PRÄSENTATION "ABSCHLUSSBERICHT DER KINDESWOHLKOMMISSION": GRISS
Frau Griss, liebäugeln Sie mit einer Präsidentschaftskandidatur?
Am Dienstagvormittag warnen Griss, ehemalige Präsidentin des Obersten Gerichtshofs, und die Journalistin Carina Kerschbaumer vor einem bildungspolitischen Notstand: rund 48.000 Kinder in Österreich gelten als „außerordentliche Schüler“, sie können dem Unterricht nicht folgen. Griss und Kerschbaumer präsentieren ihre Initiative „Wir für Österreich – Lesepatinnen und Lesepaten für das Land“, die 25.000 Ehrenamtliche mobilisieren soll. profil sprach anschließend mit Irmgard Griss.
Wie sind Sie zur Initiative gekommen? Sie wurde im Sommer gegründet, also noch vor „Plan Z“.
Imgard Griss
Die Idee stammt von Carina Kerschbaumer. Sie hat als Lesepatin eigene Erfahrungen gesammelt, ist inzwischen in Pension und wollte dieses Projekt umsetzen. Ich halte es für ein großartiges Vorhaben und bin gern eingestiegen.
Sie haben bei der Präsentation etwas angesprochen, das auch viele Grünen-Mandatare im Wiener Gemeinderat kritisieren: Dass es im elementarpädagogischen Bereich zu wenig Deutschförderung gibt. Viele Kinder schaffen den MIKA-D-Test nicht und starten als außerordentliche Schüler, obwohl sie lange im Kindergarten waren. Was sagt das aus?
Griss
Dass das offizielle Österreich – Kindergärten wie Schulen – den Bedarf nicht deckt. Das müssen wir offen sagen. Und wenn ein Problem die gesamte Gesellschaft betrifft, ist auch die Zivilgesellschaft gefragt. Lesepatenschaften sind ein Weg, um Kindern zu helfen, Deutsch zu lernen und unsere Kultur kennenzulernen. Zugewanderte Menschen sind oft sehr dankbar, wenn man den Kontakt aktiv sucht. Ich erlebe das immer wieder.
Also ein Appell zur Inklusion, nicht zur Segregation?
Griss
Ja. Und wir brauchen diese Menschen – sie bleiben hier, sie wandern nicht aus. Wir brauchen Arbeitskräfte. Also müssen wir alles tun, damit sie in der Gesellschaft ankommen und selbst etwas beitragen können. Sprache ist der Schlüssel.
Sie kennen den politischen Apparat seit vielen Jahren. Warum passiert in der Bildungspolitik so wenig? Sie haben auf der Pressekonferenz gesagt, die Regierung habe nicht den Mut, das Notwendige durchzusetzen.
Griss
Politik scheut sich oft, Fakten klar zu benennen. Man will nicht eingestehen, dass Ziele verfehlt wurden oder Strukturen falsch sind. Aber Verbesserungen erreicht man nur, wenn man zuerst die Realität ausspricht. Dieses Zögern ist ein generelles Problem.
Eine Umfrage sieht Sie aktuell an der Spitze möglicher Kandidatinnen für das Amt der Bundespräsidentin. Offenbar haben Sie ein großes Vertrauen in der Bevölkerung.
Griss
Menschen schätzen Politikerinnen und Politiker, die sagen, was sie denken, und für etwas einstehen. Ich bin begeisterte Österreicherin und begeisterte Europäerin. Engagement wird wahrgenommen – und es gibt offenbar ein Bedürfnis nach solchen Stimmen.
Sie leiten auch die Untersuchungskommission im Fall SOS-Kinderdorf, auch ein Zeichen dieses Vertrauens der Öffentlichkeit. Wie lange wird die Arbeit dauern?
Griss
Das wird sich zeigen, aber ich hoffe, dass wir in einem halben Jahr einen Bericht vorlegen können. Wir arbeiten intensiv, sprechen mit vielen Personen und haben bereits umfangreiche Unterlagen erhalten. Unser Ziel ist, zu verstehen, was schiefgelaufen ist, warum es schiefgelaufen ist und wie man Wiederholungen verhindert. Eine Einrichtung wie SOS-Kinderdorf ist wichtig und notwendig.
Die Jugendhilfe hat in Kärnten im Auftrag von SOS-Kinderdorf agiert – ein kompliziertes Geflecht. Braucht es bessere Zusammenarbeit zwischen öffentlichen und privaten Trägern?
Griss
Natürlich. Die öffentliche Hand hat die Aufgabe, sich um Kinder zu kümmern, deren Eltern das nicht können. Es geht um ein zentrales gesellschaftliches Interesse. Sonst drohen diese Kinder abzurutschen – sozial oder auch strafrechtlich. Das darf man nicht ignorieren.
Sie haben in einem Interview gesagt, dass Sie Ihre Arbeit nur machen, wenn Ihnen die Organisation vollständig offenlegt, was passiert ist. Funktioniert die Kooperation?
Griss
Ja. Bei all meinen bisherigen Kommissionen war Transparenz die Voraussetzung. Wenn ich das Gefühl habe, dass vertuscht wird, kann man seriös nicht arbeiten. Die derzeitige Geschäftsleitung ist klar an Aufklärung interessiert.
Gab es früher Fälle, in denen Sie ein Mandat abgelehnt haben?
Griss
Ja, einmal habe ich es deshalb nicht übernommen. In anderen Fällen hat schon die Ankündigung gereicht, die Aufgabe niederzulegen, damit die notwendige Transparenz geschaffen wurde.
Auch SOS-Kinderdorf International war zuletzt in den Schlagzeilen, unter anderem wegen Zusammenarbeit mit dem Assad Regime. Wird die Kommission auch den internationalen Träger von SOS unter die Lupe nehmen?
Griss
Unser Auftrag betrifft SOS Kinderdorf Österreich. Mit den Vorkommnissen in Syrien werden wir uns daher nicht befassen.
Viele sehen Sie durch die jüngste Umfrage als mögliche Bundespräsidentin. Können Sie sich eine Kandidatur vorstellen?
Griss
Wäre ich zehn Jahre jünger, würde ich darüber nachdenken. Jetzt hängt alles von meinem Gesundheitszustand ab. Ich habe mich über die Umfrage gefreut; sie zeigt Wertschätzung.
Also ja oder nein?
Griss
Aus heutiger Sicht: nein.
Sie haben auf der Pressekonferenz auch über die Angst vor der nächsten Nationalratswahl gesprochen und vor dem, „was danach kommt“. Was raten Sie in puncto Angst und Stillstarre?
Griss
Angst lähmt. Man begegnet ihr, indem man handelt. Politik muss Probleme benennen und Lösungen anbieten – ehrlich, ohne Beschönigung. Wenn Menschen sehen, dass Politik Verantwortung übernimmt und handelt, dann verliert Angst an Macht.
Neben der Wir-für-Österreich-Initiative und der Kommission – machen Sie noch etwas, das nicht öffentlich sichtbar ist?
Griss
Ich habe eine Familie. Langweilig wird mir nicht. Ich lese viel, bin gern in der Natur, gehe viel spazieren, höre Podcasts. Ich bin mit meinem Leben sehr zufrieden.