Anna Bella Bernharts Eltern halten ein Foto von ihr in den Händen

Amoklauf von Graz: "Ich wollte sie halten"

Anna Bella Bernhart war 15 Jahre alt, liebte K-Pop und Computer-Gaming. Ihre Eltern erzählen von der Liebe zu ihrer Tochter und von dem Tag, als sie Anna Bella durch die Tat des Amokschützen von Graz verloren.

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An der Tür zu Anna Bellas Kinderzimmer klebt ein Plakat. Schwarze Großbuchstaben auf gelbem Hintergrund: „Gaming Area. Zutritt verboten“. Ein stiller Wächter über eine Welt, die leer und unbewohnt zurückbleibt. An diesem Donnerstag klopfen Natascha und Stefan Bernhart an die Tür, bevor sie das Zimmer ihrer Tochter betreten, obwohl sie wissen, dass sie niemand mehr hereinbitten wird. Sie setzen sich an den Schreibtisch, bewegen die Maus. Der Bildschirm flackert auf. Anna Bellas digitale Welt erwacht.

Hier hat sie Stunden verbracht, Kopfhörer auf den Ohren, versunken in Online-Spielen wie Roblox, Genshin oder Valorant, ein Ego-Shooter-Spiel, wie es auch der spätere Amokläufer spielte. Eine zufällige Überschneidung, mehr nicht.  Ihre Spielfiguren, ihre Welten, ihre Chats – sie sind alle noch da, gespeichert auf dem Computer. Stefan Bernhart findet Mitschnitte von alten aufgenommenen Computerspielen, die Anna Bella gemeinsam mit ihren Freunden gespielt hat. Ein Klick, und plötzlich ist da dieses Lachen. Hell, ungehemmt, aus vollem Herzen. So hat sie geklungen, wenn sie mit ihren Freunden wieder einen Diamanten gefunden oder eine neue Welt gebaut hat. Für einen Moment ist sie wieder da. Ganz nah.

Anna Bella war 15 Jahre alt, als sie in ihrer Klasse im Bundesoberstufenrealgymnasium Dreierschützengasse in Graz von einem ehemaligen Schüler, dem sie davor nie begegnet war, erschossen wurde. Sie ist eines von zehn Todesopfern des Amoklaufs in Graz am 10. Juni. An jenem Dienstag kehrte der Täter an seine ehemalige Schule zurück und schoss willkürlich auf Lehrkräfte und Schüler. In Anna Bellas Kinderzimmer ist seither die Zeit stehen geblieben. Der Computer läuft auf Stand-by. Auf dem Schreibtisch stehen eine Chipstüte und ihr Lieblingseistee. Geschmacksrichtung Pfirsich. Auf dem Bett liegt ihr Handy, als hätte sie es nur kurz vergessen. Alles wirkt, als könnte Anna Bella jeden Moment zur Tür hereinkommen. Nur die zwei weißen Trauerschleifen, die am Regal hängen, erinnern an das, was passiert ist. In goldenen Lettern steht darauf: „Im Herzen für immer. Deine große Schwester, Mama und Papa.“

Daniela Breščaković

Daniela Breščaković

ist seit April 2024 Innenpolitik-Redakteurin bei profil. War davor bei der „Kleinen Zeitung“.