Drei Ärzt:innen an einem OP-Tisch, im Hintergrund ein Screenshot "Rekonstruktion des Jungfernhäutchens
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Klinik in Wien: 1500 Euro für falsche Jungfräulichkeit

Mehrere private Frauenkliniken in Österreich bieten Operationen zur Fälschung der weiblichen Jungfräulichkeit an. Obwohl der Eingriff teuer ist, gibt es ausreichend Nachfrage. Wer sind die Frauen und was sagen Fachleute dazu?

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Mit falschem Vorwand und unsicherer Stimme ruft profil bei einer Privatklinik für Frauenmedizin an: Aufgrund einer baldigen Hochzeit werde dringend eine Hymenrekonstruktion gebraucht – eine Operation, um die Jungfräulichkeit wiederherzustellen. Mit routinierter Art beantwortet eine freundliche Frauenstimme die Fragen – ein Gespräch, das sie wohl öfter mit jungen Frauen in Österreich führt.

Der Eingriff und der damit zusammenhänge Jungfräulichkeitszwang mancher Kulturen und Gesellschaftskreise spiegelt eine konservative, patriarchale und frauenfeindliche Gesellschaftsstruktur wider.

Mirijam Hall

Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Familienplanung

Bis heute ist weibliche Jungfräulichkeit in manchen Kulturen eine Voraussetzung für eine Heirat. Die Jungfräulichkeit wird mit dem Wert einer Frau verbunden, erklärt Mirijam Hall, Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Familienplanung, kurz ÖGF. Als Folge dieser traditionellen Werte gibt es Produkte wie Blutkapseln oder Membranen, etwa von der deutschen Marke Virginia-Care, sowie operative Eingriffe, die als Hymenrekonstruktion bezeichnet werden. Hall macht deutlich: „Der Eingriff und der damit zusammenhänge Jungfräulichkeitszwang mancher Kulturen und Gesellschaftskreise spiegelt eine konservative, patriarchale und frauenfeindliche Gesellschaftsstruktur wider.“

Religion – von streng praktiziertem Katholizismus bis zum Islam sowie die damit verbundene Werte – ist oft der ausschlaggebene Grund für eine Hymenrekonstuktion. „Meistens lassen Frauen mit kulturellem Hintergrund aus dem arabischen oder südeuropäischen Raum den Eingriff durchführen“, so Hall, „Die Frauen stehen unter Druck, nur erfolgreich verpartnert oder verheiratet zu werden, wenn sie ‘unbefleckt’ sind.“

Aufgrund der gesellschaftlichen Erwartung der weiblichen Jungfräulichkeit besteht zudem eine große Nachfrage nach Jungfräulichkeitstests. Auch Mirijam Hall, die neben ihrer Funktion in der ÖGF als Gynäkologin arbeitet, wird gelegentlich mit solchen Wünschen konfrontiert. In solchen Fällen stellt sie für gewöhnlich eine Bestätigung der Jungfräulichkeit aus: „Sonst bringt man Mädchen oder Frauen in unangenehme oder gefährliche Situationen“, erklärt Hall. 

Stabile Nachfrage nach operativer Jungfräulichkeit

Klaus Schrögendorfer, Facharzt für Plastische Chirurgie in Wien, führte im Jahr drei bis vier Hymenrekonstruktionen durch, bevor er 2018 als Abteilungsleiter des Universitätsklinikums St. Pölten keine Zeit mehr dafür hatte. Trotzdem bekommt er bis heute zehn bis zwölf Anfragen pro Jahr. „Die Operation dauert in der Regel etwa eine Stunde. Man kann sie in zwei Varianten durchführen – je nachdem, wie viel Gewebe noch vorhanden ist.“, erklärt Schrögendorfer.

In der Wiener Privatklinik ist eine Hymenrekonstruktion hingegen ein regelmäßiger Eingriff, erklärt die Frau am Telefon: „Zwei bis drei mal im Monat führen wir den Eingriff auf jeden Fall durch.“ 

Eine Hymenrekonstruktion

Bei der einfacheren Variante nutzen Ärzt:innen noch vorhandene Reste des Hymens, sogenannte rudimentäre Anteile. Diese werden behutsam zusammengenäht, um die ursprüngliche Struktur wiederherzustellen. Fehlen ausreichend Hymenreste, greift der Chirurg zu einer aufwendigeren Technik. Dabei werden kleine, durchblutete Gewebelappen aus der Scheidenschleimhaut gelöst und zu einem neuen Hymen vernäht. Beide Verfahren seien minimalinvasiv, betont der Facharzt. 

Eine Woche oder sechs? Uneinigkeit bei der Heilungsdauer

Nach der Operation dauere die Heilungsphase in der Regel fünf bis sechs Wochen. Die Nahtmaterialien lösen sich selbständig auf, doch das Gewebe brauche Zeit, um stabil zu verheilen. „Man darf nicht vergessen, dass die Narbe nie die volle Reißfestigkeit normalen Gewebes erreicht, sie wird aber über Monate hinweg stärker.“, erläutert der Experte.

Die Heilungsphase nach einer Hymenrekonstruktion in der Wiener Privatklinik betrage nur eine Woche, zumindest wird das in dem Telefonat versichert. Nach der einwöchigen Schonung wäre alles verheilt, dann ist auch eine Nachkontrolle möglich, die kostet noch einmal 65 Euro. 

