Nationalbank-Gouverneur Robert Holzmann

Die Corona-Chroniken: Zynismus? No way!

Die Corona-Chroniken: Zynismus? No way!

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Tag 5 im Ausnahmezustand. Es gibt ja unterschiedliche Kulturtechniken zur Bewältigung einer Krise. Zynismus ist eine davon. Robert Holzmann, der Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank, probiert das gerade aus, und es scheint zumindest ihm gutzutun. Der Tageszeitung „Der Standard“ gewährte er vor einigen Tagen ein Interview, das sich etwa so zusammenfassen lässt: Die fitten Unternehmen und Unternehmer werden die Krise überleben, und was mit den anderen geschieht, ist eigentlich wurscht (siehe dazu auch den Text von Michael Nikbakhsh weiter unten).

Holzmanns zynisch-darwinistischer Zugang wird ganz sicher all jene Wirtschaftstreibenden ermutigen, die unvermittelt und völlig unverschuldet vor Schulden stehen, die sie womöglich nicht abbezahlen können, weil sie ihre Geschäfte nicht aufsperren dürfen, und die Kosten weiterlaufen (wir haben für die kommende Printausgabe mit Gewerbetreibenden und Selbstständigen gesprochen).

Wir diskutieren in der profil-Redaktion dieser Tage immer wieder über die angemessene Tonalität der Corona-Berichterstattung. Im Gegensatz zur viel zitierten Finanzkrise sind wir nicht bloß Beobachter. Dieses Mal sind wir alle mittendrin. Wir können uns der surrealen Nachrichten, die ohne Unterlass in unseren Mailboxen aufschlagen, nicht entziehen. Wir werden schließlich dafür bezahlt, diese zu lesen und zu interpretieren. That’s the job. Wie auch Sie sorgen wir uns um unsere Familien, die betagten Eltern, die Freunde, die Jobs, die Gesellschaftsordnung. Und dennoch: Es kann nicht unsere Aufgabe sein, im Minutentakt den Weltuntergang auszurufen. Unser Anspruch war und ist es (jetzt umso mehr), Sie unaufgeregt, sachlich und zuweilen unterhaltend durch diese schwierige Zeit zu begleiten. Für Zynismus ist da jedenfalls kein Platz. Und so wünschen wir Ihnen und selbstverständlich auch Robert Holzmann:

Bleiben Sie gesund!

Michael Nikbakhsh und Martin Staudinger

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Der Anstieg der Ansteckungszahlen ist in den vergangenen 24 Stunden mit Stand heute, 8:00 Uhr, fast gleich geblieben: +360 (gestern: +372). Als Corona-infiziert registriert sind gegenwärtig 2203 Österreicherinnen und Österreicher. Die Zahl der amtlich bestätigten Todesfälle liegt bei sechs (+1).

Getestet wurden bislang 15.613 Personen. Von den 1889 zusätzlich Getesteten waren also 19 Prozent positiv. Am stärksten belastet ist weiterhin Tirol, sehr viele Infektionen gibt es allerdings auch in Oberösterreich (u.a. in den Bezirken Linz, Urfahr-Umgebung, Rohrbach und Perg) und im Umland nördlich von Wien.

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Zuspruch aus Wuhan

Die 18-jährige Schülerin Xiaomeng berichtete in den vergangenen Wochen über Vermittlung ihrer österreichischen Freundin Carina Wandl mehrmals für profil aus Wuhan. Gestern, Donnerstag, schickte sie folgende Nachricht:

„Uns geht es super. Gestern gab es in Wuhan zum ersten Mal keinen neuen Patienten. Bevor wir wieder arbeiten gehen können, müssen noch ungefähr zwei Wochen warten, um sicherzustellen, dass es keine weiteren Infektionen mehr gibt.“

Abgesehen davon hoffe ich, dass ihr auch die Zeit zu Hause genießen könnt. Es war zuerst ein bisschen langweilig, aber man konnte doch viel manchen, um die Zeit zu verbringen. Wenn alle gut unter Kontrolle sind, verbessert die Situation bestimmt schneller, habt doch Zuversicht!“

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Was stimmt nicht mit Robert Holzmann?

So hört sich das also an, wenn der OeNB-Gouverneur Österreichs Wirtschaftstreibenden Trost spendet: Only the strong survive!

Von Michael Nikbakhsh

Wenn Robert Holzmann im Alter meines Sohnes wäre, vier nämlich, würde ich ihm wohl manches nachsehen. Bei uns daheim geht so einiges kaputt, weil mein Sohn dazu neigt, erst zu handeln und dann – vielleicht, selektiv – nachzudenken. Robert Holzmann ist Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank und seit wenigen Tagen 71, somit Teil der Risikogruppe. Holzmann gehört zu den älteren Mitmenschen, die Sebastian Kurz‘ Aufruf, doch bitte daheim zu bleiben, trotzig nicht folgen …

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Zitat

„Einige waren der Meinung, ein mäßiges Leben, frei von jeder Üppigkeit, vermöge die Widerstandskraft besonders zu stärken. Andere aber waren der entgegengesetzten Meinung (…) Bei Nacht wie bei Tag zogen sie bald in diese, bald in jene Schenke, tranken ohne Maß und Ziel und taten dies alles in fremden Häusern noch weit ärger …“

Aus der Einleitung von Giovanni Boccaccios Hauptwerk „Decamerone“ (um 1350), das während einer Pestepidemie spielt. 2020 wollen sich US-Hochschüler von der Epidemie die Spring Break-Sausen nicht vermiesen lassen und feiern vor allem in Florida auf Teufel komm‘ raus. Auch in Deutschland musste die Polizei in den vergangenen Tagen mehrere Corona-Partys auflösen.

