Lobautunnel: Warum das „Grüne Licht“ von Hanke allein nicht reicht
Es ist das wohl umstrittenste Bauprojekt Österreichs: Der rund acht Kilometer lange Lobautunnel soll östlich von Wien unter dem Naturschutzgebiet Lobau und der Donau den Knoten Süßenbrunn mit dem Verkehrsknoten Schwechat verbinden. Während die ehemalige Verkehrsministerin Leonore Gewessler (Grüne) dem Projekt eine klare Absage erteilte, kündigte ihr Nachfolger Peter Hanke (SPÖ) am Donnerstag den Bau an. Die Entscheidung überrascht wenig: Im Regierungsprogramm der Dreierkoalition ist bereits festgehalten, dass genehmigte Autobahn- und Schnellstraßenprojekte wie das Teilstück nördlich des Tunnels, die S1-Spange, „schnellstmöglich realisiert“ werden sollen.
Trotz Hankes Ankündigung bleibt der Baubeginn des Tunnels aber in weiter Ferne. Entscheidende Fragen zum Projekt liegen seit März 2025 beim Europäischen Gerichtshof (EuGH). Der Grund: Die Umweltorganisation „Virus“ kritisierte, dass dem 2002 ins Bundesstraßengesetz aufgenommenen und 2006 konkretisierten Projekt eine strategische Umweltprüfung (SUP) fehle, die durch eine zwischenzeitlich in Kraft getretene EU-Richtlinie erforderlich wurde.
Das Bundesverwaltungsgericht beauftragte daraufhin den EuGH damit, zu klären, ob die SUP nachgeholt werden muss, bevor weitere Genehmigungen – etwa im Wasserrecht – erteilt werden dürfen. Mit einer Entscheidung ist laut Experten wohl im zweiten Halbjahr 2026 zu rechnen. Zu diesem Zeitpunkt sollen weiter im Norden, zwischen Groß-Enzersdorf und Süßenbrunn, bereits die Bagger rollen.
Denn für diesen Abschnitt, der die Seestadt Aspern mit der S1 verbinden soll, liegen die entsprechenden Genehmigungen bereits vor. Mit dem Bau soll im Frühjahr 2026 begonnen werden.
Widersprüchliche Gutachten
Die Entscheidung Hankes, das Gesamtprojekt wie ursprünglich geplant umzusetzen, beruhe auf der „Berücksichtigung aller Gutachten und Stellungnahmen der Fachexpertinnen und Fachexperten“, so der Verkehrsminister bei der Pressekonferenz am Donnerstag. Die weitaus umfangreichste und detaillierteste Prüfung – von Gewessler im Jahr 2022 beim Umweltbundesamt, der Technischen Universität Graz und der Technischen Universität Wien in Auftrag gegeben – kommt in fast allen Belangen (Luft-, Verkehrsbelastung und Klimaziele) aber zu gänzlich anderen Ergebnissen.
Die Gutachterinnen und Gutachter warnen: „Die vorgesehene Variante führt ohne zusätzliche Maßnahmen zur höchsten Verkehrsbelastung im Untersuchungsraum.“ Statt des Tunnelbaus empfehlen sie den Ausbau des öffentlichen Verkehrs, des Radnetzes und verstärkte Parkraumbewirtschaftung. Dies würde wertvolle Naturräume erhalten und die Verkehrs-, Lärm- und Schadstoffbelastung reduzieren, ohne negative Wirtschaftseffekte zu verursachen.
Worauf stützt sich Hanke?
Zweifelsohne ist der Lobautunnel beziehungsweise das Gesamtvorhaben „Lückenschluss S1“ das am besten untersuchte Verkehrsprojekt Österreichs. Nicht zuletzt auch aufgrund der jahrelangen Prüfung Gewesslers, die schlussendlich auch mehr als 400.000 Euro gekostet hat. Auf das Gutachten habe es laut Hankes Presseteam aber zahlreiche Stellungnahmen gegeben, „da waren sehr viele kritische dabei“, so ein Sprecher. Ebenfalls ausschlaggebend für Hankes Entscheidung sei auch die Evaluierung des Bauprogramms der Asfinag gewesen, „da wurden auch die Wirtschaftsforscher (Wifo und Eco Austria; Anm.) herangezogen“, sagt der Sprecher zu profil. Was genau die Ökonominnen und Ökonomen hier empfohlen haben, konnte auf profil-Nachfrage nicht übermittelt werden.
Die Foresight-Wählerstromanalyse zeigt, dass 155.000 ehemalige Grün-Wähler:innen aus 2019 im Wahljahr 2024 zur SPÖ gewechselt sind. Von keiner anderen Partei konnte die SPÖ so viel gewinnen.
warum der Lobautunnel für die SPÖ politisch heikel ist
Das Projekt in „Salamitaktik“ umzusetzen und im ersten Schritt nun im nördlichen Abschnitt einen „Betontorso in die Landschaft zu stellen“, stößt Wolfgang Rehm von der Umweltorganisation Virus sauer auf. Hankes Sprecher räumt ein, dass es den Tunnel braucht, damit „man die erwünschte Gesamtwirksamkeit erzielt. Aber auch der obere Teil für sich allein ist schon verkehrswirksam und führt zu einer massiven Entlastung.“ Zwar führt der Vollausbau der S1 laut Forscherinnen und Forscher tatsächlich zu einer Entlastung der A23 (Südosttangente; Anm.). Insgesamt verursache der Gesamtausbau aber mehr Verkehr. Deshalb stehen Vorhaben wie die S1 im Widerspruch zu internationalen, europäischen und österreichweiten Klimazielen, was die Treibhausgasemissionen im Verkehrssektor betrifft.
Denn im Jahr 2040 – das Jahr, in dem der Lobautunnel fertiggestellt werden soll, sofern der EuGH grünes Licht erteilt und die fehlenden Genehmigungen beisammen sind – möchte Österreich klimaneutral sein.
Heikel für die SPÖ
Für die SPÖ könnte der Lobautunnel noch heikel werden, meinte Politikwissenschaftlerin Katrin Praprotnik bereits nach Bekanntwerden der Pläne im Regierungsprogramm. Denn: „Die Foresight-Wählerstromanalyse zeigt, dass 155.000 ehemalige Grün-Wähler:innen aus 2019 im Wahljahr 2024 zur SPÖ gewechselt sind. Von keiner anderen Partei konnte die SPÖ so viel gewinnen“, sagte Praprotnik im April zu profil. Einen Teil davon könnte man durch einen unklaren Kurs bei Umwelt- und Klimafragen also auch wieder an die Grünen verlieren.
Vizekanzler und SPÖ-Chef Andreas Babler galt lange als dezidierter Gegner des Projekts. Auf die Frage, wie er heute zum Projekt steht, antwortete seine Sprecherin: „Mobilitätsminister Peter Hanke hat das Projekt von allen Seiten beleuchtet und eine Entscheidung getroffen. Fest steht, dass wir im Rahmen unserer Regierungsarbeit weiterhin einen Fokus darauf legen, den Verkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern.“
Ebenfalls fest steht: Die aktuell eher abgemeldete Umweltpartei hat mit dem Lobautunnel wieder ein kampagnenfähiges Thema.
Der Artikel wurde um ein Statement von SPÖ-Chef Babler ergänzt.