Morgenpost

Coronapandemie: „Michi, es ist vorbei!“

Fachleute im In- und Ausland erklären die Pandemie für beendet. In Wien gibt es weiterhin Einschränkungen, etwa die Maskenpflicht in Öffis. Das soll laut SPÖ auch so bleiben. Zurecht?

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Das Jahr 2022 neigt sich dem Ende zu – genauso wie die Coronapandemie. Zumindest nach der jüngsten Analyse des deutschen Virologen Christian Drosten: „Nach meiner Einschätzung ist die Pandemie vorbei“, sagt der Experte Anfang dieser Woche. Denn: Dieser Winter bringe die erste endemische Welle mit Sars-CoV-2.

Zur Erinnerung: Altkanzler Sebastian Kurz (ÖVP) verkündete bereits im Sommer 2021 ein Pandemie-Aus für alle Geimpften – zu Unrecht, schlüsselte profil damals auf. Eineinhalb Jahre später scheint dieses Szenario eingetreten zu sein, wie auch Fachleute in Österreich befinden: Die Innsbrucker Virologin Dorothee von Laer und der Genetiker Ulrich Elling pflichten der Drosten-Einschätzung zum Pandemie-Ende bei; Virologe Andreas Bergthaler von der Med-Uni Wien meint, dass die Gefährdung der Pandemie „für die ganze Gesellschaft nahezu verschwunden sein wird.“ Betont wird dabei stets - allen voran vom Corona-Beratungsgremium Gecko -, dass uns das Virus auch in Zukunft noch beschäftigen werde, etwa im Zusammenhang mit Long-Covid.

Auf die ausschleichende Pandemie reagiert die heimische Politik unterschiedlich. FPÖ-Chef Herbert Kickl fordert - wenig überraschend - ein Ende jeglicher Corona-Maßnahmen. Der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) behält seinen restriktiven Kurs bei: In der Hauptstadt bedarf es, anders als in allen anderen Bundesländern, weiterhin eines PCR-Tests für Spitäler und Alters- bzw. Pflegeheime – zusätzlich zur FFP2-Maske. Diese muss auch in Apotheken und in allen öffentlichen Verkehrsmitteln getragen werden. „Aktuell wird hier nicht an Änderungen gedacht“, heißt es aus dem Büro von SPÖ-Gesundheitsstadtrat Peter Hacker. Die Begründung: Das erhöhte Infektionsrisiko in Bus, Straßen- und U-Bahn.

Die Wiener Linien führen gegenüber profil ebenfalls aus, die Corona-Schutzmaßnahmen in öffentlichen Verkehrsmitteln beizubehalten. Neben der FFP2-Maskenpflicht bedeutet das: Wer in Bus oder Straßenbahn ein- und in der Folge wieder aussteigen möchte, kann nur die hinteren Türen nützen; der Vordereingang bleibt verschlossen, die Fahrerkabine ist durch ein dünnes, rot-weißes Plastikabsperrband vom Passagierraum getrennt. „Zum Schutz der Fahrgäste und Lenker:innen“, erklärt eine Sprecherin. Ein Lokalaugenschein in den Linien 48A und 13A zeigt: Im hinteren Busabschnitt bildet sich dadurch häufig eine Menschentraube beim Ein- und Aussteigen, was die Übertragung des Virus wohl eher begünstigen, als die Fahrgäste vor einer Ansteckung schützen dürfte.

Die Epidemiologin Eva Schernhammer von der Med-Uni Wien kann dem Corona-Sonderweg der Großstadt jedenfalls nicht mehr viel abgewinnen. Im ORF rät die Expertin, davon „langsam Abstand zu nehmen“. Denn: „In den nächsten Wochen erreicht man den Zeitpunkt, wo es wirklich schwierig wird, das zu verstehen.“ Vielen Wiener:innen scheint dieses Verständnis schon länger zu fehlen, wie ein Blick nach links und rechts in der vollen U-Bahnlinie „U6“ auf dem Weg in die profil-Redaktion zeigt. Je später die Stunde, desto tiefer sitzen die Masken (oder werden gar nicht einmal aufgesetzt).

Auf profil-Anfrage erklärt SPÖ-Gesundheitsstadtrat Hacker, dass die Wiener Corona-Regelungen jedenfalls noch bis Ende Februar 2023 gültig bleiben. Hierbei drängt sich die Frage auf: Geschieht dies tatsächlich aus gesundheitspolitischen Gründen, oder eher aufgrund der beharrlichen Beibehaltung eines starken Gegenpols zur Coronapolitik des Bundes? Mit den Worten „Elli, es ist vorbei“ prangerte Ex-Neos-Chef Matthias Strolz im ORF einst das sture Festhalten der damaligen ÖVP-Ministerin Elisabeth Köstinger an der bröckelnden türkisen Machtstruktur an. Angesichts des - laut Expert:innen mittlerweile überholten - „Wiener Corona-Weges“ der SPÖ könnte man fast dazu geneigt sein, Bürgermeister Michael Ludwig zuzurufen: „Michi, es ist vorbei!“. Ob und wann dieser Ruf erhört wird, wird sich wohl erst im neuen Jahr zeigen.

Bis dahin möchte ich Ihnen mit dieser letzten Morgenpost 2022 noch ein paar Leseempfehlungen auf den Weg geben: In unserer profil-Jahresausgabe nimmt sich der Philosoph Frederik Hartle der prekären Hoffnung einer „Zeitenwende“ an und blickt vorsichtig optimistisch ins neue Jahr. Was wir uns 2023 noch leisten können, hat meine Kollegin Clara Peterlik hier für Sie recherchiert. Und: Eine Sammlung der beliebtesten Klima-Falschbehauptungen des Jahres finden Sie hier.

Ich wünsche Ihnen alles Gute für 2023,

Katharina Zwins

Katharina Zwins

Katharina Zwins

war Redakteurin bei profil und Mitbegründerin des Faktenchecks faktiv.