Bundespräsident Alexander Van der Bellen verfolgt die Budgeterklärung von Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) im Home Office vor dem Fernseher.
Corona-Krise: Alle in einem Boot Camp

Alle in einem Boot Camp

Unsere gute, alte Bürowelt wird nach der Corona-Krise nicht wiederzuerkennen sein, vermutet Edith Meinhart.

Drucken

Schriftgröße

Das neue Normal kommt mit Überschallgeschwindigkeit. Vor Kurzem noch waren die meisten von uns bass erstaunt, wenn jemand von einer Telefonkonferenz mit hunderten Teilnehmern erzählte. „Kann das gut gehen?” Und schon ist es fast das Selbstverständlichste der Welt, dass Symposien und Meetings als moderierte Videochats oder Telkos abgehalten werden. Wir sitzen in unserem Home Office, das eben noch unser Wohnzimmer war, verbinden uns mit Apps, deren Namen wir vor wenigen Wochen noch gar nicht kannten, mit unseren Bürokollegen und kommen kaum damit nach, uns zu wundern, was plötzlich alles möglich ist. Ein unbekanntes Virus trieb uns in diesen gigantischen Feldversuch. Niemand kann sagen, wie lange er dauert und wie sehr er unsere Lebensart und Arbeitsweise verändert haben wird, wenn er irgendwann zu Ende geht. Wovon man allerdings ausgehen darf, ist, dass es das alte Normal dann nicht mehr geben wird.

Unsere gute, alte Bürowelt wird nach der Krise nicht mehr wiederzuerkennen sein. Man wird feststellen, dass man mit Teleworking und Shared Desks ganz gut über die Runden gekommen ist. Befürchtungen, dass die Mitarbeiter zu Hause weniger produktiv sind, werden sich als haltlos erwiesen haben. Warum also die glänzenden Business-Türme, die in den Ballungszentren hochgezogen werden und die jetzt Corona-bedingt halbleer stehen, wieder bis unter das Dach mit Angestellten füllen? Dass sie überall arbeiten können, haben sie nun ja hinlänglich bewiesen. Nicht sofort, aber auf mittlere Sicht, könnten sich die urbanen Immobilienmärkte entspannen, wenn es nicht mehr für jeden zwingend ist, der Arbeit wegen in die Stadt zu ziehen. Sterbende Ortschaften im Waldviertel, wo Häuser und Wohnungen noch günstig sind, könnten zu neuem Leben erwachen. Man könnte sein Home Office freilich auch in klimatisch freundlichere Gefilde verlegen, etwa an die Küste von Kroatien. Nicht für alle wird die Krise so schlecht ausgehen, wie vermutlich für die Luftfahrt. Warum sollte sich für die Airlines alles wieder einrenken? Telefonkonferenzen und Videochats werden uns in den vor uns liegenden Wochen, vielleicht Monaten des Ausnahmezustands noch selbstverständlicher geworden sein, als sie es bereits sind. Es wird uns im Rückblick seltsam anmuten, dass wir früher wegen eines einzigen, wichtigen Treffens kreuz und quer über den Erdball geflogen sind. Für viele andere Industriezweige könnte die Krise am Ende in eine enorme Effizienzsteigerung münden.

Noch sitzen wir alle gemeinsam in einem Boot Camp. Die Technologien, deren zweckmäßigen Gebrauch wir hier nolens volens einüben, gab es schon lange. Innovative IT-Unternehmen etwa, die mit Programmieren in aller Welt arbeiten, nützen sie längst. Der unmögliche, flächendeckende Feldversuch aber stand aus. Wer hätte gedacht, dass ihn ein Virus initiieren wird? Jeden Tag überstürzen sich die Neuerungen: Der elektronische Akt, die AMS-Meldungen und ärztliche Rezepte per E-Mail, Therapiegespräche via Skype, Online-Prüfungen an der Uni – was kommt noch alles? Das Experiment ist in vollem Gange.

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges