Nein, in Österreich gilt nicht die Scharia
Gilt jetzt etwa die Scharia in Österreich? Diesen Eindruck erweckten in den vergangenen Tagen gleich zwei Regierungsparteien. Neos-Klubobmann Yannick Shetty zum Beispiel nahm eigens ein Video für Instagram auf, in dem er der Öffentlichkeit mitteilte: „In Österreich darf es keine Paralleljustiz geben und auch kein Einfallstor dafür. Bei uns gibt’s nur eine Rechtsordnung, und die fußt auf unsere Verfassung“, und weiter: „In Österreich entscheidet eine Richterin, kein Imam.“ Integrationsministerin Claudia Plakolm, ÖVP, teilte ein Posting mit der Aussage: „Wir werden der Anwendung von Scharia-Regeln in Österreich einen Riegel vorschieben – dauerhaft und konsequent.“ Als Beweis für das konsequente Vorgehen der Koalition machten Shetty und Plakolm auf gemeinsame Maßnahmen aufmerksam: Das Verbot der Ehe zwischen Cousins und Cousinen und die Ehe unter 18.
Der eigentliche Anlass für ihre Aussagen hatte allerdings nichts mit Ehen zwischen Minderjährigen, Verwandten oder einer Paralleljustiz zu tun. Plakolm und Shetty beziehen sich auf eine Entscheidung des Wiener Landesgerichts für Zivilrechtssachen, über die die „Presse“ berichtet hatte.
Zur Erklärung: Zwei Männer wollten vor einem Schiedsgericht einen Streit um einen Vertrag klären. Ein Schiedsgericht sollte „anhand der islamischen Rechtsvorschriften (Ahlus-Sunnah wal-Jamaah) nach Billigkeit in der Sache nach bestem Wissen und Gewissen“ entscheiden. Als einer der beiden Männer danach aber 320.000 Euro zahlen sollte, wollte er die Entscheidung nicht anerkennen. Erstens könnte das islamische Recht – also die Scharia – unterschiedlich ausgelegt werden, zweitens verstoße die Berufung darauf gegen Grundwerte des österreichischen Rechts. Der Fall landete beim Wiener Landesgerichts für Zivilrechtssachen. Dort prüfte man, ob das Ergebnis des Schiedsspruchs gegen die Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung verstößt – und das tat es nicht. Außerdem: „Die islamischen Rechtsvorschriften (…) können für vermögensrechtliche Ansprüche als schiedsfähige Ansprüche in einer Schiedsvereinbarung wirksam vereinbart werden.“
Schiedsgerichte sind private Einrichtungen
Im Büro der zuständigen Justizministerin Anna Sporrer, SPÖ, hält man auf profil-Nachfrage fest: Österreichische Gerichte könnten nur Regeln anwenden, „die mit unseren Wertvorstellungen übereinstimmen“. Und: „Es greift hier die sogenannte ,ordre public‘-Klausel. Diese besagt, dass Bestimmungen fremden Rechts nicht anzuwenden sind, wenn die Anwendung gegen die Grundwerte der österreichischen Rechtsordnung verstoßen würde.“
Schiedsgerichte sind keine staatlichen Institutionen, sondern private Einrichtungen. „Sie sind ein zentrales Instrument zur Verwirklichung der Privatautonomie und ermöglichen es den Parteien, anstelle staatlicher Gerichte ein eigenes, auf ihre Bedürfnisse zugeschnittenes Streitbeilegungsverfahren zu vereinbaren“, heißt es aus dem Justizressort. „Durch die Wahl des Schiedsgerichts können die Parteien über maßgebliche Aspekte wie das anwendbare Recht selbst bestimmen.“
Irmgard Griss, ehemalige Höchstrichterin und Ex-Abgeordnete im Neos-Klub, beruhigte in der „Presse“. Sie verstehe die Aufregung rund um dieses Urteil nicht: „Ich sehe hier kein Problem.“ Wichtig sei, dass der „ordre public“ eingehalten werde. Würde auf Basis der Scharia ein Schiedsgericht entscheiden, dass eine Frau ein Kopftuch tragen müsse, wäre dies ein Verstoß. In der aktuellen Entscheidung ist das aber nicht der Fall.
Auch im Justizministerium mahnt man Vorsicht ein: „Allfällige Änderungen des Internationalen Privatrechtsgesetzes müssen in aller Ruhe diskutiert werden.“ Nur so könne Sorge getragen werden, „dass nicht mehr rechtliche Probleme als Lösungen geschaffen werden“. Zusatz: „Hier darf es zu keinen politischen Schnellschüssen kommen.“
Und was sagt Neos-Klubobmann Yannick Shetty zur Einschätzung von Irmgard Griss? „Das konkrete Urteil ist als Einzelfallentscheidung juristisch zwar unproblematisch“, meint er auf profil-Anfrage, „gesellschaftlich halte ich es aber für hochproblematisch. Die Symbolik, dass Scharia-Recht vor einem österreichischen Gericht zur Anwendung kommt, darf kein Präzedenzfall sein und ist meiner Meinung nach keine begrüßenswerte Entwicklung.“ Und weiter: „Wo es juristisch Nachschärfungen braucht, etwa im Personenstandsrecht, um die Anerkennung von Zwangsehen zu unterbinden, gehen wir diesen Weg entschlossen, zuletzt mit einem gemeinsamen Ministerratsvortrag im Frühjahr."
Zum Schluss noch ein Hinweis in eigener profil-Sache: Am 17. September wird im Theater Akzent auf offener Bühne über die publizistische Auseinandersetzung mit der FPÖ in den vergangenen 55 Jahren diskutiert.
Zu Gast sind:
- Anna Thalhammer, profil-Chefredakteurin (Moderation)
- Andreas Mölzer, FPÖ-naher Publizist
- Heinz-Christian Strache, Ex-Vizekanzler
- Eva Linsinger, ORF-Report
- Gernot Bauer, profil-Innenpolitikchef
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