Kanzler bleibt im Homeoffice
Der Krampf mit der Kammer weitete sich für die ÖVP vergangene Woche auch auf das Parlament aus. Am Mittwoch diskutierte der Nationalrat in einer Aktuellen Stunde zum von der FPÖ vorgegebenen, vorhersehbaren Thema: „Schluss mit der Zwangsfinanzierung gieriger ÖVP-Gagenkaiser durch Österreichs tüchtige Unternehmer!“ Auf Regierungsebene zeigte die ÖVP im Verbund mit ihren Koalitionspartnern SPÖ und Neos Hyperaktivität. Am Dienstag einigte sich die Dreierkoalition in der Ministerratssitzung auf ein neues Strommarktgesetz, ein Gesetz gegen die sogenannte Shrinkflation, ein Steuerbetrugspaket und einen Gesundheitsreformfonds im Ausmaß von 500 Millionen Euro.
Die Ministerratssitzungen werden von Bundeskanzler Stocker, der sich von einer Rückenoperation erholt, nach wie vor aus dem Homeoffice in seinem Haus in Wiener Neustadt geleitet. Für Beschlüsse übergibt Stocker den Vorsitz an Vizekanzler Andreas Babler, da für solche Anwesenheit erforderlich ist. Laut Angabe seines Büros gehe es Stocker gut. Ein Datum für dessen Rückkehr ins Kanzleramt (und damit, einmal pro Woche, auch in die ÖVP-Parteizentrale) wird noch nicht genannt.
Als ÖVP-Obmann hat Stocker hohes Interesse daran, dass die Führungsfrage im Wirtschaftsbund noch vor Weihnachten gelöst wird. In einer Sitzung des Wirtschaftsbundpräsidiums nächste Woche wird Harald Mahrer offiziell verabschiedet. Martha Schultz hat bereits ein Büro in der Mozartgasse bezogen.
Bei ihr laufen derzeit alle Fäden zusammen. In einer Sitzung von Spitzenvertretern des Wirtschaftsbundes stellte sie klar, die Sanierung der Teilorganisation rasch angehen zu wollen: „Ich wisst, dass ich sehr entscheidungsfreudig bin.“ Und sie könne, so Schultz, auch „gut zuhören“. Nicht wenige Funktionäre im Wirtschaftsbund hoffen, dass Schultz doch noch Gefallen an ihren neuen Jobs findet und fix im Amt bleibt. Doch davon ist kaum auszugehen. Schultz wird in ihrem Unternehmen gebraucht und lebt lieber im Zillertal als im fernen Wien.
Präsidenten-Trennung
Ein Neuanfang im Wirtschaftsbund, wie ihn Schultz ankündigt, ist zweifellos nötig, nicht nur aufgrund der Geschehnisse um Harald Mahrer. Bei den Wirtschaftskammer-Wahlen im März verlor der Wirtschaftsbund knapp acht Prozentpunkte, blieb aber mit 61,3 Prozent stärkste politische Kraft. Daher steht ihm der Posten des Wirtschaftskammer-Präsidenten zu. Über diesen wird das Präsidium des Wirtschaftsbundes entscheiden. Eine Variante wäre die Trennung der Funktionen, so wie es derzeit in Vorarlberg der Fall ist. Wirtschaftsbundobmann ist dort Marco Tittler, Wirtschaftslandesrat in der Vorarlberger Landesregierung. Präsident der Vorarlberger Wirtschaftskammer ist Karlheinz Kopf.
Kommt es zur Trennung, wäre Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer der logische Kandidat als Wirtschaftsbundpräsident. Allerdings birgt die Aufteilung der Funktionen viel Konfliktpotenzial, weshalb die Ämter wohl auch in Zukunft in Personalunion ausgeübt werden. Eine Entscheidung könnte früher als gedacht fallen. Als mögliche Kandidaten gelten der Vorarlberger Kammerpräsident Karlheinz Kopf, der steirische Unternehmer Philipp Gady und Oberösterreichs Kammerpräsidentin Doris Hummer.
