Ärzte am Acker: Der Schildbürgerstreich im Apothekengesetz
Eine Wiese, ein Wald, ein Acker. Davor ein grünes Schild mit der Aufschrift „Arzt“, das auf einen modernen, weißen Flachdachbau zeigt – auf einem Hügel im oberösterreichischen Nirgendwo. Die Praxis ist vom Ortszentrum St. Marienkirchen am Hausruck zu Fuß kaum erreichbar, daher wurden davor rund 15 Parkplätze betoniert.
Wer kommt auf die Idee, ausgerechnet hier eine Ordination zu errichten, wo doch ständig von „wohnortnaher Versorgung“ die Rede ist?
Die Antwort liegt im Apothekengesetz. Es erlaubt Kassenärztinnen und -ärzten grundsätzlich die Führung einer Hausapotheke, die als großer Umsatzbringer gilt. Im Schnitt sollen es 50.000 Euro pro Jahr extra sein, konservativ geschätzt.
Doch das Gesetz zieht enge Grenzen für ärztliche Apotheken. Steht im Umkreis von sechs Kilometern bereits eine öffentliche Apotheke, gibt es keine Genehmigung. Und siedelt sich später eine an, erlischt das Hausapothekenrecht bei Praxisübergabe – in Gemeinden mit mehreren Ärzten sogar nach drei Jahren.
Der Arzt, der den Standort am Hügel auswählte, heißt Silvester Hutgrabner und ist in der Ärztekammer der Leiter des Referates für Hausapotheken und Medikamentenangelegenheiten.
Operation: Rettung der Hausapotheke
Die Ordination war eine Notlösung – eine Zweitpraxis. In seiner Heimatgemeinde Eberschwang wollte sich 2014 eine öffentliche Apotheke ansiedeln. Hutgrabner hätte seine Hausapotheke verloren – also suchte er sich einen neuen Standort. Er fand ihn auf einem Hügel, von dem aus es in alle Richtungen mehr als sechs Kilometer zur nächsten Apotheke sind. Dort errichtete er eine Zweitpraxis. Heute führt sein Sohn beide Standorte weiter.
Die Übung war umsonst: Denn die Apotheke in der Gemeinde Eberschwang wurde in letzter Sekunde nicht eröffnet. Und doch zeugt die Ordination am Hügel bis heute davon, wie Mediziner und Kommunen gesetzlich dazu animiert werden, die Standorte an die Peripherie zu verlagern.
Denn St. Marienkirchen ist kein Einzelfall.
In Geboltskirchen (Bezirk Grieskirchen) verlegte ein Jungarzt seine Praxis um knapp eineinhalb Kilometer aus dem Ortszentrum. Sie steht jetzt neben einem Vierkanthof, gegenüber wächst der Kukuruz. Mehr Landordination geht nicht mehr. Angenehmer Nebeneffekt: Seither darf der Doktor aufgrund der Abstandsregel auf seiner Webseite eine „Hausapotheke“ anpreisen.
Besser ein Arzt am Acker als gar keiner
In mehreren Gemeinden verlegten Ärztinnen und Ärzte ihre Praxen kurzerhand in Container auf die grüne Wiese – teilweise zahlen sogar die Gemeinden bei den Grundstücken und Baukosten mit. Denn unter den Ortschefs lautet die Devise: Besser ein Arzt am Acker als gar keiner.
Eine Ärztin hatte Glück: Weil kurz vor ihrem Ansuchen um eine Hausapotheke ein Kreisverkehr auf der Route zur nächstgelegenen Apotheke errichtet wurde, brachte sie es auf einen Abstand von exakt 6,05 Kilometern und bekam die Genehmigung. Zwei Ärzte wiederum profitierten davon, dass ihre Praxis nur über die Hintertür eines Hauses zu betreten ist – von der Vorderseite aus gemessen, wäre die ärztliche Apotheke zu verweigern gewesen.
Man könnte sich über diese Perlen der Bürokratie amüsieren, wären die Folgen nicht so real: Für ältere und wenig mobile Menschen bedeuten Standortwechsel längere Wege statt besserer Versorgung.
Ein Blick in die Statistik zeigt, dass es ein weiteres valides Argument für die Lockerung der Abstandsregeln gibt: Auf Anfrage von profil erhob die Ärztekammer, dass von den 175 unbesetzten Kassenstellen für Allgemeinmedizin aktuell nur zwölf die Option auf eine ärztliche Apotheke haben. Das entspricht einem Anteil von 6,9 Prozent.
Die Österreichische Gesundheitskasse bestätigt, dass es „grundsätzlich mehr Bewerbungen auf eine Kassenstelle im ländlichen Raum gibt, wenn die Möglichkeit einer Hausapotheke besteht“. Das legt nahe, dass eine Lockerung der Abstandsregeln den Landarztmangel zumindest etwas entschärfen könnte.
Gefahren der Liberalisierung
Doch ganz so einfach ist es dann doch nicht. Denn auch die Gegner dieser Maßnahme weisen auf Gefahren hin: Erhebungen würden zeigen, dass Ärztinnen und Ärzte deutlich mehr Medikamente verschreiben, wenn sie diese auch selbst verkaufen. Mehrkosten für die Kasse wären die Folge.
Wohl auch deshalb bleibt die ÖGK zurückhaltend: „Aus Sicht der ÖGK sind die derzeitigen gesetzlichen Regelungen ausreichend“, heißt es auf profil-Anfrage. Nachsatz: Unabhängig davon, ob eine Hausapotheke geführt wird, sei „in jedem Fall auf eine ökonomische und medizinisch sinnvolle Verschreibung zu achten“. Wer möchte, kann hier einen Unterton herauslesen.
Durch die Gebietsregeln und den Vorrang für konventionelle Apotheken sinkt die Zahl der Hausapotheken kontinuierlich. Aktuell gibt es österreichweit etwa 800. Aus diesem Grund erhöht die Ärzteschaft den Druck.
Die Apothekerkammer steht dem Ansinnen der Ärzteschaft aber skeptisch gegenüber. Sie befürchtet, dass viele ihrer Mitglieder Standorte schließen müssten und verweist auf Jobs, die verloren gehen könnten. Da hilft es auch nichts, dass die Ärztevertreter die Apotheker mit einem Gegengeschäft locken wollen: Dem Recht, dass auch in Apotheken geimpft werden kann – freilich wurde dieses Angebot erst nach der Coronapandemie unterbreitet.
Das beinharte Lobby-Duell der beiden machtbewussten Standesvertretungen geht in die nächste Runde. Die Acker-Ordinationen werden vorerst ein Mahnmal dafür bleiben.