Wissenschaft: Politologin erforscht das Wesen von Wahlversprechen
In Graz versammeln sich heute Vertreter des internationalen Comparative Pledges Project zu einer Tagung. Die Wissenschaftler aus 16 Ländern beforschen Wesen und Umsetzung von Wahlversprechen. Österreich ist durch die Politologin Katrin Praprotnik von der Universität Graz vertreten. Ihre Arbeit fördert Erstaunliches zutage: Wie Analysen für den Zeitraum 1990 bis 2013 zeigen, geben die österreichischen Parteien im Schnitt 150 Wahlversprechen ab, pro Wahl wohlgemerkt. Damit liegt Österreich im Spitzenfeld. Aber, Überraschung: Wahlversprechen sind nicht automatisch zum Brechen da. Wie Praprotniks Forschung zeigt, wird rund die Hälfte davon eingehalten: „Wir können also sagen, Wahlversprechen sind mehr als heiße Luft, auch wenn die öffentliche Wahrnehmung anders ist.“ Das bedeutet aber auch: Wir Wählenden tun unseren Regierenden Unrecht, wenn wir ihre Wahlversprechen pauschal als Flunkereien abtun. Weniger überraschend ist, dass Reformversprechen eher gebrochen werden als Zusagen, Bestehendes beizubehalten. Wächst die Wirtschaft, fällt es den Regierungsparteien ebenfalls leichter, ihre Wahlversprechen einzuhalten. Unwirtschaftswissenschaftlich formuliert: Mit vollen Budgethosen ist leicht stinken.
Wahlversprechen-Erfüllungsquote
Messen lässt sich die Wahlversprechen-Erfüllungsquote – es handelt sich um keinen Begriff von Frau Praprotnik, sondern eine Erfindung Ihres Morgenpostlers – anhand von Wahlprogrammen oder Koalitionsverträgen. Schauen wir uns die derzeitige Koalition an: In ihrem Regierungsprogramm 2020 bis 2024 (Titel: „Aus Verantwortung für Österreich“) versprechen ÖVP und Grüne die Erreichung von acht Zielen: „spürbare Entlastung für arbeitende Menschen“ (durch die Steuerreform erfüllt); „Bekämpfung des Klimawandels und die Einhaltung der Klimaziele von Paris“ (dank Klimaticket und CO₂-Bepreisung teilweise umgesetzt); „nachhaltiger und wettbewerbsfähiger Wirtschaftsstandort“; (eher gescheitert, wenn die Wirtschaft vor der Deindustrialisierung Österreichs warnt); „soziale Sicherheit und Armutsbekämpfung“ (tendenziell erreicht, 2022 stiegen etwa die Sozialausgaben laut Statistik Austria um 1,8 Prozent); „konsequenter Kurs im Bereich Migration und Integration“; (nicht eingehalten, wie profil unlängst in einer Cover-Story nachwies); „beste Bildung für alle“ (unerfüllt – Elternverbände üben scharfe Kritik am Schulsystem); „mehr Transparenz im öffentlichen Bereich“ (erledigt, wenn man darunter die Abschaffung des Amtsgeheimnisses versteht).
Kritik des Staatsschuldenwächters
Das achte Versprechen der ÖVP-Grünen-Regierung betrifft „nachhaltige Finanzen, notwendige Investitionen und einen ausgeglichenen Haushalt“. Es wird wohl gebrochen, wie Fiskalrat-Präsident Christoph Badelt, oberster Wächter über die Staatsfinanzen, dieser Tage kritisierte: Österreich sei „auf dem falschen Pfad“, das Budgetdefizit höher als vom Finanzministerium angekündigt. Dort hieß es, Badelts Berechnungen seien „nicht nachvollziehbar“.
Über den Daumen gerechnet bestätigt diese grobe Kurzanalyse Praprotniks Forschungsergebnisse. Die Wahlversprechen-Erfüllungsquote der schwarz-grünen Regierung liegt – trotz Pandemie – bei rund 50 Prozent.