Unschuldschein: Darf man Peter Pilz noch als Grapscher bezeichnen?

Unschuldschein: Darf man Peter Pilz noch als Grapscher bezeichnen?

Oder wurde ihm Unrecht getan? Und wann bekommt er ein Mandat? Antworten auf zentrale Fragen einer ungewöhnlichen Affäre.

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Im November 2017 berichteten profil und „Die Presse“ über Vorwürfe, Peter Pilz habe eine Mitarbeiterin des Grünen Parlamentsklubs sexuell belästigt. Durch Kommentare auf dem Online-Forum Twitter und Recherchen der Wochenzeitung „Falter“ wurden weitere Fälle publik. Pilz verzichtete daraufhin auf sein Nationalratsmandat. Vergangene Woche gab die Staatsanwaltschaft Innsbruck bekannt, ihr Ermittlungsverfahren eingestellt zu haben. Der Gründer der nach ihm benannten Partei erklärte daraufhin auf Facebook seine sofortige Einsatzbereitschaft: „Jetzt steht der Rückkehr nichts mehr im Weg.“ Ist es so? Wurde Peter Pilz öffentlich vorverurteilt? Und nun amtlich reingewaschen? Eine Einordnung.

Kommt die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen Peter Pilz einem „glatten Freispruch“ gleich?

Ja, allerdings ist es ein „Freispruch zweiter Klasse“. Das Verfahren wurde eingestellt, weil die beiden hauptbetroffenen Frauen ein solches nicht wollten. Sexuelle Belästigung nach Paragraf 218 (1a) des Strafgesetzbuches ist ein sogenanntes Ermächtigungsdelikt, bei dem die Behörden vor Ermittlungen die Zustimmung der jeweiligen Betroffenen einholen müssen. Weder die Angestellte des Grünen Klubs, die Pilz im Jahr 2015 verbale und körperliche Übergriffe vorwarf, noch eine Mitarbeiterin der Europäischen Volkspartei (EVP), die Pilz am Rande des Europäischen Forums Alpbach 2013 bedrängt haben soll, erteilten diese Ermächtigung. Allerdings wäre es wohl auch bei einer Ermächtigung nicht zu einer Anklage gekommen. Im Falle der EVP-Mitarbeiterin wäre eine mögliche sexuelle Belästigung bereits verjährt. Und die Anwältin der Klubmitarbeiterin hatte bereits früher mitteilen lassen, dass die Vorfälle ihrer Ansicht „kein strafrechtliches Substrat“ hätten.

Wie schwer die Definition einer strafrechtlich relevanten Belästigung sein kann, zeigten vor drei Jahren die intensiven Debatten um die Verschärfung des Paragrafen 218 des Strafgesetzbuches. Seit Jahresbeginn 2016 drohen bis zu sechs Monate unbedingte oder ein Jahr bedingte Freiheitsstrafe, wenn jemand „eine andere Person durch eine intensive Berührung einer der Geschlechtssphäre zuzuordnenden Körperstelle in ihrer Würde verletzt“. Damit wurde auch das bis dahin gerichtlich nicht geahndete „Pograpschen“ vom „Kavaliersdelikt“ zur Straftat.

Darf man Peter Pilz dann noch als „Grapscher“ bezeichnen?

Der wahrheitswidrige Vorwurf einer strafbaren Handlung ist selbst strafbar. Und Fakt ist: Pilz wird nicht wegen sexueller Belästigung angeklagt. Dass er die EVP-Mitarbeiterin beim Forum Alpbach unsittlich berührte („begrapschte“), behaupten allerdings auch zwei Zeugen. Einer davon tat das auch gegenüber Zeitungen und im Fernsehen, wurde von Pilz aber nicht geklagt.

Gibt es überhaupt sexuelle Belästigung, die nicht strafrechtlich relevant ist?

Die Pilz-Mitarbeiterin hatte sich 2015 an die Gleichbehandlungsanwaltschaft gewandt. Diese bewertete die Vorwürfe in einem Schreiben an die Grüne Klubführung im Jänner 2016 eindeutig: „Die von der Mitarbeiterin glaubhaft geschilderten Verhaltensweisen und Bemerkungen erfüllen nach unserer Beurteilung die Tatbestände der sexuellen und geschlechtsbezogenen Belästigung.“ Allerdings bezog sich die Gleichbehandlungsanwaltschaft dabei nicht auf das Strafrecht, sondern auf die weiter gefasste Definition des Paragrafen 6 des Gleichbehandlungsgesetzes. Demnach liegt sexuelle Belästigung vor, wenn „ein der sexuellen Sphäre zugehöriges Verhalten“ für die betroffene Person „unerwünscht, unangebracht oder anstößig ist“. Dazu zählen etwa Poster von Pin-ups im Arbeitsbereich, anzügliche Witze, scheinbar zufällige Körperberührungen, das Hinterherpfeifen und unerwünschte Einladungen mit eindeutiger Absicht.

Laut dem Bericht der Gleichbehandlungsanwaltschaft habe Pilz seine Mitarbeiterin zu einer Paris-Reise und zu einem Ausflug auf seine Almhütte aufgefordert; als „Piccola“ oder „Baby“ angeredet; oder Kalauer wie „Was hilft das Höschen aus Paris, ist das Mädchen drunter mies“ fabriziert. Pilz bestätigte in der Vergangenheit die Sachverhalte, interpretierte sie aber gänzlich anders. Die Einladungen seien etwa als Belohnung oder zum Teambuilding gedacht gewesen. Und bei dem „Höschen“-Zitat handle es sich um eine alte Liedzeile von Eddie Constantine.

