen. Außerdem befand er, die Umstände des Televotings – in der Publikumswertung lag Israel weit vorn – seien „seltsam“ gewesen. Damit stieß er gerade in Spanien auf offene Ohren, auch der spanische Sender RTVE meldete zuerst umgehend Zweifel an dessen Richtigkeit an, schließlich war Israel auch beim spanischen Publikum auf Platz eins gelandet – und dies ohne Genehmigung der Journalisten und auch der betont israelkritischen Regierung. In vergleichbaren Ländern lief es bedauerlicherweise ähnlich, was RTVE zu dem Schluss führte, dass sich etwas ändern müsse. Das Televoting sei „durch die aktuellen militärischen Konflikte beeinflusst“ worden. Und dies könnte „den kulturellen Charakter der Veranstaltung gefährden“.

Genau! Beim Song Contest ist es ja sonst immer und ausschließlich um die Qualität der Musik gegangen – und nie um Politik oder gar Aktivismus in irgendeine Richtung. Schon gar nicht in eine bestimmte! Deshalb ist es umso bedauerlicher, dass sich das Publikum zu so einem falschen politischen Statement hinreißen hat lassen – und es niemand verhinderte! Während ja zum Beispiel noch während der Show die freie Meinungsäußerung von zwei Pro-Palästina-Aktivisten brutal unterdrückt wurde, weshalb die ihre Farbbeutel leider nicht auf die israelische Starterin werfen konnten, sondern nur auf Securities, also wenigstens Schergen des kolonialistischen Unrechtssystems. Auch Flaggen auf der Bühne waren nicht erwünscht. Wie soll man als Künstler so vernünftig arbeiten?

Und falls tatsächlich jemand glauben sollte, dass das Ergebnis dieses unwürdigen Televotings in Richtung der so meinungsstarken Künstler geheißen hat: „Könntet’s ihr jetzt bitte alle miteinander endlich einmal die Pappn halten? Nur kurz?“, dann frisst der wahrscheinlich auch immer noch Jaffa-Orangen. Uäääh!

Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz