Werner Kogler mochte die Floskel ja nie. Erfunden hat sie Sebastian Kurz. Bei der Präsentation des schwarz-grünen Regierungsprogramms im Jänner 2020 meinte der damalige Kanzler, dieses vereine „das Beste aus beiden Welten“. Einmal im Umlauf verselbstständigte sich die Formel zur Phrase.
Vier Jahre und acht Monate später kann Kogler mit der Volkspartei und wie sie die Welt sieht offensichtlich nicht mehr viel anfangen. Ein Blick ins 112 Seiten starke grüne Wahlprogramm reicht zum Beleg: Dort schreibt der Vizekanzler und grüne Spitzenkandidat im Vorwort: „Die ÖVP in Österreich und ihre konservativen und rechtspopulistischen Freunde in ganz Europa arbeiten sich am Klimaschutz ab … Und das Wahlversprechen ist klar: Wenn ihr konservativ wählt, gibt es neue Milliarden für Autobahnen und Kürzungen bei allem, was der Umwelt guttut. Dann wird fleißig weiterbetoniert.“
Tatsächlich bildeten ÖVP und Grüne inhaltlich nie eine größere Schnittmenge. Beide Parteien lebten in den vergangenen Jahren in ihrer schwarz-türkisen beziehungsweise grünen Parallelwelt. Für den Bereich Asyl und Migration vereinbarten ÖVP und Grüne im Jänner 2020 sogar einen eigenen Mechanismus, der in Streitfragen einen koalitionsfreien Raum vorsah.
Hauptschauplatz der Auseinandersetzungen
Damals schrieben viele Kommentatoren, die ÖVP habe die Koalitionsverhandlungen gewonnen. Dass die Grünen am Ende das Koalitionsmatch gewonnen haben, ist nach den jüngsten Volten von Klimaministerin Leonore Gewessler eine zulässige Analyse – und der Grund, warum vor allem die Wirtschaftsvertreter in der ÖVP genug von den Grünen haben.
Im Juni hatte Gewessler im Rat der EU-Umweltminister dem sogenannten Renaturierungsgesetz zugestimmt, gegen den ausdrücklichen Willen der ÖVP, die darin eine Kompetenzüberschreitung sah und Gewessler wegen Amtsmissbrauch anzeigte (die Anzeige wurde allerdings mangels Anfangsverdacht zurückgelegt, berichtete der „Falter“). Zu einem anderen Zeitpunkt wäre die Koalition daran zerbrochen. Doch wenige Monate vor der Wahl zahlte sich der Crash schlicht nicht mehr aus. Auch sonst blieb manches offen: So scheiterte im Finale die Neuregelung der Handy-Sicherstellung.
Der größte gemeinsame Erfolg der zwei Parteien besteht darin, dass die Koalition die volle Gesetzgebungsperiode durchdiente. Was viel mit dem Personal zu tun hat: Koalitionen bestehen, solange sich die Spitzenkräfte verstehen. Die Achse von Kanzler Karl Nehammer und Werner Kogler hielt ebenso wie jene der Klubchefs August Wöginger und Sigrid Maurer.
Dass sich gleich und gleich gern gesellen, zeigte der Abschluss der ÖVP-FPÖ-Koalition im Dezember 2017. Im Jänner 2020 galt hingegen: Gegensätze ziehen sich an.
Hauptschauplatz koalitionärer Auseinandersetzungen waren das Innenministerium und dessen Migrationspolitik – und Gewesslers Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie. Die Verknüpfung der Bereiche Energie und Umweltschutz in einem Ressort bereut die Volkspartei bis heute.
Schwarz-Grün und der Klimaschutz
Allerdings setzte sich auch Gewessler nicht immer durch. Gasheizungen im Bestand werden vorerst bleiben. Und beim Nationalen Energie- und Klimaplan (NEKP) wurde sie von Europaministerin Karoline Edtstadler zurückgepfiffen, nachdem Gewessler einen Entwurf ohne Abstimmung mit dem Koalitionspartner nach Brüssel geschickt hatte. Erst mit reichlich Verspätung einigten sich die Parteien Mitte August auf einen gemeinsamen NEKP.
Möglich wurde der Kompromiss durch einen Abtausch. Im Gegenzug zur NEKP-Einigung segneten die Grünen Finanzminister Magnus Brunner, ÖVP, als Österreichs nächsten EU-Kommissar ab. Allerdings zeigt der NEKP auch die Dysfunktionalität einer Regierung, die sich im Endstadium befindet. Während die Grünen aus dem Klimaplan das Ende des sogenannten Dieselprivilegs herauslesen, beharrt die ÖVP darauf, dass die Mineralölsteuer auf Diesel weiterhin niedriger ist als auf Benzin.
Der Abtausch und das Junktimieren von Interessen ist der Mechanismus, der eine Koalition funktionieren lässt. Im Juni 2020 rettete die Regierung die durch die Corona-Krise schwer angeschlagene AUA mit einem Zuschuss von 150 Millionen Euro. Die Grünen stimmten zu, bestanden aber darauf, dass im Gegenzug zusätzliche Mittel in den Bahnausbau fließen. Tourismusförderungen ließen sie sich mit Subventionen für den Klimaschutz abkaufen, Unterstützung für die Industrie mit der Abschaffung des Vollspaltenbodens in der Schweinehaltung.
Vergangenen Dienstag zerpflückte Finanzminister Magnus Brunner – er ist mit Vizekanzler Werner Kogler für die Koalitionskoordination verantwortlich – das Förderwesen im Klimaministerium, das seiner Meinung nach wenig effizient sei: „Trotz erheblicher Erhöhung des Förderbudgets im Klima- und Energiebereich erzielen die Mittel oft nicht die gewünschte Wirkung.“
Man kann das durchaus als Foul in der Nachspielzeit werten. Gewessler und Brunner waren einander nie besonders zugetan. Bevor er im Dezember 2021 als Nachfolger von Gernot Blümel Finanzminister wurde, diente Brunner als Staatssekretär in Gewesslers Ministerium. Diese teilte ihm die nicht gerade glamourösen Bereiche Schifffahrt und Luftfahrt zu. Brunner besichtigte Flussschleusen oder wohnte Pressekonferenzen zum Rückgang von Fäkalien-Keimen in der Donau bei.
Was die ÖVP nicht leugnen kann: Gewessler steht für einen der größten Erfolge der Regierung: das Klimaticket. Für 1095 Euro können ein Jahr lang fast alle öffentlichen Verkehrsmittel in Österreich genützt werden: von ÖBB und Westbahn bis zu lokalen Buslinien. Aus Brunners Budget werden dafür etwa 150 Millionen Euro jährlich zugeschossen. Das Klimaticket würde aufgrund seiner Beliebtheit – bis Ende 2023 wurde es von 270.000 Nutzern erworben – wohl auch eine mögliche ÖVP-FPÖ-Koalition überleben.
Schwarz-Grün und die Steuerlast
Auch die von der ÖVP forcierte Abschaffung der kalten Progression im Herbst 2022 wird sich nicht mehr rückgängig machen lassen. Durch eine automatische Anpassung der Tarifstufengrenzen in der Lohn- und Einkommensteuer wird der Effekt abgemildert, dass inflationsbedingte Lohnerhöhungen durch eine höhere Steuerlast wieder reduziert werden. Bis 2026 sparen sich die Steuerzahler nach Schätzungen des Finanzministeriums dadurch in Summe mehr als 20 Milliarden Euro. Allerdings: Zukünftige Finanzminister werden über die entgangenen Einnahmen noch fluchen, da sie das Geld dringend zum Stopfen des Budgetlochs benötigen würden.
Ebenfalls ins Geld geht die von der Regierung beschlossene Valorisierung der Sozialleistungen. Seit Jänner 2023 werden auch Leistungen wie die Familienbeihilfe, der Mehrkindzuschlag, das Kinderbetreuungsgeld und der Alleinverdienerabsetzbetrag mit der Inflation erhöht.
