Figl übernimmt damit eine der undankbarsten Funktionen des Landes. Bei der Gemeinderatswahl am 27. April wurde die ÖVP auf 9,65 Prozent dezimiert, Obmann und Spitzenkandidat Karl Mahrer trat zurück. Warum tut sich Figl das an? „Wahrscheinlich mag ich Herausforderungen. Aber ich sehe darin auch eine große Chance“, sagt er vergangene Woche zu profil.
Nonsens-Lösung
Auf das Desaster reagierte die ÖVP– wider jede Ratio – mit einer Fraktionierung. Bei der Präsidiumssitzung am Tag nach der Wahl ritterte neben Figl auch der Bezirksvorsteher von Döbling, Daniel Resch, 41, um die Obmannschaft. Hinter Resch steht der Wirtschaftsbund um seinen mächtigen Wirtschaftskammer-Präsidenten Walter Ruck; hinter Figl der gescheiterte Karl Mahrer und ÖVP-Generalsekretär Nico Marchetti, dem Ambitionen nachgesagt werden, dereinst selbst Wiener ÖVP-Obmann zu werden. Die Auseinandersetzung endete nach einer Kampfabstimmung in einem Nonsens-Kompromiss. Der Parteivorsitz ging an Figl, Resch sollte Vizebürgermeister werden, falls SPÖ-Chef Michael Ludwig die ÖVP in eine Koalition holen würde. Der Bürgermeister machte lieber mit den Neos weiter. Der Konflikt zwischen Figl-Lager und Resch-Anhängern brodelt weiter.
Der neue Wiener ÖVP-Obmann zählt zum Parteihochadel. Sein Großonkel Leopold Figl – Bundeskanzler, Außenminister, Unterzeichner des Staatsvertrags am 15. Mai 1955 – ist ein schwarzer Säulenheiliger. Öfter als auf seinen Nachnamen werde er aber auf seine Größe angesprochen, sagt der Zwei-Meter-Mann.
Bürgerlicher als Figl geht es eigentlich kaum: Jurist und Politologe, vier Kinder, gebildet, gewandtes Auftreten, seit Teenager-Jahren ÖVP-Mitglied, Cartellbruder der Katholischen Verbindung „Norica“. Als Chef der Jungen ÖVP im 1. Bezirk bot er einst einem Grünschnabel namens Sebastian Kurz die erste politische Heimstätte. Im Dezember 2015 wurde Figl Bezirksvorsteher der Wiener Innenstadt. Wo sonst?
Figls Programm für den 1. Bezirk könnte man so umschreiben: aus einer Overtourism-Zone wieder ein Habitat für 16.000 Einwohner zu machen. Bedeutet: weniger Schanigärten im Sommer, weniger Punschstände im Winter, weniger Souvenirläden, weniger Autos im Zentrum. Figl ließ Bäume am Michaelerplatz pflanzen und setzte sich für Hufbeschläge aus Gummi für Fiaker-Pferde zur Schonung des Asphalts ein. Figl ist viel unterwegs, aber keine Bezirksvorsteherdüse, die durch die Grätzln fegt. Seinen Job erledigt er offenbar so gut, dass die Einwohner der Innenstadt ihn und die ÖVP bei den Bezirksvertretungswahlen 2020 und 2025 mit überzeugenden Mehrheiten wiederwählten.
Hausherren und der Tod
So gut Figl zu Kärntner Straße, Stephansdom, Sacher und Hofburg passt, so schwer fällt es, ihn sich am Viktor-Adler-Markt in Favoriten oder am Franz-Jonas-Platz in Floridsdorf vorstellen. „Ich habe schon immer über das Zentrum hinausdenken können“, sagt er. Und er fühle sich immer noch als „Neulerchenfelder“, weil er in diesem Teil des 16. Bezirks aufgewachsen sei. Figl, ein Ottakringer! Hätte man auch nicht erwartet.
Will er nicht nur Übergangsparteiobmann sein, muss Figl bald in die Gänge kommen. Ob er als Spitzenkandidat der ÖVP in die nächste Wahl gehen werde? Figl, orakelhaft, zu profil: „Ich will die Probleme in Wien lösen und eine Zukunftsvision für die Stadt entwickeln und auch damit in die nächste Wahl gehen.“
Außerhalb des 1. Bezirks ist Figl noch unbekannt. Zur Abhilfe affichiert die ÖVP Plakate quer durch die Stadt. Allzu viele sind es nicht. Die Wahlniederlage bringt auch weniger Parteiförderung. Bezog die Wiener ÖVP 2024 noch 7,9 Millionen Euro, werden es 2026 nur mehr 3,9 Millionen sein.
Von allen Landesparteien ist die Wiener ÖVP die orientierungsloseste, oft mit sich selbst beschäftigt, auf der Suche nach der eigenen Identität. „In Wien ist genug Bedarf nach einer modernen bürgerlichen Politik“, sagt Figl. Am Landesparteitag will er „unseren Zukunftsprozess für meine Visionen für Wien präsentieren“ – so wie jeder Obmann vor ihm. Auch die Delegierten sind gespannt. Seitdem Figl Ende April geschäftsführender Obmann wurde, war nicht viel zu hören, schon gar nicht Kantiges. Immerhin kommentierte er die ewige Dominanz der SPÖ in Wien launig: „Es sind auch schon Hausherren gestorben.“ Momentan ist es die Wiener ÖVP, die um ihr politisches Überleben ringt.