Acht Terroranschläge in Österreich seit 7. Oktober 2023 vereitelt
Der Terror-Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und der seitdem lodernde Nahost-Konflikt befeuern islamistischen Extremismus in Österreich. Das geht aus dem gestern veröffentlichten Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2024 hervor. Acht Terroranschläge hätten die Sicherheitsbehörden seit dem 7. Oktober 2023 vereitelt, sagte Jörg Leichtfried, SPÖ-Staatssekretär im Innenministerium bei der Präsentation des Berichts.
Hauptziel des Terrors war laut Leichtfried Wien: Am Stephansdom, im Prater, am Westbahnhof, am Hauptbahnhof, in einer Wiener Synagoge und vor dem Ernst-Happel-Stadion im Rahmen der Taylor-Swift-Konzerte seien konkrete Anschläge geplant gewesen, sagte Leichtfried. Auch der Grazer Jakominiplatz wurde von Terroristen ins Visier genommen, wie profil berichtet hatte. Nur in Villach waren die Ermittlerinnen und Ermittler zu spät dran: Am 15. Februar wurde ein 14-Jähriger bei einem Messerangriff getötet und fünf weitere Personen schwer verletzt. Der mutmaßliche Täter dürfte sich blitzartig online radikalisiert haben.
TikTok-Altersbeschränkung gegen Terror?
Der islamistische Extremismus ist aus Sicht des Verfassungsschutzes derzeit die gefährlichste Gruppe in Österreich: Vor allem junge Menschen werden rasant radikalisiert. Zwei von fünf islamistischen Verdächtigen waren 2024 jünger als 18 Jahre alt. In Chats mutmaßlicher und verurteilter Täter würden die Ermittler „eine tiefe Radikalisierung, einen massiven Frauenhass und den absoluten Willen zur Anschlagsumsetzung“ beobachten, sagte Omar Haijawi-Pirchner, Leiter der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN): Etwa im Fall des 19-jährigen Hauptverdächtigen, der ein Attentat auf das Taylor-Swift-Konzert in Wien geplant haben soll.
Terrororganisationen wie der Islamische Staat nutzen für die Verbreitung ihrer tödlichen Ideologie bereits künstliche Intelligenz, sagte Haijawi-Pirchner. SPÖ-Staatssekretär Jörg Leichtfried will daher eine offene, politische Debatte um mögliche Altersbeschränkungen für Social-Media-Seiten führen. Die Grünen hatten zuletzt ein Mindestalter von 16 Jahren für Facebook, Instagram, TikTok und Co. gefordert.
Rechtsextreme Kinder
Österreichs Kinderzimmer sind aber nicht nur für islamistische Propaganda anfällig, auch Rechtsextreme werden immer jünger – und immer mehr: Der Rechtsextremismus ist derzeit zahlenmäßig die größte extremistische Gruppe in Österreich, selbst ohne Taten nach Verbotsgesetz gab es mehr Anzeigen wegen rechtsextremistischen Straftaten als wegen linksextremen oder islamistischen zusammen. Tendenz steigend.
Die rechtsextreme Szene würde sich zunehmend international vernetzen, dadurch neue Mobilisierungsmöglichkeiten und Kampferfahren sammeln, und, so Haijawi-Pirchner: „Sie bereitet sich auf Gewalttaten vor.“ Das zeige sich einerseits durch die hohe Zahl an Waffenfunden bei Rechtsextremisten. Die rechte Szene verbreitet ihre Gewaltfantasien aber auch im Netz: In Chatgruppen würden sich „auffällig junge, manchmal minderjährige und extrem gewaltaffine Personen lose vernetzen“, heißt es im Bericht der DSN. Eine „besorgniserregende Entwicklung“, hält der Verfassungsschutz fest.
Auf einen konkreten Fall wurden die Behörden im April 2024 aufmerksam: In der Telegram-Gruppe „Rechte Jugend“ hatte ein 16-jähriger Niederösterreicher binnen weniger Wochen 150 Personen versammelt. Begrüßungen wie „Heil Hitler“ und andere Nazi-Propaganda waren üblich, dazu teilten die Mitglieder Videos mit Tötungsszenen, die sich laut DSN „gezielt gegen dunkelhäutige, jüdische und muslimische Menschen sowie Angehörige der LGBTQIA+-Community richteten“. Allein das mitgefilmte Terrorattentat von Christchurch, bei dem ein Rechtsextremist 51 Menschen getötet hatte, wurde dreimal in die Gruppe hochgeladen. Viele der von der Tat begeisterten Mitglieder der „Rechten Jugend“ seien „minderjährig, einige sogar jünger als 14 Jahre“.
Freiheitliche Freunde
Überraschend deutlich weist der Verfassungsschutz auf die Verbindungen zwischen Rechtsextremisten und der FPÖ hin: Vor allem bei der „Neuen Rechten“ zeige sich eine „zunehmende Vernetzung mit der Parteipolitik“, die etwa bei diversen Kundgebungen der FPÖ beobachtet werden könne. Gesteigert werden dürfte diese Vernetzung auch durch den „Heterodoxen Extremismus“, ein Sammelbegriff für Staats- und Demokratieverweigerern. Im Europäischen Vergleich gebe es hier in Österreich nach Deutschland die zweitgrößte Szene – auch aufgrund der reichweitenstarken „Alternativmedien“, die hierzulande senden.
Konkret nennt die DSN „AUF1“, „Report24“ und den „Heimatkurier“. Alle drei Medien weisen Nähen zur FPÖ auf. Der Verfassungsschutz sieht in den rechten Medien eine „hybride und wachsende Bedrohung für die öffentliche Sicherheit“, denn: „Die fortlaufende Verbreitung von demokratieablehnender und systemfeindlicher Propaganda führt zu einer voranschreitenden Normalisierung von extremistischen Haltungen und Einstellungen in der österreichischen Gesellschaft.“
Linksextremes Training „gegen den Faschismus“
Beruhigende Zeilen finden sich im 211-Seiten-langen Verfassungsschutzbericht kaum. Auch im linksextremen Spektrum verdoppelte sich die Zahl der Anzeigen aufgrund des Nahost-Konflikts und – wie in anderen extremistischen Strömungen – dürfte Kampfsport unter Linksextremisten immer relevanter werden: „Die Gewaltbereitschaft bewegt sich in Richtung Höhepunkt“, warnt DSN-Chef Haijawi-Pirchner.
Im Bericht seiner Organisation liest sich das anders: „Eine Tendenz in Richtung des Einsatzes von erlernten Kampfsportfähigkeiten zum Zweck des gezielten Einsatzes gegen das politische Gegenspektrum ist derzeit nicht prognostizierbar.“ Auch dass Österreichs Klimaschutzbewegung durch Extremisten übernommen werden könnte, hält der Staatsschutz für wenig wahrscheinlich. Zudem beobachte man in der linksextremen Szene „Nachwuchs- und Rekrutierungsschwierigkeiten“. Es können nicht alle Extremisten gewinnen.
Vielleicht prognostiziert die DSN auch deshalb: „Im Jahr 2025 wird der Fokus der linksextremen Szene weiterhin auf dem ‚Kampf gegen den Faschismus‘ gerichtet sein.“
Was gestern noch passiert ist: Ex-Kanzler Sebastian Kurz wurde vom Vorwurf der Falschaussage freigesprochen. Unser Chefreporter Stefan Melichar hat den Prozess beobachtet. Lesen Sie hier seine Analyse zum Urteil. Oder hören Sie unseren Innenpolitik-Podcast zur Frage, ob Kurz nach dem Freispruch zu einem Comeback ansetzen könnte.