Pipeline TAL gegen die Zeit: Warum immer mehr Öl statt weniger fließt
Die EU verspricht Klimaneutralität bis 2050, Österreich bis 2040 – dafür müsste auch der Ölverbrauch stetig verringert werden. Gleichzeitig wächst die zentrale Alpen-Pipeline weiter. 2025 wird die Transportkapazität laut Unternehmen auf 50,2 Millionen Tonnen Rohöl pro Jahr erhöht. Das sind zehn Millionen mehr als bisher kommuniziert. Öffentliche Gelder und Energieeffizienzprogramme stützen die Modernisierung – ein Ausstiegsplan fehlt.
Die TAL-Pipeline deckt rund 90 Prozent von Österreichs Ölbedarf, versorgt Süddeutschland und soll ab diesem Jahr Tschechien vollkommen unabhängig von Öl-Importen über die Druschba-Pipeline machen. Wortwörtlich das Aus mit der russischen Freundschaft.
TAL wird gemeinsam von drei Unternehmen betrieben – SIOT (Italien), TAL Austria und TAL Deutschland –, die sich im Besitz eines Konsortiums europäischer und internationaler Ölkonzerne befinden, darunter OMV, Shell, Rosneft, ENI, C-BLUE B.V. (Gunvor) und ExxonMobil. Die teilstaatliche OMV hält mit 25 Prozent den größten Einzelanteil an der Pipeline.
Umweltzertifikate für mehr Öl
Es ist ein Widerspruch mit nationalen und europäischen Klimazielen: Tschechien entwickelt Pumpen, mit denen mehr Öl transportiert werden kann, in Italien soll der effizientere Transport von mehr Öl gefördert werden, in Österreich gibt es einen Energiekostenzuschuss.
Die tschechischen Unternehmen MERO ČR und ČEZ arbeiten zusammen, um in der TAL-Pipeline das Öl schneller zu befördern. Sieben Wärmepumpen wurden dafür in vier Pumpstationen in Italien installiert, um so mehr Öl effizienter zu befördern.
Das Öl soll laut Angaben des Unternehmens durch das Erwärmen besser transportierbar werden.
Dafür möchte der lokale Betreiber von TAL, SIOT, Förderungen beantragen. Das Unternehmen installierte Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen, um die Energieeffizienz beim Pumpen von Öl durch die Alpen zu verbessern, und gab an, dadurch jährlich 4500 Tonnen Öl-Äquivalent einzusparen. Jedes Zertifikat steht für eine Tonne eingespartes Rohölequivalent.
Die Gelder sollen von der italienischen Energieversorgungsgesellschaft (GSE) kommen. Beantragt wurde von der italienischen TAL-Gesellschaft SIOT die Anerkennung als hocheffizientes Kraft-Wärme-Kopplungsprojekt (CAR), wodurch es Energieeffizienz-Zertifikate im Wert von 1,1 Millionen Euro erhalten würde, „Certificati Bianchi“ heißen diese Scheine.
Doch die regionale Energieagentur zweifelt an der Wirkung des Projekts: Das Öl würde durch den Prozess so wenig erwärmt, dass der Effekt nach wenigen hundert Metern verloren gehe. SIOT widersprach, eine unabhängige Prüfung liegt nicht vor. Der Entscheid steht aus, zuständig ist GSE.
In den Anrainergemeinden der Pumpstationen in Italien begegnet man dem Vorhaben mit Unverständnis. Es sei absurd, dass eine Öl-Pipeline für diese Art von öffentlichen Energieeffizienz-Zertifikaten infrage komme.
Es ist nicht der einzige Versuch der Pipeline-Betreiber, an „grüne“ Fördergelder zu gelangen: Ursprünglich wollte Tschechien den Ausbau der Pipeline als Projekt für den REPowerEU-Topf einreichen. Ein Programm mit dem Ziel, Europa aus der Abhängigkeit von russischen, fossilen Energien zu lösen. Diesen Vorschlag zog Tschechien 2023 zurück, nachdem Kritik laut geworden war, dass aus diesem Fördertopf keine Rohölpipelines gefördert werden können. Die Pumpen, die die Kapazität von TAL erhöhen, werden von Tochterunternehmen des tschechischen Betreibers gebaut – hier endet die nachvollziehbare Spur der Förderungen.
Ob und in welchem Ausmaß letztendlich EU-Gelder im TAL-Umfeld gelandet sein könnten, ist derzeit nicht eindeutig nachvollziehbar; MERO ČR verweist darauf, keine staatlichen Mittel zu beziehen, die Europäische Kommission verneint TAL-Förderungen über REPowerEU, parallel existieren nationale Effizienz- und Energiekostenprogramme.