Wurde Peter Pilz am Ende Unrecht getan?

Die Staatsanwaltschaft Innsbruck hat professionell gemäß Strafprozessordnung gehandelt. Die Arbeit der Gleichbehandlungsanwaltschaft ist damit allerdings nicht zu vergleichen, weder inhaltlich noch methodisch. Die Anwaltschaft kümmert sich auch um nicht strafrechtlich relevante Fälle der sexuellen Belästigung. Sie ist kein Gericht, fällt kein Urteil, sondern agiert niederschwellig wie eine Schlichtungsstelle. Ihr Ansprechpartner ist nicht der Beschuldigte, sondern der Arbeitgeber aufgrund seiner Fürsorgepflicht gegenüber seinen Mitarbeitern. Die Anwaltschaft prüft die Aussagen von Betroffenen auf ihre Glaubwürdigkeit, befragt aber keine Zeugen. Der Beschuldigte hat kein Recht auf Einsicht der Unterlagen. Es geht allerdings auch nicht um Schuld und Sühne oder Anklage und Urteil, sondern um rasche Problemlösung, etwa dass eine betroffene Frau im Unternehmen einen neuen Arbeitsplatz erhält, wie dies auch im Grünen Klub der Fall war.

Problematisch aus Pilz’ Sicht wurde der Fall erst durch die – vom Opfer nicht gewünschte – Veröffentlichung der Vorwürfe durch „Presse“ und profil, die insofern gerechtfertigt war, als es sich bei Pilz um eine Person öffentlichen Interesses handelt. profil spekulierte nicht über Schuld oder Unschuld eines Politikers, sondern zitierte präzise die Vorwürfe der Gleichbehandlungsanwaltschaft. Die öffentliche Meinung kennt im Gegensatz zum Medienrecht allerdings keine Unschuldsvermutung. Insofern war Pilz tatsächlich einem „Gerüchts- und Sittenurteil“ (Anwalt Georg Bürstmayr) in sozialen Netzwerken und am Boulevard ausgeliefert. Allerdings muss ein Spitzenpolitiker das wohl ertragen, und auch Pilz exekutierte ein Vorurteil über seine ehemalige Mitarbeiterin. Diese habe die Vorwürfe erfunden, um sich für eine verweigerte Beförderung zu rächen.

Steht einer Rückkehr wirklich nichts mehr im Weg?

Unter „Rückkehr“ versteht Pilz wohl die Annahme des Nationalratsmandats. Diese wäre aber schon bisher möglich gewesen. Auch bei einer strafrechtlichen Verurteilung ist ein Mandatsverlust nur vorgesehen, wenn die Strafe mehr als ein halbes Jahr Haft unbedingt oder ein Jahr bedingt beträgt. Selbst ein wegen sexueller Belästigung (Höchststrafe: sechs Monate unbedingt) rechtskräftig verurteilter Abgeordneter könnte also im Nationalrat bleiben, ein unbescholtener wie Pilz sowieso.

Einer Rückkehr stehen also höchstens politisch-moralische Gründe im Weg. An dieser Stelle wird es heikel: Womit ist die Causa Pilz vergleichbar? Mit dem ebenfalls unbescholtenen FPÖ-Abgeordneten Johannes Hübner, der 2017 nicht mehr zur Nationalratswahl antrat, weil er 2016 antisemitische Äußerungen machte? Muss man von Pilz, der zeitlebens vom moralischen Hochsitz Politik betrieb, nicht auch hohe Standards einfordern? Oder kann tatsächlich nur das Strafrecht darüber entscheiden, ob ein Politiker zu einem Amt oder Mandat befugt ist?

Derzeit steht Pilz allerdings weniger die Moral als die eigene Partei im Weg. Bis Redaktionsschluss von profil Freitagabend hatte sich noch immer keiner der acht Liste-Pilz-Abgeordneten zum Mandatsverzicht zugunsten des Parteigründers bereit erklärt. Laut Auskunft von Klubobmann Peter Kolba solle die Lösung des Personalproblems erst kommende Woche präsentiert werden.

(Aktualisierung 29.Mai: Anfang der Woche sah es so aus, als ob die für Pilz nachgerückte Abgeordnete Martha Bißmann für den Listengründer Platz machen würde. Sie bleibt nun aber doch im Parlament. Die Frage ist daher weiterhin offen. Lesen Sie hier mehr dazu.)

Was sagt eigentlich Peter Pilz?

In seinem Videobeitrag auf Facebook erteilte sich Peter Pilz vergangene Woche selbst eine Generalabsolution: „Ich habe von Anfang an gesagt, an den Vorwürfen ist nichts dran. Ich weiß, dass ich keine Frau sexuell belästigt habe. Aber ich weiß, dass ich manchmal im Umgang unhöflich war.“ Was er unter einem „unhöflichen Umgang“ mit Frauen versteht, blieb auf profil-Anfrage unbeantwortet. Ebenso ist bisher ungeklärt, warum Pilz die Vorwürfe in Zusammenhang mit Alpbach in ersten Statements im November trotz fehlender Erinnerung wörtlich „äußerst ernst“ nahm; in der Folge eine Verschwörung politischer Gegner insinuierte und nun ein Fehlverhalten kategorisch ausschließt.

Jedenfalls wird sich Pilz darauf einstellen müssen, vom politischen Mitbewerber auf Dauer als Frauenbelästiger gebrandmarkt zu werden.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.