Wiens Sozialstadtrat Peter Hacker (SPÖ) bei einem Interview mit profil in seinem Büro in Wien
© Alexandra Unger
Wiens Sozialstadtrat Peter Hacker (SPÖ) bei einem Interview mit profil in seinem Büro in Wien
Kein Mittagessen für Obdachlose, Herr Hacker? „Das ist Propaganda“
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Herr Hacker, Sie sagten einmal, die sozialdemokratische Handschrift erkenne man bei den Armen. Nun müssen Sie bei diesen sparen. Können Sie noch eine sozialdemokratische Handschrift erkennen?
Peter Hacker
Ja. Wien ist nach wie vor das Bundesland, das ein Drittel seines Budgets für Soziales und Gesundheit ausgibt. Wir haben schmerzhafte Kürzungen gemacht. Gibt es eine Maßnahme, wo ich sage: Ist das cool, zu kürzen? Nein, keine einzige. Aber wir haben auch viele andere Maßnahmen dadurch erhalten können.
Wir werden nicht akzeptieren, dass Menschen im Winter erfrieren.
Peter Hacker
Was ist für Sie trotz Sparvorgaben unantastbar?
Hacker
Unantastbar ist die Versorgung mit Pflegeleistungen. Unantastbar ist die Versorgung für 13.000 Obdachlose in unserem Gesamtsystem. Unantastbar ist, dass es ein Winterpaket gibt. Wir werden nicht akzeptieren, dass Menschen im Winter erfrieren.
Bei allem Respekt, das ist Propaganda.
Peter Hacker
Aber dass sie kein warmes Essen bekommen? Es wird kein warmes Mittagessen in Winter-Notquartieren für Obdachlose geben.
Hacker
Bei allem Respekt, das ist Propaganda. Wir haben im Winterpaket 1000 zusätzliche Plätze zu den ganzjährigen Angeboten.
Dass die warmen Mahlzeiten des Winterpakets gestrichen werden, ist Fake News?
Hacker
Ja. Es soll wieder, wie vor der Pandemie, eine Nachtbetreuung und eine Tagesbetreuung geben. Und in der Tagesbetreuung gibt es immer warmes Mittagessen.
Es wird gleich viele Mahlzeiten geben?
Hacker
Es gibt keine Kürzung der Mahlzeiten. Es gibt nur eine Kürzung der Ausgabestellen. Wie viele Mahlzeiten das sind, sehen wir dann am Ende des Winterpakets.
Wie viel sparen Sie 2026 im Sozial- und Gesundheitsbereich ein?
Hacker
Wir haben bei den Kernleistungen in der Sozialhilfe und der Gesundheitsversorgung kein Minus im Budget, bei manchen Bereichen sogar ein leichtes Plus, zum Beispiel beim FSW. Das gleicht allerdings nicht die Inflation aus. Konkret sparen wir etwa bei der Mindestsicherung rund 200 Millionen.
Peter Hacker in seinem Büro im Wiener Rathaus
© Alexandra Unger
Peter Hacker in seinem Büro im Wiener Rathaus
„Es gibt keine Kürzung der Mahlzeiten. Es gibt nur eine Kürzung der Ausgabestellen.“
Peter Hacker
Kann Wien sich das Sozialwesen nicht mehr leisten?
Hacker
Wien kann es sich nicht mehr leisten, seine Leistungen unreflektiert auszubauen, während sich andere Verantwortungsträger weiterhin entspannt zurücklehnen.
Hat Wien bisher unreflektiert Geld aus dem Fenster geschmissen?
Hacker
Wir finanzieren ständig Leistungen, für die andere, die Krankenkassen, das AMS oder der Integrationsfonds, zuständig sind. Das können wir uns in dieser Form nicht mehr leisten.
„Wien kann es sich nicht mehr leisten, seine Leistungen unreflektiert auszubauen, während sich andere Verantwortungsträger weiterhin entspannt zurücklehnen.“
Peter Hacker
Subsidiär Schutzberechtigte, also Personen ohne Asylstatus, aber mit Aufenthaltsberechtigung, müssen in Wien ab dem nächsten Jahr mit rund 400 Euro statt 1200 Euro pro Monat auskommen. Haben Sie Sorgen, dass diese Menschen sich die Miete nicht mehr leisten können?
Hacker
Ich habe keine großen Sorgen, aber wir beobachten es mit großer Aufmerksamkeit. Sollte es notwendig sein, wird es Maßnahmen geben.
Wie wird die Stadt darauf reagieren, dass subsidiär Schutzberechtigte sich ihr Leben nicht mehr leisten können?
Hacker
Ich rechne damit, dass es rasche Reaktionen in der Grundversorgung gibt, weil europarechtliche Vorgaben ohnedies zu Veränderungen auf Bundesebene führen müssen.
Sollte es notwendig sein, wird es Maßnahmen geben.
Peter Hacker
Die meisten Familien mit subsidiär Schutzberechtigten sind in Wien. Das ist Ihre Stadt.
Hacker
Familien sind eine Minderheit bei den betroffenen Personen. Es sind überwiegend alleinstehende Personen.
Jeder vierte subsidiär Schutzberechtigte in Wien ist ein Kind.
Hacker
Wir müssen schauen, dass wir die Arbeitsfähigen in Beschäftigung bringen. Das hilft auch deren Kindern.
Wird es organisierte Quartiere für diese Menschen geben?
Hacker
Wenn es notwendig ist, ja.
Sie haben die Sozialausgaben der Stadt stets damit argumentiert, dass sonst noch größere Armut und steigende Kriminalität drohen. Droht das jetzt?
Hacker
Nein, glaube ich nicht. Ich bin überzeugt davon, dass die Bundesregierung reagieren muss. Dazu gibt es klare Vorhaben im Bundesregierungsprogramm.
Ob Armut und Kriminalität in Wien steigen, liegt jetzt in den Händen der Bundesregierung?
„Der Bundesregierung bleibt gar nichts anderes übrig, als in der Frage der subsidiär Schutzberechtigten zu handeln.“
Peter Hacker
© Alexandra Unger
„Der Bundesregierung bleibt gar nichts anderes übrig, als in der Frage der subsidiär Schutzberechtigten zu handeln.“
Peter Hacker
„Der Bundesregierung bleibt gar nichts anderes übrig, als in der Frage der subsidiär Schutzberechtigten zu handeln.“
Peter Hacker
Hacker
Definitiv.
Wenn der Bund nicht gegensteuert, wird Wien ärmer und unsicherer?
Hacker
Der Bundesregierung bleibt gar nichts anderes übrig, als in der Frage der subsidiär Schutzberechtigten zu handeln. Die vorherige Bundesregierung hat der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems zugestimmt. Daher hat die Regierung diese Reform jetzt umzusetzen.
Können Sie ausschließen, dass die Stadt unsicherer und die Armut sichtbarer wird?
Hacker
Ich bin mir ziemlich sicher, dass da im Augenblick mehr Fantasien existieren, als dann tatsächlich stattfindet.
Wien schließt auch das letzte Erstaufnahmezentrum für Ukrainer. Wo werden diese ab 2026 hingehen?
Hacker
Auch hier ist der Innenminister zuständig.
Werden die Ukrainer dann von der Wiener Obdachlosenhilfe versorgt?
Hacker
Ich gehe davon aus, dass der Innenminister schon Vorkehrungen getroffen hat.
Sie lassen es also darauf ankommen, dass Familien auf der Straße sitzen?
Hacker
Nein. Der Innenminister ist zuständig.
Der hat sich bisher nicht darum gekümmert.
Hacker
Dann gehe ich davon aus, dass er das jetzt ändern muss.
Peter Hacker hängt seine Weste an einen Kleiderständer in seinem Büro in Wien auf
© Alexandra Unger
Peter Hacker hängt seine Weste an einen Kleiderständer in seinem Büro in Wien auf
„Wir können nicht auf der einen Seite öffentlich diskutieren, die komplizierte föderale Struktur des Landes ist ein Problem, aber wenn dann der Bund verantwortlich ist, finden wir das auch nicht gut.“
Peter Hacker
Der Fonds Soziales Wien (FSW) hat Adressen verschickt, an denen die Ukrainer in Zukunft Hilfe bekommen sollen. Nur waren es falsche Adressen, etwa des Erstaufnahmezentrums in Traiskirchen. Dort wurden noch nie Ukrainer versorgt. Wien stemmt den Großteil der Ukraine-Hilfe, aber derlei Aktionen wirken verzweifelt.
Hacker
Nein. Wir können nicht auf der einen Seite öffentlich diskutieren, die komplizierte föderale Struktur des Landes ist ein Problem, aber wenn dann der Bund verantwortlich ist, finden wir das auch nicht gut. Der Bund hat mit der Bundesbetreuungsagentur die größte Flüchtlingseinrichtung der Republik. Der Geschäftsführer dort hat einen Job. Und den hat er zu erledigen.
Nicht nur bei Geflüchteten wird gespart. Dauerbezieher der Mindestsicherung könnten laut den Grünen bis zu 3000 Euro weniger pro Jahr erhalten.
Hacker
Ich sage nicht, dass das niemand spüren wird. Ich sage auch nicht, ich fände das alles cool und lässig. Ich sage nur, dass auch mein Sektor einen Beitrag leisten musste angesichts der tragischen Hinterlassenschaft der letzten Bundesregierung. Und da finde ich die Reflexionsunfähigkeit der Grünen schon bemerkenswert.
Für das Wiener Budget ist primär die Stadt verantwortlich. Sie plant, im nächsten Jahr 2,6 Milliarden Euro neue Schulden zu machen.
Hacker
Ja, eh. Und ich bin froh, dass unsere Finanzstadträtin das ermöglicht. Sonst hätte ich noch viel schärfer kürzen müssen.
Viele im Sozialbereich sagen, der Hacker ist kein Böser, der würde nur umsetzen, was Bürgermeister und Finanzstadträtin fordern. Wie viel konnten Sie selbst entscheiden?
Hacker
War es möglich, als Mitglied der Stadtregierung zu sagen, ich bin außen vor? Nein, das war undenkbar. Aber wir sind ein gemeinsames Team, wir haben unsere Entscheidungen gemeinsam getroffen.
War es möglich, als Mitglied der Stadtregierung zu sagen, ich bin außen vor? Nein, das war undenkbar.
Peter Hacker
Es gibt auch Kürzungen im Bereich der Suchthilfe. Sie selbst waren in den 1990er-Jahren viel gepriesener Drogenkoordinator. Was würde der Drogenkoordinator Hacker über den Spar-Stadtrat Hacker sagen?
Hacker
Dass das alles nicht witzig ist. Alles nicht sympathisch. Aber dass es jetzt die Aufgabe als Stadtrat ist, auch das große Ganze zu sehen.
Welche Botschaft senden Sie damit an Suchtkranke?
Hacker
Dass wir in allen zentralen Leistungen unverändert gute Qualität anbieten werden. Wir werden in der Therapie keine Einschnitte machen. Aber bei Leistungen, für die eigentlich andere Träger verantwortlich sind, werden wir genauer hinschauen.
Peter Hacker in seinem Büro in Wien mit einer Tasse Kaffee
© Alexandra Unger
Peter Hacker in seinem Büro in Wien mit einer Tasse Kaffee
Wird die Stadt das, was sie nun kürzt, wiederherstellen?
Hacker
Ich verspreche, dass ich wirklich kämpfe. Und ich bin froh, dass ich eine Finanzstadträtin habe, die mit mir kämpft.
Als Sportstadtrat haben Sie heuer das Fußballstadion der Austria um rund 40 Millionen Euro gekauft. Was ist der SPÖ mehr wert? Sozialleistungen oder Stadien?
Ich verspreche, dass ich wirklich kämpfe. Und ich bin froh, dass ich eine Finanzstadträtin habe, die mit mir kämpft.
Peter Hacker
Hacker
Das ist nicht vergleichbar.
Es geht in beiden Fällen ums Geld.
Hacker
Wir müssen differenzierter mit Geld umgehen. Es ist ein langfristiges Interesse der Stadt, dass diese Infrastruktur nicht in die Hände von Investoren kommt, die damit machen können, was sie wollen. Diese Entscheidung geht weit über die Frage des nächsten Budgets hinaus. Wenn die Infrastruktur einmal verkauft ist, ist sie weg. Für immer.
Als die Suchtklinik Anton-Proksch-Institut (API) von einem Private-Equity-Fonds gekauft wurde, ist die Stadt auch nicht eingesprungen.
Hacker
Das API ist eigentlich eine Reha-Einrichtung. Dafür wären die Pensions- und Krankenversicherungen zuständig. Warum es gerade hier einige Gewerkschafter anders sehen, kann ich nicht nachvollziehen. Daher halte ich den Vergleich mit dem Austria-Stadion für unzulässig.
Wie stark sparen Sie in der Struktur Ihres Ressorts? Der Fonds Soziales Wien etwa hat 2700 Bedienstete. Gibt es hier Doppelgleisigkeiten?
Hacker
Es gibt einen klaren Auftrag an alle meine Organisationseinheiten, dass alle Prozesse, Abläufe und Strukturen zu hinterfragen sind.
Gibt es eine Zahl, wie viel Sie in der Verwaltung sparen werden?
Hacker
Nein. So was kannst du dir nicht einfach aus den Fingern saugen. Aber es findet statt.
Es gibt auch kein Einsparungsziel wie etwa in den Bundesministerien?
Hacker
Wir haben ein Einsparungsziel in der gesamten Personalpolitik der Stadt: Es wird nur mehr jeder zweite Dienstposten besetzt. Das gilt natürlich auch in meinem Bereich.
Trotz aller Sparmaßnahmen macht Wien Milliarden an neuen Schulden. Bleibt das jährliche Minus, müssen Sie in den nächsten Jahren weiter sparen. Geht das, ohne das Wiener Sozialwesen zu zerstören?
Peter Hacker in seinem Büro im Wiener Rathaus
© Alexandra Unger
Peter Hacker in seinem Büro im Wiener Rathaus
„Der Bund kann nicht weiter zuschauen, wie Länder und Gemeinden untergehen.“
Hacker
Wir erwarten uns Gespräche mit dem Bund und Entscheidungen über einen fairen Finanzausgleich. Der Bund kann nicht weiter zuschauen, wie Länder und Gemeinden untergehen. Schon jetzt kann die Hälfte der Gemeinden nicht mehr ihre Aufgaben erfüllen.
Sie hoffen, dass der Bund für Wien um 2,6 Milliarden Euro pro Jahr einspringt?
Hacker
Hoffen tu ich gar nicht. Hoffen ist ein schlechtes Managementprinzip. Aber ich erwarte mir faire Lösungen, deshalb führen wir Gespräche.
Sie erwarten, dass der Bund in Höhe von 2,6 Milliarden Euro einspringt?
Hacker
Ich gehe davon aus, dass es im Bund Konsolidierungsmaßnahmen geben wird, die Rücksicht auf den Bedarf der Länder und Gemeinden nehmen. Es kann nicht sein, dass der Bund uns mitteilt, er konsolidiert jetzt ganz brav, und in Wirklichkeit schiebt er uns permanent die Aufgaben zu. Und dann macht der Bund auch noch die Länder für sein Defizit verantwortlich. Das Defizit des Bundes hat der Bund sich schon selbst eingebrockt.
Wir reden über das Wiener Defizit.
Hacker
Ich auch.
Sie schreiben das Wiener Defizit dem Bund zu?
Hacker
Entschuldigung: Wir hatten entgegen allen Vereinbarungen aus dem Finanzausgleich Entscheidungen auf Bundesebene durch vorherige Regierungen, die sich direkt negativ auf die Finanzen der Gemeinden und Länder ausgewirkt haben. Und da erwarten wir uns eine Kompensation.
Waren die Kürzungen, die Sie jetzt beschließen müssen, erst der Anfang?
Hacker
Nein, ich gehe davon aus, dass es uns hilft, wirklich zu stabilisieren. Wir müssen uns nach den Rahmenbedingungen richten. Ja, ich halte es für richtig, dass auch mein Sektor dazu beiträgt, den städtischen Haushalt unter Kontrolle zu halten. Und ja, ich kritisiere die Maastricht-Kriterien.
Peter Hacker in seinem Büro im Wiener Rathaus
© Alexandra Unger
Peter Hacker in seinem Büro im Wiener Rathaus
„Die Maastricht-Kriterien sind neoliberale Modelle, die in die Mottenkiste gehören. Ich erwarte mir, dass unser Bundeskanzler und unser Finanzminister das in Brüssel unmissverständlich klar machen.“
Peter Hacker
Inwiefern?
Hacker
Die Maastricht-Kriterien sind neoliberale Modelle, die in die Mottenkiste gehören. Ich erwarte mir, dass unser Bundeskanzler und unser Finanzminister das in Brüssel unmissverständlich klar machen. Wieso akzeptieren wir, dass Rüstungsausgaben aus den Maastricht-Kriterien ausgenommen sind, aber die Investitionen in Spitäler und Schulen nicht? Das ist idiotisch. Das macht man nur, wenn man will, dass sich der öffentliche Sektor zurückzieht. Das wird es mit der Sozialdemokratie in Wien nicht geben. Wir werden die Spitäler und Schulen nicht privatisieren. Ganz sicher nicht.
Stehen die Fonds und Auslagerungen der Stadt, die in Ihrer Verantwortung liegen, auf finanziell gesunden Beinen? Oder muss aus dem Budget ausgeholfen werden?
Hacker
Vermutlich hat der Fonds Soziales Wien heuer einen negativen Abschluss. Das stört mich aber nicht.
Gibt es unter den Auslagerungen und Fonds in Ihrem Bereich Sorgenkinder?
Hacker
Im Augenblick ist die Gesamtsituation ein einziges Sorgenkind. Es sind alle stabil und gut aufgestellt. Wir werden aber noch genauer analysieren und darauf schauen, für welche Leistungen die anderen zuständig sind, und diese Leistungen der anderen auch einfordern. Hier wird Wien sicher für viele Systempartner unangenehmer.
Nina Brnada
ist Redakteurin im Österreich-Ressort. Davor Falter Wochenzeitung.
Max Miller
ist seit Mai 2023 Innenpolitik-Redakteur bei profil. Schaut aufs große Ganze, kritzelt gerne und mag Grafiken. War zuvor bei der „Kleinen Zeitung“.