Grundsätzlich sei die Operation sehr sicher, erklärt Schrögendorfer. Wie bei jedem chirurgischen Eingriff kann es aber auch hier zu Komplikationen kommen. „Das Risiko für Infekt, Nachblutung, Blutheilungsstörungen ist sehr überschaubar, fünf bis maximal 10 Prozent.“ Der Eingriff findet vertraulich statt. Alle Ärzt:innen sind zur Verschwiegenheit verpflichtet, betont der Chirurg. „Wenn eine Familie bei mir angerufen hat und gefragt hat, ob ihre Tochter bei mir Patientin ist, haben sie nicht eine Information bekommen.“

Am Telefon wird profil von der Gesprächspartnerin der Privatklinik erklärt, dass eine OP mit Sicherheit erfolgreich verlaufen und mein Hymen wiederhergestellt werden würde. Die Privatklinik würde meine Daten intern speichern, trotzdem würde alles anonym verlaufen und keine Daten an Dritte weitergegeben werden. 

Operation ist keine Kassenleistung

Intimchirurgin Maria Riedhart-Huter führt auch heute noch Hymenrekonstruktionen durch. Die Zahl der Eingriffe in ihrer Tiroler Praxis ist klein, aber seit Jahren stabil, erzählt sie. „Es ist ein Nischenthema, das aber für die Betroffenen enorme Bedeutung hat.“ In ihrer Praxis kostet der Eingriff etwa 1500 Euro. Die Krankenkasse zahlt nicht. Außer: „In seltenen Ausnahmefällen – etwa nach dokumentierten Missbrauch – kann es Diskussionen geben, aber das ist die Ausnahme“, erklärt sie. Die Intimchirurgin weist aber alle Patientinnen vor dem Eingriff darauf hin, dass es keine Blutungssicherheit gibt. „Eine Blutung kann nicht garantiert werden – weder nach einer Operation noch ohne sie. Medizinisch ist bekannt, dass bei vielen Frauen keine Blutung auftritt.“

Mir ist wichtig, dass die Entscheidung von der Frau selbst ausgeht. Ich lehne ab, wenn ich den Eindruck habe, dass eine Patientin nicht frei entscheiden kann.

Maria Riedhart-Huter

Intimchirurgin in Tirol

Die Preise in der Wiener Privatklinik ähneln denen der Tiroler Ordination. Ein verpflichtendes Vorgespräch mit einem der Ärzte würde 120 Euro kosten. Der Eingriff selbst, so die Frau im Telefonat, belaufe sich auf 1000 bis 1500 Euro.

Auch der Intimchirurgin ist die Gratwanderung bewusst, zwischen medizinischer Hilfe und dem Risiko, patriarchale Vorstellungen von Jungfräulichkeit zu bestätigen. Für sie steht aber die Selbstbestimmung im Fokus: „Mir ist wichtig, dass die Entscheidung von der Frau selbst ausgeht. Ich lehne ab, wenn ich den Eindruck habe, dass eine Patientin nicht frei entscheiden kann.“ Auch weiterhin will sie den Eingriff anbieten, weil sie Frauen in Not unterstützen will. „Von Frau zu Frau weiß ich, wie belastend solche Situationen sein können. Es geht mir darum, Sicherheit zu geben, nicht zu urteilen.“

Mirijam Hall, die Präsidentin der ÖGF, beurteilt den Eingriff kritisch: Das Hymnen habe in dem Alter keine medizinische Funktion, ein Eingriff führe nur zu potenziellen Schmerzen während des Geschlechtsverkehrs. Außerdem sei der Eingriff und die Erwartung der weiblichen Jungfräuchlichkeit an patriarchale und konsvervative Normen geknüpft. Dennoch sei ein Verbot nicht die richtige Lösung, meint Hall: „Wichtiger wäre eine ordentliche Aufklärung von Männern und Frauen. Zudem müsse man Frauen bei der aktiven Gleichstellung unterstützen.“

Blutkapsel statt Nadel und Faden

Wer nicht genug Geld für einen operativen Eingriff hat oder auf solch eine invasive Maßnahme verzichten möchte, hat auch andere Möglichkeiten. Die deutsche Firma Virginia Care zum Beispiel bietet Blutkapseln und künstliche Membrane an, mit denen Frauen ihre Jungfräulichkeit ‘vortäuschen’ können – ganz ohne Operation. Die Blutkapseln und die künstliche Membran fälschen eine Blutung während des ‘ersten’ Geschlechtsverkehrs – die Jungfräulichkeit gilt als bewiesen. Für das Komplettpaket bezahlen Kundinnen 148 Euro, ein anderer Shop verkauft ein ähnliches Set für 89,95 US-Dollar – beides nur ein Bruchteil der Operationskosten. Das Angebot ist beliebt, dieses Bild erweckt zumindest die vielen Bewertungen auf deren Website. „Ich habe es still für mich genutzt – niemand hat etwas erahnt. Ich habe dadurch meine Würde behalten.“, meint eine Kundin. 

Virginia Care betont, dass ihr Angebot aus einer medizinisch-praktischen Perspektive zu verstehen ist: Es ermöglicht Frauen, selbstbestimmt und diskret mit diesem Thema umzugehen. „Die Entscheidung für den Gebrauch liegt immer bei der einzelnen Frau.“ Die Produkte werden weltweit in über 60 Ländern verkauft, darunter auch in Österreich. Konkrete Zahlen will man auf Nachfrage nicht nennen. „Österreich gehört für uns zu den etablierten europäischen Absatzmärkten“, heißt es auf der Website der Firma.

Während des Telefonats mit der Wiener Privatklinik bietet die Frau das Beratungsgespräch für 120 Euro an. profil lehnt dankend ab.

Simon Doering

war Volontär bei profil.

Hanna Kastner

Hanna Kastner

ist seit Juli 2025 Volontärin bei profil.