Bei der ökosozialen Steuerreform im Jänner 2022 kam es zum Abtausch. Die ÖVP erhielt die Senkung der Körperschaftsteuer für Unternehmen von 25 auf 23 Prozent, die Grünen die CO2-Bepreisung.
Das Klimaticket und die Abschaffung der kalten Progression beweisen, dass die Koalitionsparteien einander Erfolge gönnten. Dass die Regierung auch in der Sicherheitspolitik zu einer gemeinsamen Linie fand, war dagegen nicht zu erwarten. Die Volkspartei blickte am Anfang skeptisch auf die Grünen und ihre pazifistische Ausrichtung. Und das aus durchaus nachvollziehbaren Gründen, findet David Stögmüller. „Ich bin der erste Wehrsprecher der Grünen seit Peter Pilz“, sagt er, und selbst sein Vorgänger habe seine Rolle nicht im klassischen Sinn verstanden.
Die ÖVP, selbst erklärte Sicherheitspartei, musste im Wahlkampf 2019 noch Sätze wie diese im grünen Wahlprogramm nachlesen: „Das Bundesheer soll auf das absolut notwendige Maß verkleinert werden.“ Oder: Weder Kampfpanzer noch Artillerie werden benötigt, „auch Kampfflugzeuge sind für Österreich viel zu teuer und nicht erforderlich“. Jetzt kauft die Regierung 225 neue Panzer und bekennt sich zur Luftraumüberwachung, und das sind nur zwei Beispiele aus dem millionenschweren Beschaffungspaket. „Auch für die ÖVP war es überraschend, dass wir uns so klar zum Militär committet haben“, sagt Stögmüller.
Mit der Geopolitik änderte sich auch die grüne Einstellung zur Landesverteidigung. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine war auch einer friedensbewegten Partei klar, dass sicherheitspolitisch nichts mehr wie vorher war. In der neuen Sicherheitsstrategie bekennt sich die Regierung zur Unabhängigkeit von russischem Gas – der Punkt geht an die Grünen –, aber auch zur Annäherung an die NATO. Vor einigen Jahren wäre das noch undenkbar gewesen.
Damals, 2020, zueinanderzufinden, war aber schwierig. Das lag nicht nur an Corona. Im Parlament tagte der Ibiza-Untersuchungsausschuss, Korruptionsermittlungen standen im Raum. Sicherheitspolitisch kamen auch noch die politischen Unterschiede dazu. „Wir mussten das Bewusstsein dafür schaffen, Entscheidungs- und Beschaffungsprozesse möglichst transparent zu gestalten“, sagt Stögmüller.
Die Koalition und die Krise
Die schwierigsten Verhandlungen drehten sich um das sogenannte Krisensicherheitsgesetz, auch weil so viele Ministerien damit befasst waren. Stögmüller: „Es ist nicht der klassische grüne Markenkern, aber es ist viel weitergegangen.“ Und weiter: „Was die Grünen gelernt haben, ist, dass sie viel mehr Facetten als die einer Klimapartei haben. Wir können nicht nur Opposition und sind erwachsen geworden.“
Was womöglich geholfen hat: Einmal im Jahr lädt Verteidigungsministerin Klaudia Tanner die Wehrsprecher der Parteien zum Heurigen. Manche bleiben da bei ausgelassener Stimmung bis zum späten Abend sitzen.
Die Infos und die Freiheit
In ÖVP-Kreisen zählt man das Informationsfreiheitsgesetz, auf das sich die Koalition schließlich einigte, „sicher zu den Top 3 der schwierigsten Themen“. Im Regierungsprogramm wurde die langjährige Forderung der Grünen festgeschrieben. Und das im vollen Bewusstsein, dass die eigenen Leute – in den ÖVP-dominierten Ländern und Gemeinden – dagegen sein werden. Verfassungsministerin Karoline Edtstadler tourte durch Österreich, um sich die Sorgen der Landeshauptleute und Bürgermeister anzuhören. Dann fuhr sie wieder nach Wien, um mit dem Koalitionspartner weiterzuverhandeln.
