Daheim beim Amokläufer: „Er war total in sich gekehrt“
Eine Familiensiedlung in einem Vorort südlich von Graz. In den Balkonen hängen Storchfiguren, die Neugeborene willkommen heißen. Hier wohnte der Attentäter von Graz gemeinsam mit seiner alleinerziehenden Mutter, bis er am Dienstagvormittag im Grazer Gymnasium BORG Dreierschützengasse mindestens zehn Menschen erschoss und sich dann selbst am Schul-WC richtete.
profil begibt sich zum Wohnhaus des Attentäters und dessen Mutter. Eine unscheinbare Erdgeschosswohnung, weiße Tür, Vornamen und Nachnamen der beiden auf das Klingelschild gekritzelt. Seit über fünf Jahren lebten die beiden hier. Vor den anderen Wohnungen im Haus Kinderschuhe, Türmatten mit launigen Hunde-Sprüchen, Tretroller von Jugendlichen.
„Nie nur irgendwie ungut“
Zwei Nachbarinnen geben bereitwillig Auskunft über den 21-Jährigen, der am Morgen der Tat hier aufwachte. Es sind die ersten Gespräche, die sie mit Journalisten an diesem Tag führen.
Sie betonen, wie nett die Mutter und wie unauffällig ihr Sohn gewesen sei. Eine jüngere Frau, selbst Mutter, erinnert sich: „Er war total in sich gekehrt. Trug seine großen Kopfhörer und einen Rucksack, wenn er aus und ein ging. Er grüßte nicht, war aber nie irgendwie ungut.“ Wie distanziert der 21-Jährige gewesen sein muss, zeigt sich auch daran, dass ein Nachbarkind keinerlei Kontakt mit dem späteren Amokläufer hatte, obwohl die beiden annähernd Gleichaltrigen in derselben Siedlung wohnten. Auf den Polizeieinsatz, der wenige Stunden vor dem profil-Besuch das Grätzel erschütterte, deutet nur noch ein kleines Loch in der Tür hin. Eine Spähsonde?
Zwei Mal die 6. Klasse wiederholt
Eine weitere, ältere Nachbarin öffnet ihre Wohnungstüre und will etwas mitteilen: „Ich bete nicht nur für die Angehörigen der Opfer, sondern auch für die Mutter.“ Sie sei eine „ganz Liebe“, mit der sie immer wieder über den Gartenzaun beim Blumengießen geplaudert habe. Kein einziges lautes Wort sei aus der Wohnung gedrungen.
Den Burschen selbst hat die ältere Dame als schmächtig, klein, mit dunklen, längeren Haaren in Erinnerung, die sein Gesicht meist verdeckten. Sie rätselt über die Gründe für die Tat: „Wurde er gemobbt und hat alles jahrelang ganz tief in sich hineingefressen?“ Laut profil-Informationen kam der Täter im Schuljahr 2019/20 ans BORG Dreierschützengasse und musste bereits das zweite Oberstufenjahr zweimal wiederholen.
Tragischer Kreis
Während die Nachbarin mit profil spricht, geht die Mutter des Täters in Begleitung ihres älteren Sohnes im Hintergrund rasch vorbei, und die beiden verschwinden in ihrer Wohnung. profil werden sie die Türe nicht öffnen.
Auf der Rückseite des Wohnhauses befinden sich kleine Gärten, die zu den Erdgeschosswohnungen gehören. Wieder kommen wir mit Nachbarn ins Gespräch. Wir erfahren von einem Mann, der hier mit Blick in den Garten des Attentäters lebt und beim Amoklauf ein Familienmitglied verloren hat. Sie war Schülerin am Gymnasium Dreierschützengasse.
Später versammeln sich weitere Nachbarn vor dem Haus. Ihnen wird erst jetzt bewusst, dass der Täter, von dem das ganze Land spricht, der stille, junge Mann war, den sie oft sahen, ohne ihn wirklich zu kennen.
profil verzichtet auf Angaben, die einen genaueren Rückschluss erlauben.
Hilfe bei Krisen
Österreichische Telefonseelsorge (0-24 Uhr, kostenlos unter 142), online unter: telefonseelsorge.at
Psychiatrische Soforthilfe (0-24 Uhr, 01/31 330), online unter: psd-wien.at
Kindernotruf (0-24 Uhr, 0800 567 567) Rat auf Draht (0-24 Uhr, 147), online unter: rataufdraht.at
Kriseninterventionszentrum (Montag bis Freitag 10-17 Uhr, 01 406 95 95), anonyme E-Mail-Beratung (kriseninterventionszentrum.at)