Ein als Horror-Clown verkleideter Karnevalist verfolgt den Karnevalsumzug «Schoduvel». Der «Schoduvel» gilt als größter Karnevalsumzug in Norddeutschland.
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Von Clowns und anderen Kasperln

Wer braucht noch Halloween? Wir erleben inzwischen jeden Tag kulturkämpferisches Gruselfest.

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Wie schön, wenn dank eines außergewöhnlichen Ereignisses auf einen sonst alltäglichen, ja banalen Freitag bald ein neues Licht fallen und diesen zugleich auf das Wundersamste und Schrecklichste erhellen wird. Die Rede ist von Halloween, jene Nacht vom 31. Oktober auf den 1. November, die früher, in der sogenannten guten alten Zeit, als Tag-Nacht-Grenze auf Allerseelen bekannt war.

Für die Jüngeren: Halloween ist für ältere Semester obskures, aus den USA importiertes Brauchtum, das inzwischen auch hierzulande willkommenen Anlass bietet, sich zu verkleiden, Süßes oder Saures einfordern. „Nun, aus Amerika. Heutzutage kommt alles aus Amerika“, wusste bereits Fjodor Dostojewski in den „Brüdern Karamasow“ zu berichten. 

Wo wir schon in der Vergangenheit kramen: Es war auch einmal ein Amerika, das Neugierde und Überraschung, erregende Schaulust und Poesie war. Ach, all die fernen, die unerreichbaren Orten im Kino und in der Literatur, die auf irdischen Karten nicht verzeichnet waren! New York und Los Angeles waren, gerade für Landeier, unerreichbare Mythen, mit einem Ruch von Abenteuer und Aufbruch, elektrisierende Nervosität. Eine einzige große Einladung, sich in das nächste Flugzeug zu setzen. 

Tempi passati. Seit Donald J. Trump im Weißen Haus residiert, setzt es Saures ohne Ende. Amerika unter DJT? Ist nicht mehr das, was es einmal war, so gut wie jeden Tag wird der Mann in seiner leider ganz und gar nicht in blindem Eifer betriebenen Mission noch ein bisschen schamloser, was sagen wir: menschenverachtender. Kulturkampf ist das Stichwort, in die Tat umgesetzt in einer beispiellosen Hatz auf seine Feinde und Andersdenkende, in Medien, Museen und Bibliotheken. Jüngstes Beispiel: Die milliardenschwere, bereits abgewiesene Klage wegen angeblicher Verleumdung gegen die „New York Times“ hat der Präsident in gekürzter Form erneut bei Gericht eingereicht. Die Zeitung, polterte Trump, habe ihn lange genug diffamiert: „Das hört jetzt auf!“ 

Kein Ende ist indes im perfide orchestrierten Kulturkampf der Republikanischen Partei unter ihrem Heilsbringer in Sicht. Trumps Kohorten werden nicht eher ruhen, bis jede vermeintlich „woke“ und linke Cancel Culture vom Antlitz dieser Erde verschwunden sein, wenn alles, was nicht ins rechte Weltbild passt, getilgt sein wird. Das Wichtigste zu Beginn jeder Kampagne sind die Wörter: „Frauen“, „Klimakrise“, „Golf von Mexiko“, „Minderheiten“ wurden bereits aus offiziellen US-Dokumenten und von regierungseigenen Webseiten entfernt. Man kann das alles – noch – in Zeitungen nachlesen.

Lange Zeit durften Freundinnen und Freunde der Politik, wie sie unter der profil-Leserschaft versammelt sind, noch ins Grübeln geraten. Was ist mit dem drolligen Mann mit der ambitionierten Frisur bloß los? Welcher Wahnsinn reitet ihn? Inzwischen dürfte allgemein bekannt sein, dass der Horrorclown in Washington nicht bloß spielen will, sondern einen Knallhart-Kulturkampfplan verfolgt. Er muss sich dazu nicht einmal mehr verkleiden. 

Amerika war und ist – siehe oben – eine Art Urmeter für den Rest der Welt, sozial, politisch, kulturell, das Land, wie es einst hieß, der unbegrenzten Möglichkeiten. Alles verschiebt sich, und wir alle rutschen mit. 

Wolfgang Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.