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Onine-Tipp

Digitale Geburtshilfe Eine Konstante im Durcheinander: Kinder kommen auf die Welt, ganz gleich was rundherum gerade passiert. Schwangere und Hebammen stehen aktuell vor dem Dilemma, dass alle Geburtsvorbereitungskurse bis auf weiteres abgesagt werden mussten. Auch hier kann derzeit nur elektronisch kommuniziert werden. Die Gynäkologin Jasmin Rahhal-Schupp und die Hebamme Amelie Zitny haben sich zusammengetan und einen umfassenden Online-Geburtsvorbereitungskurs konzipiert: In Videos erläutern Fachleute den Geburtsvorgang, die Anästhesie, das Wochenbett, daneben kommen Psychologinnen, Still- und Ernährungsberaterinnen zu Wort. Und: Yoga-Übungen! Können sich übrigens auch werdende Väter anschauen. Mehr dazu unter: www.deine-geburt.com

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Abgelegenster abgeriegelter Ort:

Nuuk, die Hauptstadt von Grönland, hat sich nach zwei diagnostizierten Corona-Fällen unter Quarantäne gestellt. Wie es zu den Infektionen kommen konnte, ist unklar – die Erkrankten hatten das Land offenbar nicht verlassen. Vermutet wird, dass Rückkehrer das Virus unwissentlich auf die Insel eingeschleppt haben. Die Grönländer dürfen ihre Wohnorte vorerst zwar zum Jagen und Fischen verlassen, nicht aber andere Gemeinden besuchen.

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Countersound

Jede Krise verdient ihren Soundtrack: Der tägliche Musik-Tipp, heute von PHILIP DULLE

Die US-Rapperin Cardi B äußerte sich vor wenigen Tagen mit einem Video-Aufschrei zur Krisensituation: „Coronavirus! I'm telling you, shit is gettin' real!“ Der findige New Yorker Produzent und DJ iMarkkeyz hat aus dem spontanen Gefühlsausbruch einen viralen Remix gebastelt und erobert damit die Streaming-Charts. Das ist in Zeiten globaler Unsicherheit durchaus eine veritable Win-Win-Situation. Einerseits basteln Fans rund um den Erdball zu dem Song eigene Tanzvideos und sorgen so für awareness, andererseits haben Cardi B und der DJ beschlossen, die Einnahmen aus dem unerwarteten Hit jenen zu spenden, die von Covid-19 betroffen sind. Alles wird gut.

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Grüße aus dem Elfenbeinturm

WOLFGANG PATERNO macht sich auf die Suche nach Sätzen, die helfen.

"Ich erinnere mich, dass Kinderlähmung einmal die schlimmste Sache der Welt war.“ Der amerikanische Künstler und Schriftsteller Joe Brainard schrieb diesen Satz Ende der 1960er-Jahre, als die Medizin die durch Polioviren übertragene Krankheit bereits weitgehend im Griff hatte: Manchmal hilft es, in die Vergangenheit zu blicken, um der Gegenwart ein wenig den Schrecken zu nehmen. Brainard versammelte in seinem 1975 erstmals erschienenen Buch „Ich erinnere mich“ übrigens knapp 1500 Einträge, die alle mit der hypnotischen Beschwörungsformel „Ich erinnere mich ...“ beginnen – und in weiterer Folge Privates, Erotisches, Körperliches, Weltbewegendes, Banales, Poetisches umkreisen. „Ich erinnere mich“ ist nichts weniger als ein Band, der jedes Jahr gelesen werden will. Ein Zauberspruchhandbuch mit Trost-Botschaft: Jede missliche Wirklichkeit wird irgendwann Erinnerung. Joe Brainard: Ich erinnere mich. Autobiografie. Aus dem Amerikanischen von Uta Goridis. Mit einem Vorwort von Paul Auster. Walde & Graf 2019, 185 S., EUR 18,50

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Das Social-Media-Fundstück des Tages:

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Wir wollen Sie sehen und von Ihnen hören

Wenn Sie ein Video gemacht haben, das persönliche Beobachtungen aus dem Corona-Krisen-Alltag einfängt, dann schicken Sie es uns (am besten mit einem Datenübertragungsdienst wie WeTransfer und Link an [email protected]).

P.S. Gibt es etwas, das wir an den „Corona-Chroniken“ verbessern können? Das Sie ärgert? Erfreut? Wenn ja, lassen Sie es uns unter der Adresse [email protected] wissen.