Warum ÖGK-Obmann Huss die Wahlärzte ins Visier nimmt
Der Dauerstreit zwischen Ärztekammer und Österreichischer Gesundheitskasse (ÖGK) geht in die nächste Runde – diesmal geht es um: die Wahlärzte. ÖGK-Obmann Andreas Huss sorgte am Montag im Ö1-Morgenjournal für Aufsehen. Er sprach sich dafür aus, die frei festgelegten Honorare der Wahlärzte zu deckeln. Der Grund: „Immer mehr Beschwerden von Patientinnen und Patienten, die sagen: ‚Ich bezahle Unsummen bei den Wahlärzten und bekomme von der Kasse nur einen Teil zurück‘“, so Huss.
150, 200, 300 Euro – so viel kann eine Behandlung beim Wahlarzt schnell kosten. Reicht man die Rechnung bei der Gesundheitskasse ein, fällt die Rückerstattung oft mager aus. Denn die ÖGK refundiert lediglich 80 Prozent jenes Betrags, den sie ihren Vertragsärzten zahlen würde – nicht 80 Prozent der tatsächlichen Rechnung. So vergütet die Gesundheitskasse in Wien für ein EKG beim Allgemeinmediziner (mit Kassenvertrag) 25,80 Euro, für eine Muttermalentfernung beim Dermatologen 51,59 Euro oder für einen Sehtest beim Augenarzt 18,43 Euro. Hinzu kommt für Kassenärzte eine Fallpauschale von 20,61 Euro pro Patient und Quartal.
Der ÖGK-Obmann will die Honorare, also die Preise der Wahlärzte, künftig reglementieren. Auf die Kostenerstattungen, die die Kasse für Wahlärzte vergütet, hat das naturgemäß keine Auswirkungen, die orientiert sich weiterhin am Honorarkatalog für Vertragsärzte.
Zwei-Klassen-System im Aufschwung
Die Kritik am wachsenden Wahlarztsystem ist nicht neu. Während die Zahl der Kassenärzte seit Jahrzehnten stagniert, boomen Wahlarztordinationen. Im Jahr 2000 gab es rund 4700 Ärztinnen und Ärzte ohne Kassenvertrag, 2025 sind es bereits mehr als 11.800. Zum Vergleich: Die Zahl der Ordinationen mit Kassenvertrag blieb mit etwa 8200 seit der Jahrtausendwende nahezu konstant – während die Bevölkerung um rund eine Million Menschen zunahm.
Für die Patienten hat das gravierende Folgen: Mehr Versicherte werden bei gleich vielen Vertragsärzten versorgt. In den Praxen bedeutet das meistens: Warteschlangen, ausgebuchte Termine und wenig Zeit für Behandlungen.
Wer es sich leisten kann und will, geht zum Wahlarzt. Auch für Medizinerinnen und Mediziner ist dieses Modell attraktiv. Zwar lag das Medianeinkommen von Wahlärzten 2022 laut IHS bei rund 101.000 Euro brutto – etwa halb so hoch wie das eines Kassenarztes mit ÖGK-Vertrag. Um auf die errechneten 201.000 Euro eines Vertragsarztes zu kommen, müssten Wahlärzte jedoch bei den niedrigen Tarifen in Akkordarbeit zahlreiche Patientinnen und Patienten behandeln. Ein Kassenarzt habe zehn bis 20 Patienten pro Stunde, ein Wahlarzt vier bis fünf, rechnet Thomas Czypionka, Gesundheitsökonom am IHS, vor.
Wahlärzte haben wegen der freien Honorare mehr Zeit und Freiraum für ihre Patienten und sich selbst. So entfällt die vorgeschriebene Öffnungszeitenpflicht wie bei Kassenverträgen. Weniger Bürokratie, die Abrechnung mit der Kasse übernehmen meist die Patientinnen und Patienten selbst – seit letztem Jahr kann das auch direkt durch die Ordination erfolgen. Und lukrativ, wenn Wahlärzte nebenher in Krankenhäusern tätig sind und Patienten für die Nachuntersuchung in die eigene niedergelassene Ordination verweisen.
Private Versorgung
Ursprünglich sollte das Wahlarztsystem Versorgungsspitzen im öffentlichen Gesundheitswesen überbrücken. Inzwischen ist es zu einem wesentlichen Bestandteil der medizinischen Grundversorgung geworden – getragen von der Bereitschaft vieler Patienten, anstelle der e-card die Kreditkarte zu zücken. Laut Statistik Austria stiegen die privaten Gesundheitsausgaben von 9,5 Milliarden Euro im Jahr 2015 auf zuletzt 13,5 Milliarden Euro.
Dass Wahlärzte höhere Honorare verlangen, hält Huss grundsätzlich für legitim – schließlich sollen Versicherte in erster Linie Vertragsärzte aufsuchen. Problematisch sei für ihn jedoch, „dass Wahlärzte wirklich das Zehn-, das 15-Fache des Kassentarifs verlangen, das ist wirklich unzumutbar“, so Huss.
Zum Vergleich verweist der ÖGK-Obmann auf Deutschland, wo das Zweieinhalbfache als Obergrenze gilt. Würde das Modell auch in Österreich gelten, käme der Wahlarztbesuch vielen deutlich billiger. Allerdings hat Deutschland mit 155.000 Kassenverträgen – bei einer zehnmal so großen Bevölkerung – fast doppelt so viele Kassenärzte. Und anders als hierzulande, haben die Deutschen ein frei wählbares Krankenkassensystem, das im internationalen Vergleich als effizienter gilt und mehr Wettbewerb fördere. Die Tarife zwischen Kassen und Ärzteschaft sind in Deutschland gesetzlich geregelt. Streitigkeiten zwischen Krankenkassen und Ärztevertretungen sind beim Nachbarn eher die Ausnahme.
Die Kurie der niedergelassenen Ärzte in der Ärztekammer reagiert ablehnend. „Wir sind ein freier Arztberuf, und da hat der Arzt selbst und sonst niemand das Recht, eine Rechnung zu stellen, die in seiner Höhe passt“, sagt Kurienobmann Edgar Wutscher. Sollte ein Honorar tatsächlich überzogen sein, könne die Ärztekammer den Fall prüfen.
Huss versucht schon seit längerem, das Wahlarztsystem unattraktiver zu gestalten. Naheliegenderweise mit dem Hintergedanken, dass dann mehr Medizinerinnen und Mediziner ins Kassensystem wechseln. Angesichts höherer Einkommen in Deutschland oder der Schweiz wäre eine Einschränkung der freien Honorargestaltung allerdings ein riskantes Experiment. Solange die öffentliche Versorgung hinter den Ansprüchen der Patientinnen und Patienten zurückbleibt, werden Wahlärzte boomen – auch wenn das für die Patientinnen und Patienten teuer ist.