Einst bestimmte der Wirtschaftsbund als mächtigste und finanziell stärkste Teilorganisation die Geschicke der ÖVP. Ging’s dem Wirtschaftsbund gut, ging’s der Volkspartei gut. Doch die glorreichen Zeiten sind vorbei. Wirtschaftsbund-Generalsekretäre waren fast automatisch zu Höherem und Höchstem berufen wie Wolfgang Schüssel (Bundesparteiobmann und Kanzler), Erhard Busek (Bundesparteiobmann und Vizekanzler), Reinhold Mitterlehner (Bundesparteiobmann und Vizekanzler), Karlheinz Kopf (Klubobmann und Zweiter Präsident des Nationalrates) und zuletzt Peter Haubner (Zweiter Präsident des Nationalrates).
Derzeit übt der steirische Nationalratsabgeordnete Kurt Egger die Funktion des Generalsekretärs aus. In den eigenen Reihen ist Egger nicht unumstritten. Der Wirtschaftsbund verstand sich stets als offene wirtschaftspolitische Vordenker-Organisation, unter Egger dient er eher als Kommunikations- und Marketingagentur. Mit Mahrers Abgang wird wohl auch Egger seinen Posten verlieren. Von der Usance, dass der jeweilige Wirtschaftsbund-Generalsekretär meist auch Abgeordneter ist, könnte man bei Eggers Nachfolge absehen, ist zu hören.
Im ÖVP-Machtgefüge büßte der Wirtschaftsbund Einfluss ein. Dort haben die Arbeitnehmer-Bündler das Sagen. Zum ÖAAB gehören Klubchef August Wöginger sowie die Landeshauptleute Johanna Mikl-Leitner (Niederösterreich) und Thomas Stelzer (Oberösterreich). Christian Stocker übt sich in Äquidistanz, er stammt ursprünglich aus dem ÖAAB, ist aber als Rechtsanwalt auch beim Wirtschaftsbund Mitglied.
Verlorenes Vertrauen
Gerade in Oberösterreich dürfte man die jetzige Affäre mit Sorge betrachten. ÖVP-Landesparteiobmann Thomas Stelzer muss die FPÖ fürchten. Zwar beschwichtigen schwarze Politiker in Linz: Die eigenen Daten würden zeigen, dass die ÖVP vor der FPÖ liege. In anderen Umfragen ist die FPÖ allerdings schon voran. Bei den Wahlen 2027 könnte Stelzer den Job des Landeshauptmanns verlieren – kein Wunder, dass dieser als einer der schärfsten Mahrer-Kritiker auftrat; wie auch Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner, die in St. Pölten ebenfalls mit einer immer stärker werdenden Landes-FPÖ rechnen muss.
Dass sich die Geschehnisse im Wirtschaftsbund auf die ÖVP negativ auswirken, wird dort nicht geleugnet. Generalsekretär Marchetti sagt gegenüber profil: „Da gibt es nichts schönzureden: Natürlich haben diese Ereignisse der ÖVP als Wirtschaftspartei schmerzhaft geschadet. Jetzt geht es darum, verlorenes Vertrauen wieder zurückzugewinnen. Mit Taten. Also Reformen in der Wirtschaftskammer und spürbaren Maßnahmen für die Wirtschaft in der Regierung.“
Bei der Wein-und-Maroni-Veranstaltung Dienstagabend sprach Martha Schultz den versammelten Wirtschaftsbündlern Mut zu. Auf das Fußballmatch mussten die Anwesenden nicht verzichten. Ein Fernsehapparat stand im Veranstaltungssaal bereit. Dank des Unentschiedens gegen Bosnien endete der Abend zumindest für die anwesenden Fußballfans unter den Wirtschaftsbundmitgliedern mit Glücksgefühlen.