„Meine Mutter fehlt mir, wenn es mir nicht gut geht.“
Faihaa, 38
Als der Krieg in Syrien im Jahr 2011 begann, wurde ich krank. Nachdem die ersten Bomben fielen, bekam ich Multiple Sklerose. Damals war ich 24 Jahre alt. Ich bin Mutter von mittlerweile fünf Kindern, mein ältestes Kind ist mein 18 Jahre alter Sohn, meine jüngste Tochter ist drei Jahre alt. Zwei meiner Töchter kamen in Österreich auf die Welt, sie sind anders als meine anderen Kinder, sie sind freier und unbeschwerter als die Älteren. Sie haben keine Erinnerungen an den Krieg.
Mein Mann flüchtete allein aus Damaskus nach Wien und bekam 2015 Asyl. Ich kam mit unseren drei Kindern ein Jahr später per Familiennachzug nach. Ich machte einen Deutschkurs, er hat mittlerweile einen Vollzeitjob als Optiker. Wir leben gut, ich bin zufrieden und bin dankbar dafür, dass ich keine Angst um meine Kinder haben muss. Meine Familie ist meine Welt.
Manchmal kommt die Erinnerung an das, was wir in Syrien erlebt haben, und sie kommt plötzlich – die Bomben, die Detonationen. Doch mit der Zeit wird es einfacher. Ich finde hier keinen Job, ich bin auch nicht beim AMS gemeldet. Zu Hause in Damaskus habe ich bald Kinder gekriegt, und ich habe kaum Berufserfahrung. Die einzige Arbeit, die ich je hatte, war als Ordinationshilfe bei meinem Onkel. Außerdem setzt mir meine Krankheit zu. Mein Mann und meine Kinder ermutigen mich immer, Deutsch zu reden, manchmal gehe ich in ein Sprachcafé, aber es ist eine Überwindung für mich. Ich vermisse meine Familie, ich vermisse meine Mutter. Sie fehlt mir in meinem Alltag. Sie fehlt mir, wenn es mir nicht gut geht.
„Sie haben gerufen: „Wir wollen die toten Frauen ficken.“
Ich bin in Suweida in Syrien aufgewachsen und habe später in Damaskus Übersetzen studiert. Als der Krieg losging, bin ich in den Libanon geflohen. Dort konnte ich nicht bleiben, drei Jahre später bin ich über die Türkei, Griechenland und den Balkan nach Österreich gekommen. Zuerst war ich in einem Lager untergebracht, später in einem Haus in einem kleinen Dorf in Niederösterreich. Der Besitzer war sehr streng. Sobald ich meinen Asylbescheid bekommen habe, bin ich nach Wien gezogen.
Dort habe ich bald ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft mit sieben Studierenden gefunden. Für mich war es das Tor in die Welt. Ich habe so viele Leute kennengelernt. Es war nicht leicht für mich, eine Arbeit zu finden. Ich habe Verschiedenes gemacht, nebenbei geschrieben und Musik gemacht. Jetzt arbeite ich als Projektassistent im Jugendcollege, ein Ausbildungsprojekt vom AMS und der Stadt Wien. Seit Längerem suche ich eine größere Wohnung, aber ich glaube, mein arabischer Name macht das schwerer.
Im Dezember habe ich vor dem Parlament mit Tausenden Syrern gefeiert, dass Assad gestürzt wurde. Aber unter der neuen Regierung von Ahmed Al-Scharaa ist es für uns Drusen ein Horror. Sie haben 35 Dörfer niedergebrannt, Frauen und Kinder entführt und Hunderte Menschen getötet. Eine davon war meine Cousine. Meine Mutter ist in die Berge geflohen und hat sich dort in Sicherheit gebracht.
Wir haben in Wien eine Demo organisiert, um auf die Massaker an Drusen aufmerksam zu machen. 100 Syrer haben uns umzingelt und beschimpft, sie haben gerufen: „Wir wollen die toten Frauen ficken.“ In Wien! Es hat lange gedauert, bis die Polizei eingegriffen hat. In meiner Arbeit wissen nur wenige syrische Schüler, dass ich Druse bin.
Ich habe mich davor immer als Syrer gefühlt, jetzt sehe ich mich viel stärker als Druse. Für mich war es davor nicht so wichtig, Kinder zu bekommen, aber das hat sich geändert. Ich will eine Familie gründen. Drusen sind nicht nur eine Religion, sondern eine Ethnie, die jetzt wieder verfolgt wird.
„Für meinen Vater ist es sehr schwierig, in Österreich anzukommen.“
Ich bin kurz nach meiner Matura mit meiner damals achtjährigen Schwester aus Syrien geflohen. Wir waren ein Jahr lang auf der Flucht. Im Frühling 2015 sind wir in Österreich angekommen. Im Sommer hat mir jemand erzählt, dass am Hauptbahnhof gratis Sachen verteilt werden. Ich bin hingegangen und war dort überwältigt, wie viele Flüchtlinge angekommen sind. Ich habe sofort angefangen mitzuhelfen und wurde Teil des „Train of Hope“- Teams. Bis heute bin ich mit den Menschen von damals befreundet, das hat mir extrem geholfen. Viele denken, man kann einfach Leute auf der Straße ansprechen und so Deutsch lernen. Aber das stimmt nicht. Man muss etwas gemeinsam machen, wie Sport oder ehrenamtliche Arbeit.
