Wo der Attentäter schießen lernte

Im Schützenverein mit dem Attentäter: „Hätte mir nie vorstellen können, dass er Psycho-Test besteht“

Kurz nach dem Attentat in Graz schilderte ein Sportschütze profil anonym, wie der Amokläufer schießen lernte. Jetzt spricht Georg Tamm (65) offen über seine Begegnungen mit A. – und zeigt auf, was sich in den Schützenvereinen ändern muss.

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Sie haben sich noch am Tag des Attentats spätabends bei profil gemeldet, mit den Worten: „Rufen Sie mich an, ich habe mit A. Schießen trainiert.“ Was war Ihre Motivation?

Georg Tamm

Ich habe am Strand von Kroatien vom Attentat erfahren und sofort an A. gedacht. Ich kannte ihn aus dem Schützenverein und traute ihm das zu. Allerdings hieß es in den ersten Berichten, er sei 21 Jahre alt. Mir gegenüber hat sich A. als 25-Jähriger ausgegeben. Kurz verwarf ich den Gedanken, meldete mich dann aber doch bei der steirischen Kriminalpolizei und fragte: „War es A.?“ Es wurde mir nicht bestätigt. Aber ich wurde gefragt, wann ich zur Einvernahme kommen könne. Ich spürte: Er war es. Dann suchte ich mir ein Medium, das ich für seriös hielt, um meine Version zu erzählen. Es war mir einfach ein Anliegen. Ich wollte mich vom Schock befreien und reden. Es ging mir nicht um Effekthascherei. Sondern darum, das Erlebte in ein reales Licht zu rücken.

Wir sprachen unter dem Schutz der Anonymität. Jetzt nennen Sie auch Ihren Namen und zeigen Ihr Gesicht. Warum?

Tamm

Am Anfang hatte ich Angst, die Medien stürzen sich auf mich. Verdrehen meine Aussagen, stellen mich verzerrt dar. Ich hatte Angst vor einem Shitstorm. Aber jetzt in den Tagen danach, wo so viele Menschen öffentlich über ihn geredet haben, bis hin zur Vizebürgermeisterin von Kalsdorf, dem Wohnort des Attentäters, war ich der Meinung, meine Erzählungen sollen auch ein Gesicht und einen Namen bekommen. Ich stehe zu hundert Prozent dazu.

Sie erlebten A. im Schützenverein als „völlig empathielos, wie von einem anderen Stern“. Leitet Sie auch das schlechte Gewissen, weil im Verein nicht lauter die Alarmglocken schrillten?

Georg Tamm

Zur Person

Georg Tamm (65), der ehemalige Manager in der Telekom-Branche ist seit sechs Jahren Sportschütze und trainierte in einem traditionellen Grazer Sportschützenverein im Süden der Stadt. Dort traf er auf den späteren Attentäter A.. Die Schießanlage auf einem Gelände mit mehreren Schützenvereinen wurde aus Pietätsgründen noch vor der Sommerpause gesperrt. 

Nachtrag: Den Namen des Schützenvereins und ein aktuelles Statement eines Vereinsobmanns lesen Sie weiter unten. 

Tamm

Mir sind die Szenen im Schützenverein immer wieder durch den Kopf gegangen. Elf Leute sind gestorben, und wir waren unbewusst ein Glied in einer langen Kette. Immer wieder habe ich mich gefragt: Was hätte man anders machen müssen? Das fragen sich wohl viele, die mit A. zu tun hatten. Und das ist auch menschlich.

Wie viele Personen haben den Amokläufer im Schützenverein persönlich erlebt?

Clemens Neuhold

Clemens Neuhold

Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.