Homeoffice mit kleinen Kindern: "Ich will Hallo sagen!!!"

Clemens Neuhold über den Ausnahmezustand in den eigenen vier Wänden.

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"Da draußen ist ein gefährliches Virus. Deswegen müssen wir herinnen bleiben!" Der Trotzanfall meiner Tochter ("Ich will jetzt auf den Spielplatz! Mit dem Roller!") verebbt schlagartig. Verängstigt starrt sie mich an.

Hab ich das wirklich gerade gesagt? Mit welchen seelischen Langzeitschäden für die Kleine? Und welchen Kurzzeitschäden für die eigene Produktivität? An eine Rückkehr an den Laptop ist nach diesem pädagogischen Totalausfall nicht zu denken. Zuerst müssen die Corona-Monster mit einer schnellen Runde "Memory" aus ihrem Kopf verscheucht werden. Mit meinem Kopf bin ich nicht bei ihr, sondern bei meiner Story. Das spürt sie natürlich. Noch eine Ladung schlechtes Gewissen.

Tag 1: Im Homeoffice mit zwei kleinen Kindern -die Ältere ist 3,5, die Jüngere 1,5 Jahre alt. Bis Mittag ist die Stresskurve exponentiell gestiegen.

Dabei sind wir vergleichsweise privilegiert, weil als Eltern zu zweit daheim. Wie halten das bitte jene 100.000 Alleinerziehenden mit Kindern unter 15 Jahren?! Auf die Notbetreuung durch Kindergärten und Schulen greifen sie kaum zurück, dort liegt die Betreuungsquote unter einem Prozent.

Kindliche Energie

Doch auch zu zweit ist die Energie der Kinder, wenn sie an die Glastür zum elterlichen Schlafzimmerbüro trommeln, kaum zu bändigen. Und irgendwann gelingt der Durchbruch auf Papas Schoß, zum bisher unbekannten Laptop, auf dem neugierig herumgetapst wird. Die Ältere lässt einstweilen die Laptop-Tasche mit dem Ladekabel in der Puppenecke verschwinden.

"Ich hatte eine Videoberatung. Die Kinder sind vier Mal reingekommen. Der Vater hat sie dann abgehalten. Es hat sich angehört, als würde er sie häuten", erzählt mir eine Bekannte in ähnlicher Lebenslage.

"Ich will Hallo sagen!!!", brüllt meine Ältere derzeit in jedes Telefonat. Beim Update mit der Chefin ist dieser Funke Privatsphäre noch nett, bei der Telefonkonferenz mit acht Kollegen einfach störend.

Tag 2: Ein harter Schnitt muss her, eine minutiöse Tagesstruktur statt Laissez-faire. Wer denkt, leichtfüßig in der Jogginghose zwischen Privat und Beruf changieren zu können, hat die Kontrolle über sein Homeoffice verloren -mit oder ohne Kinder. Darüber können coole Schlabber-Pics, die Manager derzeit aus ihrem Homeoffice posten, nicht hinwegtäuschen. "Shower, Shave, Behave." Man muss ja nicht gleich täglich seine Schuhe putzen.

Kinder brauchen Rituale. Dazu gehört ab sofort ein Abschiedskuss von Daddy, der im gewohnten Arbeits-Outfit um Punkt 9 Uhr die Bürotür schließt. "Papa geht jetzt arbeiten. Schönen Vormittag."

Schichtwechsel

Nach dem Mittagessen ist Schichtwechsel bis 15 Uhr. Ohne Halbe-Halbe ist die tägliche Dauerbespaßung der Kinder nicht durchzuhalten. Man bleibt ja nicht aus Schutz vor Corona daheim, um stattdessen die Beziehung zu gefährden. Ein Einzelkind lässt sich durch Netflix-Peppa-Wutz-Dauerschleifen womöglich für mehrere Stunden ruhigstellen (eine Sondererlaubnis zum exzessiven Kinderfernsehen sollten sich alle Eltern in Zeiten von Corona genehmigen). Bei zwei Kindern mit unterschiedlichen Aufmerksamkeitsschwellen wirkt der Arbeitsbehelf Fernsehen hingegen nur kurz.

Tag 4: Im echten Büro würde nun langsam die Hektik der Schlussproduktion ausbrechen. Ich hingegen lasse im Hinterhof Seifenblasen steigen. Das Handy ist auf stumm geschaltet. Solche Seifenblasenmomente beflügeln für den restlichen Arbeitstag. Ich erkenne: Im Homeoffice können Kinder nicht nur Energie rauben, sondern auch spenden. Zudem erweist sich das strikte Schicht-Management als Effizienzpeitsche. Kaffeepausen, Social-Media-Ergüsse und andere Formen des Prokrastinierens sind einfach nicht drin. Erstmals halte ich eine 2016 im "Forbes"-Magazin publizierte Studie mit dem Fazit "Homeoffice macht glücklicher und produktiver" nicht mehr für ein reines Auftragswerk von Konzernen, die Büromiete einsparen wollen.

Tag 8: Die letzten Zeilen für diesen Artikel. In der Küche hilft die Ältere beim Keksebacken, dazwischen schaut sie kurz bei Papa in der Arbeit vorbei (Energiespende) und schließt die Tür dann wieder unaufgefordert. Die Kleinere schläft einstweilen friedlich hinter mir. Das Tippen scheint sie zu beruhigen. Homeoffice mit Kindern -auf Dauer ein zu enger Rahmen für meinen Beruf. An die Seifenblasen werde ich nach der Rückkehr ins Großraumbüro aber sicher denken.

Clemens   Neuhold

Clemens Neuhold

Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.