Für das Jahr 2023 erhielt TAL in Österreich mehr als eine Million Euro aus den Töpfen des Energiekostenzuschusses. Ausgenommen waren aus dem Fördertopf staatliche Unternehmen, energieproduzierende und Mineralöl-verarbeitende Unternehmen – dazu zählt die TAL nicht, ihr Gewerbe ist der Betrieb einer Ölfernleitung. Der Umsatz belief sich im selben Jahr auf rund 18 Millionen Euro, der Gewinn auf 1,6 Millionen Euro.
Tschechien investiert in Österreich
Österreichs aktuelle Szenarien für ein Aus aus fossilen Energieträgern wie Gas und Erdöl sehen eine vollständige Dekarbonisierung des Transport- und Gebäudesektor bis 2040 vor. Rohöl soll weiter verwendet werden in Bereichen, in denen es nicht ersetzt werden kann: Etwa bei der Hightech-Kunststoffproduktion für Medizin und Technik, so das Umweltbundesamt.
70 Prozent des Rohöls werden in Österreich 2023 im Transportsektor verwendet, so die Länderdaten der Internationalen Energie Agentur. Diese sollten laut Szenario in 15 Jahren wegfallen.
TAL ist weit von einem Ausstieg aus Fossilen entfernt. In Deutschland hat der Pipelinebetreiber seit 2007 uneingeschränkte Bodennutzungsrechte. TAL Österreich erklärte gegenüber profil, dass sich das Unternehmen nicht in Gefahr sieht, bis 2050 zu einem sogenannten „stranded asset” zu werden. Der Betreiber des tschechischen Teils der Pipeline, MERO ČR, werde acht Millionen Euro in den österreichischen Teil der Pipeline investieren. Das Geld wird für die Modernisierung der Pumpen, Drucksysteme und Messgeräte von TAL verwendet. Zwölf Jahre lang wird die zusätzliche Kapazität der Pipeline dem tschechischen Betreiber MERO exklusiv zur Verfügung stehen, ist dem Jahresabschluss 2023 von TAL zu entnehmen.
In puncto Klimaschutz verweist das Konglomerat darauf, seine Pumpen mit 80 Prozent erneuerbaren Energiequellen zu betreiben. Es könnten so 3000 Haushalte versorgt werden, gibt TAL Österreich an – verwendet wird diese nachhaltige Energie, um fossile Infrastrukturen am Leben zu erhalten. In Österreich werden die Emissionen der Pipeline nicht erhoben, so TAL gegenüber profil. Das wäre aber die Basis, um über die Klimawirkung eines Projekts entscheiden zu können, so Marc Dengler von Greenpeace Österreich.
Und umrüsten? 2022 sprach der damalige CEO des Konsortiums davon, dass die Pipeline für vieles genutzt werden könne, nur nicht für Gas. Somit auch nicht LNG. Der technische Aufwand wäre zu hoch, es wäre günstiger, ein zweites Rohr zu verlegen, zitierte ihn 2022 das Medium Dolomitenstadt.
Das wäre in dieser Form heute nicht mehr möglich – die Leitung wurde 1967 in nur drei Jahren gebaut – zu einer Zeit, in der es noch keine gesetzlichen Rahmenbedingungen gab.
Stress für Umwelt und Umland
profil, „Süddeutsche Zeitung“ und die italienische Tageszeitung „Domani“ haben sich die Pipeline näher angesehen. In allen Ländern beteuern Bürgermeister:innen und Kommunen, dass sich TAL sehr gut um die Pipeline kümmert und bei Problemen alle Kosten übernimmt. Alle sind unisono froh, dass das Rohöl nicht mit Lkws im Straßenverkehr transportiert wird. Die Recherche zeigt, dass niemand mit dem Konsortium in Konfrontation gehen möchte.
Bei den Anrainern gehen die Meinungen auseinander: Einerseits habe es Entschädigungszahlungen in den 1970ern gegeben, andererseits würde die Pipeline den Wert der Grundstücke mindern. Es habe auch Druck gegeben, nicht zu teuer zu verkaufen.
Dass heute zehn Millionen Tonnen Öl mehr durch ihren Garten fließen, merken auch die Anrainer: Der Schnee schmilzt über der Pipeline, erzählt einer von ihnen. Sein Vater habe damals verhandelt, als die Pipeline gebaut wurde: Die Landwirtschaftskammer habe Tarife ausgehandelt, erzählt er, die Bauern seien zur Zeit des Leitungsbaus sehr arm gewesen. Das habe alles gepasst, nur dass man nicht mit schwerem Gefährt über die Pipeline darf, das habe niemand erzählt. Holz liefern würde dadurch zum Beispiel erschwert. Einige Gemeinden berichten von Bauauflagen und Vibrationen entlang der Trasse, die TAL bestreitet.
