Morgenpost

Was sind Thomas Schmids Aussagen wert?

Der Mann, der einst seinen Kanzler „liebte“, wird Kronzeuge.

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Wären meine profil-Kollegen Stefan Melichar und Michael Nikbakhsh Maschinen, verfügten sie ohne Zweifel über je ein LED-Lämpchen, das anzeigt, dass sie nie ganz abgeschaltet sind, sondern allenfalls im Standby-Modus verharren. Wann immer eine der Investigativ-Geschichten, an denen sie dran sind, Neuigkeiten verspricht, schalten sie auf „On“. Gestern war so ein Tag.

Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) meldete, dass Thomas Schmid, Ex-ÖBAG-Chef und Ex-Sebastian-Kurz-Vertrauter, den Wunsch geäußert habe, im CASAG-Verfahrenskomplex Kronzeuge der Staatsanwaltschaft zu werden. Was das – vor allem für die ÖVP, aus deren Reihen neben Kurz noch einige andere im Fokus der Ermittlungen stehen – bedeutet, haben Melichar und Nikbakhsh bereits hier erläutert. 

Der eigentliche Job beginnt jedoch erst jetzt. Welchen Beitrag kann Schmid mit seinen Aussagen zur Klärung der offenen Fragen leisten? Ein Kronzeuge zeichnet sich dadurch aus, dass er sich erstens in der so genannten „Kronzeugentat“ selbst belastet und zweitens in einer weiteren strafrechtlich relevanten Angelegenheit, der „Aufklärungstat“, Beweismittel liefert, die eine andere Person betreffen, die führend an dieser Straftat beteiligt war. Die Tatsachen, die er auspackt, müssen jedenfalls „neu und entscheidungswesentlich“ sein, heißt es im „Handbuch zur Kronzeugenregelung“ des Justizministeriums.

Schmid hat, wie gestern bekannt wurde, in nicht weniger als 15 Einvernahmen ausführlich sowohl Kronzeugentaten als auch Aufklärungstaten geschildert und dabei mehrere Personen belastet – allen voran Ex-Kanzler Sebastian Kurz. Erste wörtliche Zitate aus diesen Einvernahmen finden Sie – mit hilfreichen Erklärungen versehen – hier. 

profil hatte nicht ohne Grund (und mittels kühner Verwischung der Mensch-Maschine-Begrifflichkeiten) das Handy von Thomas Schmid zum „Mensch des Jahres 2021“ gekürt.

Auf einer sichergestellten Apple Time Capsule hatte die Staatsanwaltschaft die längst legendär gewordenen Handy-Chats sichergestellt, die den Verdacht der Malversationen nährten. Die Nachricht „Ich liebe meinen Kanzler“ etwa, von Schmid an Kurz. Liebe kann, wie jeder weiß, erkalten. Insbesondere unter Beschuldigten, von denen einer zum Kronzeugen mutiert. Auch die Zerrüttung dieser Beziehung lässt sich in den Einvernahmeprotokollen nachlesen.

Aber zum Job der Journalisten gehört auch Skepsis gegenüber den Aussagen eines Kronzeugen, denn auch diese können unwahr sein. Nicht zuletzt deshalb ist der Satz „Es gilt die Unschuldsvermutung“ keine Leerformel. Melichar und Nikbakhsh ackern sich seit gestern durch die vielen Seiten starken Protokolle und bewerten die darin getätigten Aussagen. In der nächsten profil-Ausgabe und hier auf profil.at.

Als eher unglaubwürdig kann man spätestens seit gestern getrost folgenden Satz aus Sebastian Kurz‘ eben erschienenem Buch „Reden wir über Politik“ bezeichnen: „Ich sehe die Ermittlungen gegen mich mittlerweile sehr gelassen.“ 

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur