Reportage

Der Tag, an dem Andreas Babler knapp nicht SPÖ-Parteichef wurde

Tränen, ein geteilter Saal und eine halbherzige Umarmung der beiden Kontrahenten: Im Linzer Design Center zeigte sich so deutlich wie nie, wo die Bruchlinien durch die SPÖ verlaufen. 

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Am Montag wurde bekannt, dass beim Auszählen der Stimmen am Parteitag die Namen vertauscht wurden. Nicht Hans Peter Doskozil hat die Wahl gewonnen, sondern Andreas Babler. Zur Nachvollziehbarkeit der Ereignisse bleiben die Artikel in der ursprünglichen Version auf profil.at.

Andreas Babler stand die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben, als die Leiterin der Wahlkommission das Ergebnis verlas. Seine wichtigste Mitstreiterin - seine Frau - warf ihm trotzdem einen stolzen Blick zu und Babler legte seinen Kopf an ihre Schulter. Da stand der Sieger bereits am Podium und ließ sich feiern.

Bereits zum zweiten Mal hatte Babler alle überrascht - wieder war der Underdog denkbar knapp an seinen Konkurrenten Hans Peter Doskozil herangekommen - dieser hatte nur 37 Delegiertenstimmen mehr. Junge Babler-Fans aus der Sozialistischen Jugend (SJ) waren nicht so beherrscht wie ihr Idol: Sie vergossen am Ende des Parteitags ein paar Tränen, weil der Sieg an Hans Peter Doskozil ging. 

Im Linzer Design Center unternahm die SPÖ am heutigen Samstag den Versuch, die Partei nach Monaten der Querschüsse und Konflikte zu einen. Der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil und der Traiskirchner Bürgermeister Andreas Babler hatten bei der Mitgliederbefragung mehr Stimmen als die scheidende Parteivorsitzende Pamela Rendi-Wagner erhalten - und traten nun am Parteitag zum entscheidenden Duell an. Auch wenn die Delegierten auf harsche Untergriffe verzichteten, wurde mehr als deutlich, wie tief der Riss ist, der durch die Partei geht.

Pflichtbewusster Applaus

Wie verhält man sich, wenn der eigene Mitstreiter spricht? Andreas Babler verschränkte die Arme, überschlug die Beine und schluckte seinen letzten Bissen Essen hinunter. Er verzog das Gesicht nicht, machte sich manchmal Notizen, hörte aber meistens betont aufmerksam zu. 

Indirekt sandte Babler dann trotzdem Signale: Zum Beispiel, als er schon nach 15 Minuten auf die Uhr schaute. Oder wenn er zwar meistens pflichtbewusst applaudierte, wenn die Menge klatschte, aber bei drei Passagen bewusst leise war: Als Doskozil über sein Pflegemodell im Burgenland sprach, als er seinen Mindestlohn propagierte und als er seine Frauenpolitik lobte. 

Manche klatschen gar nicht: Neben der Parteijugend, den Frauenvertreterinnen und der Gewerkschaft verwehrte vor allem die Wiener Delegation dem Burgenländer beinahe geschlossen den Applaus. Nicht alle aus Überzeugung: So mancher Wiener habe bei Babler geklatscht, danach im Geheimen aber Doskozil gewählt, erzählten Genossinnen und Genossen.

Bevor Babler dann selbst ans Rednerpult trat, schüttelte er Doskozil noch schnell die Hand. Dann holte er aus, beschwor die SPÖ als Partei der Träumer und appellierte emotional an die Basis, dass es jetzt an der Zeit sei, „mehr Sozialdemokratie zu wagen.“ Er setzte kaum ab, ballte die Fäuste in die Luft und redete, ohne auch nur den Applaus im Saal abzuwarten. 

Der brach - wenn Babler ihm Zeit gab - stets zuerst links vor der Bühne aus und war weitaus frenetischer als bei Hans Peter Doskozil. Links vor der Bühne ist nicht rein programmatisch: Dort saßen die Delegierten aus Wien, die Gewerkschaft und die Frauenorganisation. Rechts wiederum hatten die Tiroler und die oberösterreichischen Delegierten ihre Plätze. Aber auch hier wurde, wenngleich weniger einheitlich und euphorisch, für Andreas Babler applaudiert. 

Während Andreas Babler seine Rede begann, stand Jasmin Puchwein, Doskozils Pressesprecherin, am Vorplatz vor dem Design Center. Allerdings hörte man auch hier die Rede des Traiskirchner Bürgermeisters: Eine Handvoll Unterstützer:innen hat sich vor dem Design Center versammelt und übertrug den Livestream vom Parteitag über Boxen. Während die Delegierten eintrudelten, riefen sie ihnen vereinzelt zu: Babler wählen, die Dame!“ 

Standing Ovations für Pamela Rendi-Wagner

Wahlgekämpft wurde also bis zum Schluss, und das nicht nur vor dem Design Center, sondern auch in der Halle nach den Reden der beiden Kandidaten: Der Doskozil hat nur einmal Gewerkschaft gesagt, der Babler viel öfter, für ihn hat die Gewerkschaft eine ganz andere Bedeutung“, versuchte ein Wiener Gewerkschafter noch in letzter Minute Kollegen zu überzeugen. 