Ohne eine andere Person wäre dieses Gesetz aber nie zustande gekommen, erzählt man auch in der ÖVP: Werner Kogler. Der Vizekanzler agiere pragmatischer als Justizministerin Alma Zadić. Und er ließ der Volkspartei auch Freiheiten. „Er wusste, die Zeit ist nicht der Feind, die ÖVP musste eben die ureigenste Klientel überzeugen“, sagt ein Insider. Für die Grünen wäre es einfach gewesen, jeden Tag den Koalitionspartner zu schelten, weil die Gesetzesänderung noch nicht kommt. Kommuniziert wurde aber gemeinsam. „Gute Regierungsarbeit bedeutet, sich gegenseitig die Mauer zu machen. Das geht aber nur, wenn du dir gegenseitig vertraust“, heißt es aus Regierungskreisen.
Dass ein heikles Thema ernsthaft verhandelt wurde, konnte man auch daran beobachten, wie dezent die Regierungspartner vorgingen. Zum Beispiel bei der Sterbehilfe, die die Regierung nach einer Verfassungsgerichtshof-Entscheidung regeln musste: Das Thema hatte das Potenzial, vor allem in katholischen und konservativen Kreisen für massiven Wirbel zu sorgen. Ausgerechnet Bernhard Bonelli, damaliger Kabinettschef von Kanzler Sebastian Kurz, soll auf ÖVP-Seite für die leise Abwicklung des Gesetzes verantwortlich gewesen sein – und das als strenggläubiger Katholik.
Schwarz-Grün und die Migration
Die Sterbehilfe war eine Detailfrage, die Migration beschäftigte die Koalition über die gesamte Gesetzgebungsperiode. Schon im Regierungsprogramm holte sich die Volkspartei alle Freiheiten für den absoluten Ernstfall. Auf Seite 143 einigten sich die Parteien auf einen „Modus zur Lösung von Krisen im Bereich Migration und Asyl“. Sollte sich die Situation zuspitzen und ÖVP und Grüne nicht über das weitere Vorgehen einig sein, darf im Parlament über Gesetze unterschiedlich abgestimmt werden. Sozusagen eine Ausnahmeklausel für die eine goldene Regel in Koalitionen: Im Nationalrat wird eine Fraktion nicht von der anderen überstimmt.
So weit kam es nie, im Gegenteil: Die Regierung musste nie lange über harsche Verschärfungen im Asylbereich verhandeln. Die ÖVP fordert zwar Asylanträge in Drittstaaten, weiß aber gleichzeitig: Mit den Grünen wird das niemals kommen. Im eigenen Verantwortungsbereich reizt man die Grenzen aus, verweigert Rumänien und Bulgarien den Zutritt zum Schengenraum oder spricht sich für Abschiebungen nach Afghanistan aus. Zum großen Streitfall wurde die Migration seltener als vorhergesagt – auch wenn grüne Politiker gegen Abschiebungen vor dem Ministerium ihrer Regierungspartner demonstrierten.
Schwarz-grüne Zukunft?
Könnte diese vertrauensvolle Arbeit also theoretisch – unabhängig vom Wahlergebnis – verlängert werden? In der ÖVP ist die Antwort ziemlich deutlich: Nein. Aus Sicht der schwarzen Wirtschaft haben es die Grünen beim Umwelt- und Klimaschutz übertrieben – was Werner Kogler und Leonore Gewessler als Auszeichnung empfinden dürften.
Und selbst wenn man wieder zueinanderfände, würde die ÖVP Gewessler nach ihrem Vorgehen beim Renaturierungsgesetz nicht als Ministerin akzeptieren. Da mutet es beinahe ironisch an, dass Klubchefin Sigrid Maurer mittlerweile zur Lieblings-Grünen der Schwarzen wurde. Im Wahlkampf vor fünf Jahren hatte Sebastian Kurz eine Zusammenarbeit mit Maurer partout ausgeschlossen.
ist seit 1998 Innenpolitik-Redakteur im profil und Co-Autor der ersten unautorisierten Biografie von FPÖ-Obmann Herbert Kickl. Sein journalistisches Motto: Mitwissen statt Herrschaftswissen.