Rechtspflege à la Allah: Verdrängt die Scharia österreichisches Recht?
Man sollte die Politik keinesfalls den Spitzenjuristen allein überlassen. Erfahrbar wurde dies vergangene Woche nach einem Bericht der „Presse“ über ein bemerkenswertes Gerichtsurteil.
Zwei muslimische Männer hatten zur Klärung geschäftlicher Konflikte ein privates Schiedsgericht vereinbart. Ein üblicher Vorgang: Es erleichtert das Geschäftsleben, wenn bei Meinungsverschiedenheiten statt eines langwierigen Rechtsweges straffe Streitbeilegungsverfahren genützt werden. Die Männer wählten als Rechtsgrundlage für ihr Schiedsgericht die islamischen Rechtsvorschriften, die Scharia. Es kam zu einem Streit, der schließlich vor dem weltlichen Wiener Landesgericht für Zivilrechtssachen landete.
Dieses hatte nur zu prüfen, ob das Ergebnis des Scharia-Schiedsspruchs gegen die Grundwerte der österreichischen Rechtsordnung verstoße – das tat es nicht. Wie das Gericht feststellte, können islamische Rechtsvorschriften für vermögensrechtliche Ansprüche „in einer Schiedsvereinbarung wirksam vereinbart werden“.
Der Aufschrei des Boulevards und der FPÖ, nun würde in Österreich die Scharia gelten, ist albern und kann daher ignoriert werden.
Diskussionswürdig sind Kommentare aus dem juristischen Olymp. Die ehemalige Präsidentin des Obersten Gerichtshofs, Bundespräsidentschaftskandidatin und Neos-Abgeordnete, Irmgard Griss, meinte, sie sehe hier „kein Problem“. Paul Oberhammer, Professor für Zivilverfahrensrecht an der Uni Wien, sprach von einer „ganz unaufregenden Entscheidung“ und warf Kritikern „einen bemerkenswerten Mangel an Sachkenntnis“ vor. Aus rein rechtlicher Sicht mag das stimmen, allerdings zeigen derartig lapidare Äußerungen eine apolitische Denkweise, die gerade bei Griss überraschend ist.
Die Scharia ist eben keine Rechtsordnung wie andere. Oberste Instanz ist der aus muslimischer Sicht einzige Gott. Religion und Recht verschmelzen, was aus liberaler Sicht jegliche Anwendung der Scharia zweifelhaft macht.
Die – nicht gegen österreichische Grundwerte verstoßende – Anwendung der Scharia mag juristisch einwandfrei sein, politisch ist der Fall mehrfach problematisch.
- Er zeigt exemplarisch, dass Teile der muslimischen Bevölkerung in einer Parallelwelt leben, in der sie ihre eigenen Regeln den österreichischen, etwa dem Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch, vorziehen. Integration bedeutet aber auch, das Regelwerk des Gastlandes anzuwenden.
- Können wir wirklich wissen, in welchem Ausmaß die Scharia in privaten Angelegenheiten österreichisches Recht bereits verdrängt? Werden vielleicht auch Mietverträge unter Muslimen nicht nach dem Mietrechtsgesetz, sondern islamischen Regeln geschlossen? Wird der Konsumentenschutz bei Scharia-Geschäften ernst genommen? Kann ein verhandlungsstärkerer Vertragspartner einem schwächeren die Anwendung der Scharia aufzwingen, der es dann auch nicht wagt, ein Gericht anzurufen, schon gar nicht, wenn es sich um eine Frau handelt.
- Einzelne Kommentatoren argumentierten, Vertragspartner in einer freien Demokratie könnten für Schiedsverfahren auch klingonisches Recht oder die Gesetze von Tuvalu festlegen. Ein puristisch-juristisches Argument, aber zugleich ein politischer Denkfehler: Die Scharia ist eben keine Rechtsordnung wie andere, sondern eine à la Allah. Oberste Instanz ist nicht wie einst Irmgard Griss im OGH, sondern der aus muslimischer Sicht einzige Gott. Religion und Recht verschmelzen, was aus liberaler Sicht jegliche Anwendung der Scharia prinzipiell zweifelhaft macht, weil sie den Rechtsstaat beschädigt, auch wenn in Österreich lebenden Muslimen der Gang zu Höchstgerichten offensteht.
- „Dass Scharia darübersteht“, so Griss, reiche allein für einen Verstoß gegen österreichisches Recht nicht aus. Auch das mag stimmen. Auf weite Teile der aufnehmenden Gesellschaft dürfte der Fall dennoch irritierend wirken. An muslimische Kulturvereine und Moscheen in der Nachbarschaft haben sich die autochthonen Österreicher gewöhnt. Die Existenz von Privatgerichten auf Scharia-Basis ist neu. Die politischen Nutznießer solcher Fälle sind leicht auszumachen.
Zumindest hat der Fall eine ironische Facette. Der muslimische Kläger versuchte am Ende, die von ihm bevorzugte Scharia über ein österreichisches Gericht auszuhebeln.
Man könnte das durchaus als einen gelungenen Akt der Integration sehen.