Klebesticker Bargeldinitiative

Wann ist Schluss mit dem rot-weiß-roten Bargeld-Kult?

Gefühlt ist Österreich nirgendwo so rückständig wie beim Bargeld. Kartenzahler werden an jeder Ecke verprellt. Wegen der angeblich so hohen Gebühren fürs Kartenservice. Wirklich?

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Urlaubszeit ist Kartenzeit. Gemeint sind nicht Postkarten, die wegen des Retro-Charmes wieder im Trend liegen. Sondern Bankomat- oder Kreditkarten. Aus der Geldtasche gezogen oder aufs Handy geladen glühen sie. Weil die mobilen Geldbörsen an vielen Urlaubsorten so selbstverständlich akzeptiert werden wie in Österreich das Bargeld. Mit Karte zahlt man am ungarischen Plattensee das Tretboot, auf der Amsterdamer Grachtenfahrt das Cola, am Adria-Strand den Schirm. 

Das kann für gelernte Österreicherinnen und Österreicher, die aufs Bargeld eingeschworen sind, Nebenwirkungen haben. Zum Beispiel, wenn sie auf ihren ausländischen Scheinen sitzen bleiben. „Ich habe auf einer Reise nach Stockholm schwedische Kronen abgehoben und bin sie nicht mehr los geworden. Weil selbst beim Zeitungskiosk mit Karte gezahlt wurde“, erzählt ein österreichischer Geschäftsreisender. 

Zahlungen in Österreich: Bargeldanteil 58 Prozent. Schweden 10 Prozent.

Bargeld-Kult treibt seltsame Blüten

Touristen aus Asien oder Amerika fallen regelmäßig aus den Socken, wenn sie ahnungslos (und bargeldlos) im Restaurant oder am Würstelstand bestellen und dann zum nächsten Bankomaten geschickt werden, um sich Scheine aus dem Gerät zu ziehen. Für sie muss sich das ungefähr so anfühlen wie eine Postkarte statt einer WhatsApp-Nachricht zu verschicken. Sie lassen sich es aber aus Höflichkeit oder eingeschüchtert vom „Cash only!“-Diktat – meist nicht anmerken.

Österreich kann nicht Insel bleiben. Fast zwei Milliarden Kartentransaktionen gab es 2024. Eine Verdoppelung gegenüber 2015. Doch die Insel-Mentalität wird frisch genährt. Siehe die „Cash ist fesch“-Kampagne, über die Kollege Kevin Yang schreibt. Bargeld wird durch coole Slogans fast mythisch verklärt: „Bargeld verbindet Menschen.“ Aus Karten-Verweigerern werden „bargeldfreundliche Betriebe“. Aufkleber mit „nur Bares ist Wahres“ inklusive.

Warum das Gebühren-Argument zu kurz greift

Von wegen Bargeld-Kult. Schuld seien die hohen Gebühren, die Banken und Kartenfirmen für die Transaktionen verrechnen. Das würde die Gewinne auffressen, sagen Gastronomen. Vor allem bei kleinen Transaktionen. Deswegen heißt es beim Innenstadt-Café „Karte erst ab 15 Euro!!!“ oder beim beliebten Wiener Eissalon mit langen Schlangen im Hochsommer: „Karte erst ab 20 Euro!“ Weil sich die Kinder die Kugel Eis nicht mehr leisten könnten, würde man die Gebühren aufs Eis draufschlagen (Original-Begründung des Salon-Betreibers auf Nachfrage). Sind die Aufschläge wirklich um so viel höher als beim Tretbootverleiher in Ungarn, beim Getränkehändler in der Amsterdamer Gracht oder beim Schirmverleih in Jesolo?

Diese Rechnung geht bei einem genaueren Blick auf die Kosten nicht auf. Denn die Gebühren pro Transaktion sind von der EU bei 0,2 (Bankomatkarte) und 0,3 Prozent (Kreditkarte) festgelegt. Auch die Gebühren der Lizenzgeber wie MasterCard variieren kaum und sind fix vorgegeben. Bleiben die Kosten für die Anschaffung oder Miete der Terminals (oder SumUps, wie die kleinen weißen Kastln genannt werden). 

Dieser Markt ist in Österreich mit 83 Anbietern sehr wettbewerbsintensiv. Was Preise tendenziell drückt. Und ebenfalls gegen die These vom Hochpreisland beim Kartenzahlen spricht. Ein Branchenvertreter, der international tätig war, sieht die heimischen Gebühren im unteren Drittel der EU. Selbst wenn Österreich im Mittelfeld liegen sollte, rechtfertigt das das Bargeld-Insel-Denken nicht mehr.

Was hinter dem Bargeld-Insel-Denken steckt

Dieses Denken rührt anderswo her. Von der historischen Skepsis gegenüber Banken, dafür stand nicht zuletzt das 2017 eingeschränkte Bankgeheimnis. Vom Freiheitsgefühl, durchs Bargeld (unterm Kopfpolster) weniger vom Staat überwacht und kontrolliert zu werden. Und von der Macht der Gewohnheit. Wer als Gastronom oder Blumenverkäufer so lange am Bargeld festhält, tut sich bei der Umstellung schwer. Erstens beim Aufschlagen der Gebühren auf die Preise, das haben andere EU-Länder längst vollzogen. Zweitens bei der technischen Umrüstung. Die Digital Natives unter den Geschäftsleuten tun sich leichter. So manch älteres Semester hadert mit der Digitalisierung im eigenen Betrieb und rechnet lieber am Abend das Bargeld in der Wirtshaus-Kasse ab (was Zeit kostet und auch Zeit ist Geld). Und dann wäre da noch der Elefant im Raum: Das Bargeld, das leichter zu Schwarzgeld wird als der digitale Euro. Aber das soll hier niemandem unterstellt werden, auch wenn so manche Studie eine Korrelation zwischen hohem Bargeldanteil und Schattenwirtschaft andeutet (nebst vieler weiterer Faktoren).

Am Imbiss-Stand einer Wiener Sportkantine. Hier können Eis, Bier und Brezeln mit Karte bezahlt werden - ohne Untergrenze. „Ich würd' eh nicht, aber der Chef will es so“, sagt der Mitarbeiter. 

Der Chef hat erkannt, dass die Freiheit der Bargeld-Fetischisten dort endet, wo die Unfreiheit der Kartenzahler beginnt.

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Heute, am 2. Juli findet im Wiener Volksgarten die Lange Nacht des Journalismus statt – das Sommerfest der Wiener Medieninitiative. Auch wir sind mit dabei: Bei On the record – profil lüftet (fast) alle Redaktionsgeheimnisse geben wir exklusive Einblicke in unsere Arbeit. Der Eintritt ist frei, eine vorherige Anmeldung ist unbedingt erforderlich.


 

Clemens Neuhold

Clemens Neuhold

Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.