Der oberste rote Gewerkschafter, Josef Muchitsch, positionierte sich ganz bewusst nicht für oder gegen einen Kandidaten. Ihm war etwas anderes viel wichtiger: Wir haben ein schreckliches Bild abgegeben.“ Die zerstrittene SPÖ, mit Querschüssen gegen andere Lager, das habe ihm weh getan - und viele abgeschreckt. Jetzt müsse die SPÖ wieder geeint werden: Gemeinsam sind wir unschlagbar,“ so sprach Muchitsch am Parteitag. 

Wir haben ein schreckliches Bild abgegeben.

Josef Muchitsch

über die letzten Monate

Wer sich nach den Reden von Babler und Doskozil eine Schlammschlacht erwartet hatte, oder zumindest ein hartes Match ihrer Fans am Rednerpult, wurde also enttäuscht: Die Debatte verlief zwar engagiert, durchaus auch klar für einen der Kandidaten positioniert - aber ohne Untergriffe und persönliche Attacken.

Den lautesten Applaus bekam gleich zu Beginn Eva-Maria Holzleitner, die SPÖ-Frauenvorsitzende, die engagiert an der Seite von Pamela Rendi-Wagner gekämpft hatte. Holzleitner war selbst überrascht über den lauten Applaus - ob sie den Jubel als Auftrag verstand, in höhere Positionen in der Partei aufzusteigen, ließ sie offen: Ich fühle mich sehr wohl, da, wo ich bin.“

Sie war es dann, die nochmal der abtretenden ersten Frau an der Parteispitze, dankte - und mit ihr der Parteitagssaal mit Standing Ovations. “Wir sind doch keine ehrlose Partei", freute sich anschließend Nationalrats-Abgeordneter Christoph Matznetter über diesen späten Tribut für die glücklose Parteivorsitzende - um Hans Peter Doskozil ins Gewissen zu reden: Hans Peter, Du hast nicht recht. Wir brauchen Frauenquoten.“

I’m sexy and I know it

Insgesamt waren mehr als 30 Rednerinnen und Redner gemeldet, Doskozil und Babler verzichteten auch auf eine eigentlich vorgesehene Widerrede nach Abschluss der Delegiertenbeiträge.

Während die Delegierten im Anschluss zu den 24 im hinteren Teil der Event-Halle aufgebauten Wahlkabinen strömten, spielte eine Band Hit the Road Jack“, etwas später spielten sie eine Interpretation von I’m sexy and I know it“. 

Hans Peter Doskozil schritt flankiert von Nationalrat Max Lercher und Astrid Eisenkopf, die als eine mögliche Nachfolgerin im Burgenland gehandelt wird, zur Urne; Andreas Babler stellt sich zwei Reihen weiter mit seinem Reisepass in der Hand an. Kurz posierte er für die Kameras, den Zettel halb eingeworfen, dann ließ er ihn los und schlug noch einmal, wie zur Besiegelung, mit der flachen Hand auf die Urne. 

19 Kreuzerl mehr, und er hätte es tatsächlich geschafft. Während Doskozil also seinen Sieg feierte und ihm einer seiner wichtigsten Mitstreiter, Max Lercher, in die Arme fiel, seufzte man im Babler-Lager: „Knapp verloren ist auch verloren.“ 

Am Rande des Parteitags wurde eine Variante ventiliert, die die enttäuschten Babler-Fans trösten könnte: Doskozil als Kanzlerkandidat, Babler als Parteichef. Genau diese Arbeitsteilung hatten SPÖ-Granden beiden Kandidaten nach der Mitgliederbefragung vorgeschlagen - aber beide hatten das abgelehnt.

Iris Bonavida

Iris Bonavida

ist seit September 2022 als Innenpolitik-Redakteurin bei profil. Davor war sie bei der Tageszeitung "Die Presse" tätig.

Lena Leibetseder

Lena Leibetseder

ist seit 2020 im Online-Ressort bei profil und Teil des faktiv-Teams. Schreibt über Popkultur und Politik.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin

Max Miller

Max Miller

ist seit Mai 2023 Innenpolitik-Redakteur bei profil. Schaut aufs große Ganze, kritzelt gerne und chattet für den Newsletter Ballhausplatz. War zuvor bei der „Kleinen Zeitung“.

Jakob   Winter

Jakob Winter

ist Digitalchef bei profil und leitet den Faktencheck faktiv. Derzeit in Karenz.