Jetzt arbeite ich in Teilzeit in einem Architekturbüro und habe mein eigenes Fotostudio. Das war mein Traum.
Louai Abdul Fattah
Ich habe schnell Deutsch gelernt, eine Lehre als Bauzeichner gemacht und angefangen, zu fotografieren. Mein Vater hatte in Syrien drei Fotogeschäfte, das war mir vertraut. Jetzt arbeite ich in Teilzeit in einem Architekturbüro und habe mein eigenes Fotostudio. Das war mein Traum. Ich fotografiere Hochzeiten, Veranstaltungen, Häuser – eigentlich alles. Meine Eltern und Geschwister konnten nach einem Jahr per Familiennachzug zu uns kommen. Als ich erst ein paar Monate in Wien war, fuhr ein Polizeiauto an mir und meiner Schwester vorbei. Der Polizist hat uns den Mittelfinger gezeigt. Damals bin ich schnell weg, weil ich Angst hatte. Heute würde ich das bei der Polizei melden. In den letzten zwei Jahren hat sich die Stimmung gegenüber Syrern verschlechtert. Leider sind auch hier im Sonnwendviertel immer wieder Jugendliche aus Syrien, die viel Scheiße machen. Aber das heißt nicht, dass alle Kinder aus Syrien so sind. In Zukunft will ich mein Fotostudio vergrößern. Meine Geschwister arbeiten oder sind in Ausbildung, aber für meinen Vater ist es sehr schwierig, in Österreich anzukommen. Er ist Mitte 50 und spricht nicht gut Deutsch. Wenn ich genügend Aufträge habe, möchte ich ihn gerne bei mir anstellen.
„Auf Facebook habe ich gesehen, wie viele Freunde, die SPÖ- und Grünen-Anhänger waren, plötzlich FPÖ-Themen unterstützt haben.“
Meine Heimatstadt Homs wird auch „Hauptstadt der Revolution“ genannt. Ich habe die ersten Demonstrationen mitorganisiert. Zuerst war es friedlich, dann haben die Geheimdienste auf uns geschossen. Später hat Assad unsere Stadt belagert, und es gab immer weniger Essen. Nach vielen Monaten habe ich einen Abwasserkanal gefunden, und wir haben uns stundenlang durchgezwängt, bis wir aus der Stadt draußen waren. Das war der Beginn meiner Flucht.
Ich wollte eigentlich mit meiner Familie in Istanbul bleiben. 2015 sind aber viele weiter nach Europa gezogen. Meine Frau und ein enger Freund wollten auch losgehen. Sie haben mich überzeugt. Ich bin in eins der Schlauchboote eingestiegen, auf der Hälfte des Wegs ist es gekentert. Nur fünf haben überlebt. Im Oktober 2015 bin ich in Österreich angekommen, und alle Quartiere waren voll. Sie haben mich gefragt, ob ich wen kenne, und da meine Schwester seit 25 Jahren hier lebt, konnte ich bei ihr wohnen.
Meine Frau ist einen Monat später mit unseren beiden Töchtern losgefahren, auch über das Meer in einem Schlauchboot. Das war eine verrückte Idee, aber es erschien mir damals die einzige Lösung. Sie haben es geschafft und sind nach Österreich gekommen. Wir haben sehr schnell Asyl bekommen. Es gab damals sehr viele Menschen, die uns unterstützt und geholfen haben, eine Wohnung zu finden.
„Ich sehe die Übergangsregierung kritisch und habe deshalb wirklich viele Drohungen bekommen."
Abdulhkeem Alshater
über die derzeitige Lage
2016 sind wir dann in die Seestadt gezogen und wohnen bis heute hier. Ich habe in Syrien als Friseur gearbeitet und hatte später eine Maler-Firma. In Österreich habe ich kurz in einer Saftfabrik, dann als Friseur und Malerassistent gearbeitet. Ich wollte nicht nur Assistent bleiben und habe einen Lehrabschluss nachgeholt. Das war ziemlich schwierig, aber ich habe es geschafft und arbeite jetzt bei der Stadt Wien.
Nach 2020 hat sich die Stimmung verändert. Zuerst kam die Coronapandemie, und dann haben manche Menschen, die erst später aus Syrien gekommen sind, so viele Probleme gemacht. Messerstechereien, Drogen und der Terroranschlag haben die Einstellung der Bevölkerung verändert. Auf Facebook habe ich gesehen, wie viele Freunde, die SPÖ- und Grünen-Anhänger waren, plötzlich FPÖ-Themen unterstützt haben.
Vor zwei Jahren habe ich den Verein „Freie syrische Gemeinde“ gegründet. Wir haben beim Hochwasser geholfen und die Demonstration nach Assads Sturz organisiert. Diesen Sommer wollte ich nach Syrien fahren, habe es aber dann doch nicht gemacht. Ich sehe die Übergangsregierung kritisch und habe deshalb wirklich viele Drohungen bekommen. Ein Bekannter von mir aus Deutschland ist hingefahren. Die Sicherheitskräfte haben ihn verhaftet, nach 20 Tagen freigelassen, und drei Tage später war er tot.