Es gibt auch Gemeinden, die keine Einsicht in die Verträge haben, da sie nach 1967 zusammengelegt wurden. Sie haben mit den Betreibern nicht verhandelt.
In den 2000ern sprach TAL in Aussendungen selbst davon, dass die Höchstkapazität bei 45 Millionen Tonnen Rohöl pro Jahr liegt – dieses Limit wurde überschritten. TAL selbst ließ profil wissen, dass die Erhöhung von unabhängigen Fachgremien geprüft und genehmigt wurde. Die bestehenden Grenzwerte würden auf Grundlage einer Risikoanalyse festgelegt, stünde eine weitere Kapazitätserhöhung im Raum, dann würde man weitere Maßnahmen treffen, um die Kapazität sicher zu erhöhen.
Auf und Ab für die Anrainer
Die Pipeline wurde 1967 errichtet, acht Jahre bevor Österreich ein eigenes Rohrleitungsgesetz bekam. Alte Servitutenverträge und Streit um Entschädigungen prägen das Verhältnis zwischen Gemeinden und Betreiber bis heute. Bereits 2010 versuchten Anrainer vergeblich, neue Konditionen zu verhandeln.
„Neu-Verhandlungen mit der TAL seien zwar eine gut gemeinte Geste, aber ohne Aussicht auf Erfolg. Wir haben es hier nicht mit einer Hilfsorganisation wie der Caritas zu tun, sondern mit einer Haifischorganisation“, wurde ein Lokalpolitiker damals zitiert.
Heute stellen sich auch die Fragen der 2010er Jahre erneut – sollte TAL umrüsten wollen, auf LNG oder Transport von anderen Rohstoffen, dann wäre abermals die Frage, ob die Servitutenverträge aus den 1960er Jahren das eigentlich decken. Oder ob es ein Kampf gegen „Haie“ ist, von dem Österreichs Öffentlichkeit nur wenig hat, weil vor 1970 finanziell zum Nachteil der Republik verhandelt wurde.
Rein in die neue Abhängigkeit
Nach dem vollständigen Einmarsch Russlands in die Ukraine im Jahr 2022 versprach die EU, ihre Abhängigkeit von Moskaus fossilen Brennstoffen zu verringern. Als Reaktion darauf entstand der REPowerEU-Plan – „um den grünen Wandel zu beschleunigen und die Energieunabhängigkeit Europas zu stärken“.
Erst kürzlich wurde Rosneft von den USA mit Sanktionen belegt. Russlands staatlicher Ölriese bleibt mit 11 Prozent Anteilen Minderheitsaktionär des TAL-Konsortiums.
Offiziell möchte die EU von fossiler Energie insbesondere aus Russland unabhängig werden – gleichzeitig liegt die Pipeline, über die Tschechien nun davon unabhängig werden soll, russischen Beteiligung.
Rosneft Deutschland wird als Minderheitsgesellschafter mit derzeit elf Prozent geführt; in Deutschland steht der Anteil unter Treuhandverwaltung – ob sich das auf das gesamte Konsortium bezieht, blieb aus den Antworten von TAL unklar. Die Firma betont, sämtliche Sanktionen einzuhalten. Laut Unternehmen haben die jüngsten US-Sanktionen gegen Rosneft keine Auswirkungen auf TAL.
Österreichs Innenministerium betont auf Nachfrage von profil, es könne zu Sicherheitsbedenken hier keine Auskünfte geben. Sanktionsbefangenheit und Wirtschaftsspionage seien Teil der Arbeit der DSN. In privatwirtschaftliche Verträge – wie im Fall der TAL – habe man keinen Einblick, aber es gebe eine Hotline für die Betreiber.
Ausbau der Fossilen
Die Internationale Energieagentur mahnte 2021, dass neue Investitionen in fossile Infrastruktur mit dem Ziel der Netto-Null-Emissionen bis 2050 nicht vereinbar sind.
Dennoch erklärte das Management von TAL gegenüber profil, dass es beabsichtige, „ein zuverlässiger Partner zu bleiben, solange Nachfrage nach Rohöl besteht“. Das Unternehmen rechnet mittelfristig mit einem Rückgang der Ölnachfrage – hat jedoch keine Pläne, den Betrieb langfristig einzustellen.
Während europäische Unternehmen, zum Teil in Staatsbesitz, Gelder in die Modernisierung fossiler Anlagen stecken, wird es immer unwahrscheinlicher, dass der Kontinent seine Klimaziele erreichen wird.
Ohne einen Ausstiegsplan läuft die Transalpine Pipeline Gefahr, zu einem Symbol für das doppelte Spiel Europas zu werden: Klimaneutralität versprechen und gleichzeitig die Infrastruktur finanzieren, die das Gegenteil fortschreibt.
Journalismfund Europe unterstützte die Freien Journalist:innen in diesem Projekt.