++ HANDOUT ++ STEIERMARK: ASIATISCHE TIGERMÜCKE

Krankheiten durch Steckmücken: Wie groß ist die Gefahr wirklich?

Wie die jüngsten Meldungen über eine Ausbreitung tropischer Erreger einzuschätzen sind.

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Zuletzt häuften sich die Meldungen. Fast im Tagesrhythmus berichteten Medien, dass eine neue Bedrohung auf Europa und damit auch auf Österreich zukäme: exotische Stechmücken sowie von ihnen übertragene Krankheiten wie Chikungunya, Dengue und West-Nil-Fieber. Von „tödlichen Tigermücken“ war im Boulevard sogar die Rede, und aus Graz wurde ein Projekt bekannt, das eine in den USA bereits mehrfach erprobte Strategie verfolgt: Unfruchtbar gemachte Gelsenmännchen sollen kontrolliert freigesetzt werden, um die Stechmücken-Populationen zu dezimieren.

Was ist von all dem zu halten? Steuern wir geradewegs auf einen neuen Notfall zu? Hier gleich die Entwarnung: Nein, wir erleben keine akute Bedrohung.

Die Eroberung Europas

Dass vormals auf exotische Weltgegenden beschränkte Stechmücken – konkret die Asiatische Tigermücke (Aedes albopictus) – allmählich Europa besiedeln, ist keineswegs eine neue Erkenntnis, wie die treue profil-Leserschaft weiß: Seit einem Jahrzehnt berichtet dieses Magazin regelmäßig über den Umstand, dass sich die winzige, fast lautlose Gelse kontinuerlich über den Kontinent ausbreitet – beginnend in Südosteuropa in den 1970er-Jahren, hat sie längst die Mittelmeerländer erobert und ist inzwischen auch in ganz Österreich heimisch. In Deutschland erfolgte die Ausbreitung zeitversetzt, was vermutlich erklärt, warum im Moment viele deutsche Medien darüber berichten.

Zwei Umstände ermöglichten den Moskitos die kontinuierliche Besiedelung Europas: Der internationale Warenverkehr verschaffte ihnen das Ticket, um aus Asien einzureisen – beispielsweise versteckt in importierten Autoreifen. Der Gütertransport innerhalb europäischer Länder per Lkw half anschließend, größere Routen zurückzulegen. Und die inzwischen tendenziell wärmeren Temperaturen über längere Phasen des Jahres trugen dazu bei, dass die ohnehin ziemlich anpassungsfähige Tigermücke geeignete Lebensbedingungen vorfand.

Kurz: Was wir sehen, ist kein Novum, sondern das Ergebnis eines Prozesses über viele Jahre – der nicht akut Anlass zur Beunruhigung gibt, wohl aber ein wichtiges Thema im Hinblick auf Prävention von Infektionskrankheiten ist, wahrscheinlich mit steigender Bedeutung.

Mücken und Krankheiten sind zweierlei

Der Nachweis vormals exotischer Mücken ist aber nicht gleichzusetzen mit dem Auftreten der von ihnen potenziell übertragenen Krankheiten. Zwar kann die Asiatische Tigermücke Erreger wie das Chikungunya- und das Dengue-Virus übertragen, wenn sie selbst damit infiziert ist und bei einem menschlichen Wirt Blut zapft (wobei der Hauptüberträger dieser Infektionskrankheiten global die Ägyptische Tigermücke ist, die es bisher nicht nach Europa geschafft hat).

Die Viren lösen meist grippale Beschwerden aus, mitunter auch Gelenkschmerzen und Darmprobleme. Hohes Fieber, Schüttelfrost, Krämpfe und andere schwere Symptome sind – je nach Virus – möglich, aber relativ selten, noch viel seltener kommt es zu Todesfällen. Ein Gutteil der Infizierten bemerkt die Infektion gar nicht. Ähnlich sind die Folgen bei Infektionen mit dem West-Nil-Virus, das allerdings vorwiegend von unseren gewohnten Hausgelsen übertragen wird.

Der Weg der Ansteckung

Freilich: Die Tatsache, dass bestimmte Gelsen bestimmte Krankheiten übertragen können, bedeutet noch nicht, dass dies auch in nennenswertem Ausmaß geschieht. Dafür muss eine Reihe von Voraussetzungen erfüllt sein: Zunächst muss sich die Mücke selbst infizieren, wenn sie einen bereits infizierten Menschen sticht. Dann muss sich das Virus im Körper der Mücke ausreichend vermehren können, damit sie beim nächsten Stich einen weiteren Menschen damit ansteckt – was keineswegs immer geschieht. Um, statistisch betrachtet, problematische Infektionsketten entstehen zu lassen, braucht es vor allem eines: sehr viele Mücken, die grundsätzlich als Überträger fungieren können.

In Österreich ist diese kritische Schwelle ganz offensichtlich noch nicht erreicht. Bis Ende Juli registrierte die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) acht Fälle von Chikungunya und 88 Fälle von Dengue. Allerdings: All diese Fälle waren importiert, also von Reisenden nach Österreich eingeschleppt worden.

Keine akute Bedrohung, aber ein wichtiges Thema

Als problematisch gelten diese Infektionskrankheiten dann, wenn es zu autochthonen Übertragungen kommt. Dass bedeutet, dass es zu einer regionalen Ausbreitung kommt – wenn sich also eine Mücke in einem bestimmten Land infiziert und dort weitere Opfer ansteckt. In Italien kam es in der Vergangenheit bereits zu lokalen Dengue-Ausbrüchen, wie profil ausführlich berichtete, und im Moment ist Frankreich von autochthonen Chikungunya-Infektionen betroffen: Der Grund dürfte eine Epidemie im Überseegebiet La Réunion sein, von wo Reisende das Virus wohl mitbrachte und dann Quelle für lokale Übertragungen waren – mit ein Anlass für die zuletzt intensivere Berichterstattung zum Thema.

Bisher ebbten die lokalen oder regionalen Ausbrüche stets wieder ab. Und in Zukunft? Vieles deutet darauf hin, dass in einem wärmeren Klima nicht nur Stechmücken bessere Bedingungen vorfinden, sondern auch die Virusvermehrung erleichtert wird. Insofern darf man davon ausgehen, dass uns das Thema Infektionskrankheiten durch Gelsenstiche noch intensiv beschäftigen wird – auch wenn akut kaum ein verändertes Bedrohungsszenario besteht.

Alwin Schönberger

Alwin Schönberger

Ressortleitung Wissenschaft